Fifa-Präsident Blatter:Der Pate wankt

Joseph Blatter

Für 90 Tage suspendiert: Fifa-Präsident Sepp Blatter.

(Foto: dpa)

Sepp Blatter fällt vom Fifa-Thron. Ist das eine Zeitenwende? Kommt ganz drauf an, ob sich die Europäer auf einen starken Nachfolger einigen.

Ein Kommentar von Thomas Kistner

Es ist so weit, Sepp Blatter fällt vom Fifa-Thron. Nicht einmal auf einen Fußballplatz darf er sich noch wagen, zumindest für die nächsten drei Monate. Das ist ein sporthistorischer Tag, die Demütigung ist beispiellos: Neben Blatter ist auch Michel Platini von allen Fußballtätigkeiten suspendiert. Die Chefs von Fifa und Europa-Union Uefa, die höchsten Funktionäre im Weltfußball, sind nun also in all den Gremien geächtet, die sie so lange dirigierten: Striktes Kontaktverbot!

Ist das schon die Zeitenwende, nach 34 Jahren Fußballherrschaft, die sich in Begriffsschöpfungen wie "Blatterismus" und "Blattini" niederschlugen? Freunden des endlosen Fifa-Kabaretts sei gesagt: Nein, noch nicht. Sepp Blatters Show wird weitergehen, der 79-jährige Schweizer blickt auf ein jahrzehntelanges Überlebenstraining in jener Sumpflandschaft des Sports zurück, die er selbst mit anlegen half. Überdies lassen sich all die Aktivitäten, die ihm am Donnerstag per Urteil der Fifa-Ethikkommission untersagt worden sind, auf andere Kommunikationsschienen verlagern. Dann wird das bisherige Chefbüro, das er nun verlassen muss, eben zur Außenstelle.

Die Kernfrage aus Blatters Sicht hat sich nicht geändert

Ja, auch so etwas hat Blatter schon einmal vorexerziert. 1998 wollte er als Fifa-Generalsekretär ins Präsidentenamt wechseln, damals untersagten ihm seine damaligen europäischen Widersacher im Fifa-Vorstand die Nutzung des Büros und der Logistik des Verbandes sowie den Verkehr mit den Angestellten. Die Mitarbeiter berichteten, wie die Drähte trotzdem glühten, bevorzugt die zur erzgetreuen Blatter-Wählerschaft in der Dritten Welt.

Heute agiert Blatter professioneller als damals. Er hat eine Maschinerie aus Juristen, Beratern und detektivisch geschulten Helfern um sich. Um diese Heerscharen daran zu hindern, Blatters Wille geschehen zu lassen, müsste die Ethikkommission den Patriarchen rund um die Uhr überwachen. Es drängt sich daher ein anderer Ansatzpunkt auf.

Alles Augenmerk muss nun noch mehr als bisher auf die Finanzbücher der Fifa gerichtet werden: Wer aus Blatters Tross wird nun weiter vom Weltverband bezahlt - und für welche konkrete Tätigkeit? Diesen Fragen geht ja auch die Schweizer Bundesanwaltschaft nach; sie führt Strafermittlungen gegen Blatter wegen des Verdachts der ungetreuen Geschäftsbesorgung sowie "eventualiter" auch der Veruntreuung.

Die Kernfrage aus Blatters Sicht ist eine andere, sie hat sich mit der Suspendierung nicht geändert: Kann er den neuen Regenten der Fifa bestimmen - damit darin auch für ihn weiter ein Platz ist? Am 26. Februar 2016 wählt die Fifa auf einem Sonderkongress den Nachfolger ins Präsidentenamt. Und auch von diesem wird abhängen, wie Blatter in die Fußballgeschichte eingeht.

Europas Verbände müssen das Steuer an sich reißen

Eine Rochade, wie die Sache in Blatters Sinne ablaufen könnte, zeichnet sich bereits ab: Niemand sollte überrascht sein, falls in den verbleibenden Tagen bis zum Meldestopp für Präsidentschaftskandidaten am 26. Oktober noch ein Bewerber aus Südafrika in den Ring treten sollte. Was die Nachfolgerfrage angeht, hat Blatter ja dank des Verdikts der Ethikkommission auch ein wichtiges Etappenziel erreicht: Michel Platini, der klare Favorit für die anstehende Wahl und längst Blatters Intimfeind, wurde ebenfalls aus dem Verkehr gezogen. Damit ist auch Platinis Kandidatur erledigt; wiewohl Frankreichs Fußball-Ikone noch Zeit brauchen wird, bis ihm seine Berater das klargemacht haben.

Auf den sportpolitischen Enthauptungsschlag in der Fifa müssen die Großen der Branche entschlossen reagieren - vorneweg der Deutsche Fußball-Bund, als amtierender Weltmeister; aber auch die englische Football Association und die Verbände in Spanien, Italien und den Niederlanden. Sie alle müssen das Steuer - nein, nicht übernehmen; sie müssen das Steuer an sich reißen. Ihr Hoffnungsträger Platini ist nicht einmal mehr Uefa-Präsident; und wie immer sein Fall endet: Er kann nicht mehr in den Fifa-Ring steigen.

Das müssen die Verantwortlichen in den großen Ligen Europas, in denen Platini verehrt wird, nun begreifen.

Gelingt es nicht, bis Ablauf der Bewerbungsfrist für alle Fifa-Präsidentschaftskandidaten am 26. Oktober noch eine wirklich starke, mehrheitsfähige Persönlichkeit aus den eigenen Reihen aufzubieten, droht die Gefahr, dass Figuren aus Blatters Schattenkabinett das Amt zurückerobern; dann wird alles weitergehen wie bisher, bis die Fifa endgültig kollabiert - unter dem internationalen Ermittlungsdruck; und unter den wachsenden Finanzproblemen, die sich auch schon im Sponsorbereich abbilden.

Die Dachorganisation des Fußballs hat einen mafiösen Anstrich. Dieser Anstrich wird spätestens dann auf den gesamten Kommerzbetrieb abfärben, wenn dessen stärkste Vertreter nicht einmal im Angesicht des Untergangs eine überzeugende neue Figur präsentieren können.

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