Fifa:Heiße Kugeln, kalte Kugeln - Blatter bringt Fußball-Auslosungen in Verruf

UEFA Europa League 2015/16 draw

Heiße Kugeln: Wer hat bei welchen Auslosungen wie manipuliert?

(Foto: picture alliance / dpa)

Der ehemalige Fifa-Präsident sagt, er sei Zeuge gewesen, wie betrogen wurde - und eröffnet eine längst fällige Debatte. Schon oft führten Ziehungen zu verdächtigen Ergebnissen.

Von Thomas Kistner

Sepp Blatter plaudert wieder, der 80-Jährige richtet sich behaglich in der eigenen Wahrnehmungswelt ein. Gern legt der für sechs Jahre von allen Fußballaktivitäten gesperrte Ex-Fifa-Chef dar, er sehe sich weiter als Weltverbands-Präsident; man habe ihn ja nie abgewählt. Kein Wahrnehmungsdefizit, sondern vermutlich nur der steten Suche nach der verlorenen öffentlichen Aufmerksamkeit geschuldet ist aber das, was Blatter soeben der argentinischen Zeitung La Nacion erzählt hat: Bei der Auslosung großer Sportevents könne mühelos betrogen werden. Ja, bei zumindest einem Topturnier habe er gar "mit eigenen Augen gesehen, wie geschummelt wurde". Es sei um einen europäischen Bewerb gegangen. Den Dreh habe laut Blatter "ein Italiener" beherrscht. "Man kann die Kugeln, die gezogen werden, markieren. Oder sie heiß machen, wenn sie vorher gekühlt wurden. Ich war selber Zeuge." Insider spekulieren nun, Blatter könne einen früheren Uefa-Präsidenten gemeint haben. So oder so, der Vorstoß ist aufschlussreich: Initiiert ja nicht von einer Randfigur, sondern von dem Mann, der die schmutzigen Spiele hinter Fußballs Glitzerkulisse seit Dekaden besser kennt als jeder andere. Übrigens soll wenigstens einmal, bei einer Pokalziehung auf dem Balkan, ein Betrug mit kalten Kugeln aufgeflogen sein.

Bei den Auslosungen zu WM- oder EM-Turnieren, Champions-League oder nationalen Pokalwettbewerben werden die Loskugeln aus einem durchsichtigen Gefäß gefischt. Damit das Publikum sehen kann, wie sauber die Sache abläuft; dass also die "Losfee" - im Fußball meist verdiente Ex-Profis oder Funktionäre - die Kugeln mit der Hand mischt und dann eine zieht, ohne hinzusehen. Doch unter Betrugsaspekten ist das eine billige Show, manipulieren ließe sich mühelos. Das Publikum sieht zwar alles, es kann aber natürlich nichts spüren: Etwa Markierungen an der Kugel, die im passenden Moment gezogen werden soll.

Betrug über den Tastsinn funktioniert problemlos. Kugeln müssen, wie von Blatter geschildert, vor der Ziehung nur ins Eisfach gelegt werden, die Losfee könnte sie dann anhand der Temperatur identifizieren. Oder eine kleine Oberflächenbearbeitung: Lackierte oder geriffelte Kugeln lassen sich leicht von anderen unterscheiden.

Gewiss bräuchte es auch hier Stichkontrollen durch eine wirklich unabhängige Instanz. Aber so etwas gibt es nicht in der halbseidenen Traumindustrie Sport, am wenigsten im Spitzenfußball, der ja auch kein Dopingproblem hat. Nur jede Menge Verdachtsfälle, die auf mysteriöse Art sofort verschwinden. Die oberste Sittenkontrolle im Weltfußball übten jahrzehntelang Blatter und Männer wie Jerome Valcke aus, sein Generalsekretär, gegen den heute ermittelt wird; Leute wie der gesperrte Michel Platini oder Markus Kattner, der jüngst fristlos gefeuerte Finanzchef.

Warum wurden Kugeln hinter einem Sichtschutz geöffnet?

