Fifa contra FC Sion:Zwei Dickschädel aus dem Wallis

Sepp Blatter hat im Streit zwischen dem FC Sion und der Fifa bereits gedroht, den Schweizer Verband von internationalen Wettbewerben zu suspendieren. Jetzt scheint die Situation tatsächlich zu eskalieren: Sions Klubchef erwägt gegen die Fifa-Vorständler wegen Nötigung zu klagen - ein Ausschluss aller Schweizer Europapokal-Teams könnte auch Bayern-Gegner FC Basel betreffen.

Thomas Kistner

Im Schweizer Fußball herrscht riesengroße Unruhe, am Wochenende nahm die Fifa den nationalen Fußballverband SFV quasi in Geiselhaft. Wenn der Verband nicht bis 13. Januar den Transfer-Streit um den FC Sion löst, wird er selbst suspendiert, samt aller Teams. Das beträfe auch den FC Basel, der am 22. Februar im Achtelfinale der Champions League gegen den FC Bayern München spielt.

A file picture shows Constantin President of FC Sion leaving the CAS after an appeal hearing in Lausanne

Sions Chef Christian Constantin hat Fifa-Präsidet Sepp Blatter mit Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi verglichen.

(Foto: REUTERS)

Die neueste Zuspitzung im Machtkampf um den FC Sion, dem der Weltverband den Einsatz von sechs angeblich gesperrten Spielern vorwirft, hat sofort eine Gegenreaktion des Erstligisten provoziert: Klubchef Christian Constantin droht den Fifa-Vorständlern mit Klage wegen Nötigung.

Die Fall Sion entzweit nicht nur das Schweizer Publikum, er zieht die ganze Profibranche in Bann. Auf dem Spiel steht die juristische Struktur des Kickergeschäftes. Das Ultimatum der Fifa steigert die Unruhe enorm, denn Sions Chef Constantin ist nicht dafür bekannt, vor Sportfürsten wie Fifa-Chef Sepp Blatter das Knie zu beugen.

Dem wirft er jetzt in Schweizer Medien einen "terroristischen" Akt vor und vergleich ihn mit Libyens Despoten Gaddafi: "Ein Diktator, der jeglichen Sinn für Realität verloren hat und seinen Stolz über konstruktive Lösungen stellt. Er muss verrückt sein, dass er mit einem Ausschluss des SFV droht, statt die Sache nur auf Sion zu projizieren." Insgeheim pflichten ihm manche bei, allen voran die heimischen Verbandsfunktionäre, die Stunden nach Verhängung des Fifa-Ultimatums eine Krisensitzung einberiefen.

Was tun? Die Situation ist so verfahren, dass selbst Betroffene den Überblick verlieren. Es begann als Folklorestreit unter Dickschädeln aus dem Wallis, als Terminproblem. Niemand wusste so genau, ob eine 2009 verhängte Transferverbots-Periode gegen Sion schon abgelaufen war, als der Klub im Sommer 2011 sechs neue Spieler verpflichtete. Der SFV untersagte deren Einsatz mit Bezug auf ein unterlaufenes Transferverbot.

Der FC Sion schickte die Kicker vors Arbeitsgericht, gewann, der SFV aber sperrte die Profis gleich wieder - eben weil Sion ein ordentliches Gericht angerufen hatte. Im Sport, der aus manchen guten und immer mehr fragwürdigen Gründen eine eigene Gerichtsbarkeit pflegt, dürfen nur Sportgerichte angerufen werden; alles andere gilt als Todsünde in Blatters Augen. "Wir sind eine Familie", sagt der Patron, "und eine Familie löst ihre Probleme stets in der Familie."

Fifa und Uefa knöpften sich Sion vor. Der Klub flog aus der Europa League, weil er in den Playoffs gegen Celtic Glasgow die besagten Spieler eingesetzt hatte. Das unterlegene Celtic rückte anstelle Sions in den Wettbewerb. Dabei hatte der FC Sion am Kantonsgericht eine Verfügung zur Teilnahme erstritten. Die Uefa ignoriert das Urteil: Es käme zu spät. Auch der Sportgerichtshof Cas bestätigte dies letzte Woche. Constantin kündigte erneut den Gang vors - ordentliche - Bundesgericht an.

Zugleich erhöhte die Fifa den Druck auf den sturen Walliser. Vom Schweizer Verband verlangt sie, alle Spiele, an denen Sions umstrittene Profis teilnahmen, als 0:3 verloren zu werten - das wäre ein Abzug von 16 Punkten in der laufenden Erstliga-Saison. Nun ist der SFV in der Bredouille.

Er hat den ultimativen Druck der in Wettkampffragen übergeordneten Fifa - und die eigenen Statuten einzuhalten. Hier liegt aber eine besondere Brisanz: Die Swiss Football League hatte Sions Sextett zu Saisonbeginn lizenziert - "irrtümlich", wie die Funktionäre seither behaupten, es habe ein Büro-Fehler vorgelegen. Die Lizenzierung wurde flott widerrufen.

Kraftmeierei zwischen Blatter und Constantin

Doch Constantin spielt da nicht mit. Es sei "Fakt, dass die Liga unsere Spieler vor Beginn der Saison qualifiziert hat, und Fakt ist auch, dass die Spieler das Recht haben, an ein Zivilgericht zu gelangen", sagt er - weshalb unvorstellbar sei, dass ihm die Liga die Punkte abzieht, wie von der Fifa gefordert.

Es ist längst ein Machtkampf. Die Walliser Blatter und Constantin üben sich in Kraftmeierei. Der Fifa kommt der Streit vielleicht gar nicht ungelegen - als publikumswirksamer Nebenschauplatz zu den umstrittenen Reformbemühungen des chronisch korruptionsgeplagten Weltverbandes. In der Drohung, per Sippenhaft durch die Suspendierung des SFV auch den FC Basel von Europas Bühne zu nehmen, ist ein Hebel gefunden, um in der Schweiz Stimmung gegen das aufmüpfige Sion zu schüren.

Englische Blätter thematisieren bereits die Wiedererweckung des an Basel gescheiterten Spitzenklubs Manchester United. Auf populistische Winkelzüge versteht sich Blatter, in der Causa Sion aber wird es peinlich. Am Montag strahlte das Schweizer Fernsehen in einer Archivsequenz aus, wie sich Blatter erst im September vor der Kamera geäußert hatte: "Den Schweizer Verband ausschließen - nicht mit mir, kommt nicht in Frage!" Eine aktuelle Stellungnahme, beklagten die Fernsehleute, hätte die Fifa jetzt abgelehnt.

Was geschieht Mitte Januar? Im Falle einer Sanktion klagt Sion und lähmt den Erstliga-Betrieb. Oder die Fifa verbannt den SFV - und weitet das Drama auf die Champions League aus. Dann dürfte am Ende tatsächlich ein ordentliches Gerichtsurteil stehen. Eines, das nicht nur festhält, dass der Fußball unfähig ist, eine über Jahre schwelende Transfersache zu regeln.

Sondern womöglich, dass der Fußball nicht seine marktbeherrschende Position missbrauchen dürfe - dann droht der Sport die Autonomie über seine Rechtsverfahren einzubüßen. Es wäre ein Erdrutsch, der den Fall Bosman vor 15 Jahren übertrifft. Der übrigens als Bagatelle begann.

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