Fifa-Ermittlung zur WM-Vergabe:Stimmungstöter aus New York

Der Bericht zur WM-Vergabe nach Russland und Katar endet mit einem Eklat: Ethik-Richter Eckert sieht keine Korruption, auch, weil das Reglement für das Thema ungeeignet ist. Chefermittler Garcia gibt sich damit nicht zufrieden.

Von Thomas Kistner

An manchen Stellen ist es durchaus unterhaltsam, das in aller Welt so lange ersehnte Papier der Fifa-Ethikkommission: der 42-seitige Befund von Spruchkammerchef Hans-Joachim Eckert zum 430 Seiten umfassenden, geheim gehaltenen Report von Chefermittler Michael Garcia. Am amüsantesten liest sich gewiss die Passage über die Computer beim damaligen WM-Bewerber Russland, der das Turnier 2018 an Land zog: dass man die Rechner für das russische Bewerbungs-Team nicht gekauft, sondern bei irgendeinem Menschen geleast und sie nach erfolgreicher Arbeit brav wieder zurückgegeben habe. Leider habe der Besitzer mit den Computern dann nichts mehr anfangen können und sie "zerstört" - so steht es im Report.

Ergo: leider keine Erkenntnisse. Ein Drehbuchautor bekäme so einen Unfug um die Ohren gehauen, in der Welt der Fifa und ihrer Selbstaufklärung sind es solche Anekdötchen, die den Ermittlern die Arbeit erschwert haben. Weshalb am Ende etwas steht, das seit Beginn der Ermittlung rund um die skandalumtoste WM-Doppelvergabe nach Russland (2018) und Katar (2022) erwartet worden war: Eckert attestiert eine im großen Ganzen saubere Bewerbung für die beiden weltgrößten Events, ein paar Ungereimtheiten müsse Ermittlungschef Garcia halt noch einmal gezielt nachgehen. Das betrifft Individuen. Und die sitzen eher in jenem Agenten-Umfeld, das sich bei großen Sportvergaben stets eine goldene Nase verdient. Es könnte sogar ein Deutscher darunter sein.

Dann knallte es. Kaum war am Donnerstagvormittag der Weltverband in gebührenden Jubel ausgebrochen - "Die Fifa freut sich, die Vorbereitungen für Russland 2018 und Katar 2022 fortzusetzen, die bereits weit fortgeschritten sind" - , meldete sich in New York ein mächtiger Stimmungstöter zu Wort.

Früh um 7.07 Uhr Ortszeit ließ Ermittlungschef Garcia seine Bürochefin zwei explosive Sätze verschicken: "Die heutige Entscheidung des Vorsitzenden der Spruchkammer enthält zahlreiche materiell unvollständige und fehlerhafte Darstellungen der Tatsachen und Schlussfolgerungen im Bericht der Untersuchungskammer. Ich beabsichtige, diesen Beschluss bei der Fifa-Berufungskommission anzufechten." Garcia garnierte die herbe öffentliche Attacke, die wie ein Blitz durch die Sportwelt zuckte, gleich mit einer ersten Paragrafen-Auslese, was dafür so alles als Ansatzpunkt in Frage käme aus Ethik- und Disziplinarreglement der Fifa.