Natürlich hat sich Blatter im Interview von jeder Manipulation distanziert. Mit Aussagen, die eher entlarvend sind: "Ich habe nie Lose selber gezogen! Andere Präsidenten haben das gemacht. Sie haben die Kugeln selber aus den Topf genommen. Ich war sauber bis zum Letzten." Doch sind bei der Losmanipulation die Losfeen nur Erfüllungsgehilfen; Initiator sind die Figuren, die den Betrug diskret orchestrieren. Zum anderen ist so "ein Präsident, der das gemacht hat" (Kugeln ziehen), gut bekannt: Blatters Amtsnachfolger Gianni Infantino. Der war bis vor kurzem Generalsekretär der Europa-Union Uefa. Und wie die Fifa, stand auch die Uefa immer wieder im Fokus von Spekulationen über merkwürdige Auslosungen. Zuletzt betraf das Geraune die Champions League, wo sich die Losfee für einen namhaften Klub wiederholt als veritable Glücksgöttin entpuppte.

Blatter hat nun ein Fass geöffnet, das die einzige überzeugende Kontrollinstanz im Weltfußball alarmieren könnte: Das Fifa-Ethikkomitee. Denn aufs Thema gebracht wurde er von La Nacion mit der Frage, ob bei der WM-Auslosung 2014 in Brasilien getrickst worden sei. Das hat er verneint. Indes ranken sich um diese Auslosung heikle Fragen. Und es war just das argentinische Blatt, dass gleich nach der Auslosung schicksalhafte Vorgänge um das eigene Nationalteam publizierte.

Damals stand der Landesverband AFA unter der Knute des seit 1979 herrschenden Julio Grondona, auch Blatters Stellvertreter in der Fifa. Zur Geschäftswelt des 2014 verstorbenen Don Julio ermitteln seit Jahren Bundesanwälte; dreistellige Millionenbeträge in Strohfirmen warten auf ihre Zuordnung. Damals also hatte Grondonas AFA die hellseherische Gabe, Monate vor der Auslosung das WM-Quartier in Belo Horizonte zu fixieren - wobei das Camp sogar erst nachträglich auf die Liste der akkreditierten Fifa-Unterkünfte gesetzt wurde. Die AFA bewies ein sensationelles Gespür: Argentiniens Team wurde als Kopf der Gruppe F gelost. Exakt darauf hatten die Funktionäre alles hingeplant. Die Frühbucher bekamen ein Heimspiel in Belo Horizonte; auch die anderen Partien lagen auf Ideallinie: Im nahen Rio de Janeiro und in Porto Alegre; näher an Argentiniens Grenze als an Brasiliens anderen WM-Städten. Alles Zufall? La Nacion hatte schon am Tag der Auslosung geschrieben, dass "mindestens zwei" Sportjournalisten durch "eine hohe Quelle im WM-OK Brasiliens wiederholt" versichert worden sei: "Ruhig bleiben, Argentinien wird in Gruppe F landen."

Das Geraune um Argentiniens Weg ins WM-Finale hat die Fifa nie beseitigt. Das Video von der Auslosung Ende 2013 zeigt, wie die aus den Trommeln gezogenen Losbälle ungeöffnet an den Fifa-Generalsekretär Valcke gereicht werden, der auf der Bühne hinter einem Pult stand. Dort öffnete er die Kugeln und präsentierte die Länder. Doch während das ihm assistierende Model ihre Loskugeln beim Öffnen und Entrollen immer gut sichtbar in die Höhe hielt, verschwanden Valckes Hände zur Öffnung stets hinter der Kante des aufsteigenden Stehpults. Lagen dort, hinter der merkwürdigen Sichtblende, vorgefertigte Zettel, die Valcke nach Bedarf ergriff, bevor seine Hände wieder zum Vorschein kamen?

Als die globale Verdachtsdebatte, durch Internetclips geschürt, ausuferte, teilte die Fifa mit, alles sei okay, es habe sogar eine Kamera hinter Valckes Pult gegeben. Diese Bilder wurden aber nie gezeigt. Ungeklärt ist bis heute auch, wie damals per Twitter aus Argentinien die gesamte Gruppe F korrekt veröffentlicht werden konnte: Stunden vor der Auslosung. Vielleicht sollten sich die Fifa-Ethiker mal die Videobilder von damals ansehen.

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