Beschwerlicher Job

Garcia wendet sich gegen das Verfahrensende, mehr: Er will offenbar nicht derjenige sein, der der Fifa eine Art Persilschein in Sachen WM-Vergabe ausgestellt hat. Tatsächlich kann ja noch einiges kommen, es laufen auch ernstzunehmende Ermittlungen um Personen des Weltverbands. Etwa vom FBI - für das Garcias Frau arbeitet. Richter Eckert war in München beim Aktenstudium, als ihn die Nachricht erreichte. "Interessant", war seine erste Reaktion, einer Bewertung enthielt er sich, er habe keinen Kontakt mit Garcia gehabt. Zu prüfen sei, ob die von ihm zitierte Ethikregel 80 für eine Berufung "überhaupt passt". Generell aber sei der Job beschwerlich, seufzte Eckert: "Man kann es keinem recht machen." Er hoffe, "dass meine Botschaft angekommen ist, dass eine Reihe von Verfahren gegen Personen betrieben werden". Diese Botschaft geht unter in einer steten Marginalisierung des damaligen WM-Geschachers, als insgesamt elf Länder um die Gunst der 24 Fifa-Vorstände buhlten. Eckert fand keine gravierenden Verstöße bei deren WM-Vergaben, wobei schon seine detaillierteren Darlegungen zeigen, wie wenig Sinn es ergibt, das Thema unter Maßgabe der Fifa-Ethikregeln abzuhandeln. Dass etwa in Katar kurz vor der WM-Kür noch flott ein Geisterspiel der Fußballgroßmächte Brasilien und Argentinien stattfand, für das den Verbänden zweier stark umwitterter Fifa-Kapos Millionen bezahlt wurden? Das hatte gemäß Fifa-Report gar nichts mit der WM-Bewerbung zu tun, einleuchtende Begründung: Es wurde ja gar nicht aus dem Katar-2022-Topf bezahlt. Und dass Katar vorm Votum den Kongress des Afrika-Verbandes Caf mit 1,8 Millionen Dollar sponserte und im Gegenzug exklusiv, unter Ausschluss aller Rivalen, hinter verschlossenen Türen präsentieren durfte? Das schürt zwar "negative Eindrücke", aber das Fifa-Ethikreglement gibt dazu nichts her. Noch bemerkenswerter war, wie Eckert das Gewicht des damaligen Fifa-Vizepräsidenten Mohamed Bin Hammam aus Katar einschätzt. Der habe zwar allerlei Zahlungen an Funktionäre geleistet, auch schon vor der WM-Kür am 2. Dezember 2010, die hätten aber nur mit einem anderen korrupten Vorgang zu tun: mit seiner Kampagne für die Fifa-Präsidentenwahl sechs Monate später, im Juni 2011.

Bei solchen Urteilen profitiert die Funktionärswelt offenbar von mangelnder Sachkenntnis ihrer juristischen Betrachter, vielleicht auch von Naivität. Hätte Katar nicht die WM erhalten, hätte sich Bin Hammam jede Chance auf den Fifa-Thron ein halbes Jahr später abschminken müssen. Dass sein Rivale Blatter kein Katar-Parteigänger war, war und ist bis heute bekannt, auch deshalb brauchte Bin Hammam dringend eine Demonstration der Machtverschiebung in der Fußballwelt: Wer die WM in die Wüste holen kann, kämpft auch aussichtsreich um den Thron. Und bestreitet beide Kämpfe mit denselben Mitteln.

Ein heikler Punkt fehlt völlig

Am Ende überrascht nicht, dass die Berichte zu England und den USA ähnlich lang sind wie die zu Katar. Russland ist kürzer, dort wurden ja die Daten gleich vernichtet. Bekannt ist trotzdem viel Fragwürdiges, das im Bericht fehlt. Etwa, dass Wladimir Putin mehr als ein Drittel der Wahlleute persönlich traf, und dass ein Fifa-Vorstand dem Gremium drei Monate nach der Kür Servus sagte und umsattelte auf Reklamefigur: Franz Beckenbauer wurde Sportbotschafter der russischen Gas- und Erdölindustrie. Da hat es gewisse Logik, dass auch ein anderer heikler Punkt völlig fehlt: Hat Präsident Sepp Blatter, wie seinerzeit der britische Fifa-Vorstand Jeff Thompson erschüttert seiner Delegation um Prinz William und Lord Sebastian Coe schilderte, vor der Abstimmung tatsächlich auf die böse britische Presse hingewiesen (siehe Kommentar)? Dieser Vorfall ging immer wieder durch die Medien, er wurde von denen, die ihn erzählen, auch immerzu bestätigt. Wurden die damaligen Wahlleute also von den Ethikern gebeten, sich zu dem Vorwurf zu äußern? Kein Wort im Report. Dafür am Ende jede Menge Lob für den Auftraggeber: Der Ethik-Report streicht Blatters Bemühen um Reformen heraus, ohne die auch dieser Bericht nicht möglich gewesen wäre. Das bezweifelt niemand, im Hinblick auf ein Resultat, das nicht nur Garcia ganz anders sieht.

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