Sepp Blatter:Ein greiser Patron bemitleidet sich selbst

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"Es ist noch längst nicht vorbei": Sepp Blatter, 79, muss die Fifa verlassen - kündigt aber umgehend seine Rückkehr an. (Foto: Philipp Schmidli/Getty Images)
  • Die Fifa-Ethikkomission hat Sepp Blatter und Michel Platini wegen Verstößen gegen den Ethikcode für acht Jahre von allen Tätigkeiten im Fußball verbannt.
  • Blatters Scherbengericht gerät zu einer eindrucksvollen Selbstentlarvung.
  • Blatter sieht Strafermittlungen entgegen, die das Hausverbot in allen Stadien schon bald als Lappalie erscheinen lassen könnten.

Von Thomas Kistner

Einmal noch. Es ist die wahrscheinlich letzte Inszenierung. Sepp Blatter ist mit Tochter, Adjutant und Pflaster unterm rechten Auge erschienen; schlecht rasiert, das Gesicht wirkt etwas aufgedunsen. Er allein füllt noch einmal einen Pressesaal im Züricher Sonnenberg-Zentrum.

Und indem er nun eine halbe Stunde jammert und zürnt und fabuliert über die Schändlichkeiten des Fifa-Ethikkomitees, das ihn für acht Jahre gesperrt hat, begeht der 79-Jährige munter die nächsten Verstöße gegen den Ethikcode. Wild und substanzfrei greift Blatter Fifa-Instanzen und -Reglements an, im nächsten Moment tut er so, als wäre er immer noch der Weltverbandspräsident, der sich zu den Dingen des Fußballs äußert - und über den Regeln steht. Weil ihn, Blatter, sowieso nur der Kongress aus dem Amt holen könne, keine Fifa-Ethiker. Die haben auch den Auftritt aufmerksam registriert.

Blatters bisher schlimmster Tag hat an diesem Montag im Dezember mit dem Urteil der Ethikkommission begonnen. Die Spruchkammer unter dem Münchner Richter Hans-Joachim Eckert verbannte ihn und Uefa-Präsident Michel Platini wegen Verstößen gegen den Ethikcode für acht Jahre von allen Tätigkeiten im Fußball; ins Stadion dürfen sie nur noch, wenn sie eine Karte kaufen.

Einladungen, Vip-Lounge, jeder offizielle Bereich ist verboten.

Was Frankreichs Fußballheros ins Herz trifft, dessen Heimat trägt in sechs Monaten die Fußball-EM aus. Bei der Urteilsfindung ließ die Kammer den Anklagevorwurf der Korruption sogar außen vor, sonst hätte das Verdikt lebenslang gelautet. Die Ankläger wollen nun prüfen, ob die Begründung für den Verzicht auf ein Korruptionsurteil "vertretbar" sei - oder ob sie in Berufung gehen.

So oder so: Gegen das uneinsichtige Duo Blattini ist noch genug im Köcher. Was Blatter angeht, ermittelt die Schweizer Bundesanwaltschaft schon in zwei Fällen wegen untreuer Geschäftsführung. Zum einen ist da die Zwei-Millionen-Franken-Zahlung an Platini, die den beiden bereits jetzt zum Verhängnis wurde. Daneben wartet eine brisantere Causa: Blatter hatte 2005 Fernsehrechte zum Billigpreis an seinen Vize Jack Warner durchgereicht, für einen Bruchteil des Werts dieser Rechte in den Jahren zuvor. Warner bescherte die großzügige Gabe beim Weiterverkauf einen zweistelligen Millionenprofit.

So gerät Blatters Scherbengericht am Sonnenberg zur eindrucksvollen Selbstentlarvung. Sein Vortrag ist wirr. Schuld sind wie stets in seinen 40 Fifa-Jahren andere; böse Geister jagen ihn, diesen rastlosen Kämpfer für Anstand, Fifa und Moral. Zu denen zählt auch die Journaille, der er vorwirft, sie hätte ihn verfolgt statt beschützt.

Im Fieberwahn der Selbstgerechtigkeit bleibt keines der Themen ausgespart, die Blatter stets so gern strapaziert. Er, der 34 Jahre die Spitzenämter als Generalsekretär und hauptamtlicher Präsident innehatte, der absolutistisch über einen Fußball herrschte, der unter ihm zum größten Korruptionssumpf des Weltsports wurde - dieser Mann zieht jetzt Nelson Mandela, die Menschenrechts-Charta der Vereinten Nationen und ein Projekt mit dem Nobelpreis-Zentrum zu seiner Verteidigung heran.

Beim vorweihnachtlichen Wortgeklingel korrigiert Blatter auch den (nur von ihm erweckten) Eindruck, dass er "der Boxsack der Fifa" sei. Statt Boxsack ist er die Inkarnation des Guten: "Es tut mir leid für den Fußball, leid für die Fifa, leid wegen den 400 Menschen, die für die Fifa arbeiten. Aber es tut mir auch leid für mich, wie ich behandelt werde."

Selbstmitleid wetteifert mit der Angriffslust des greisen Patrons. Dass seine und Platinis Vorträge von den Ethikrichtern als unergiebig eingestuft wurden, ist zwar der Ertrag juristischer Prüfungen und zweier Anhörungen - für Blatter ist es schlicht Majestätsbeleidigung. "Sie haben uns als Lügner dargestellt. Das geht nicht, es ist eine Frage des Respekts. Auch eine Frage des Respekts der Justiz!" Eine Justiz ohne Respekt ist eine, die an der Unantastbarkeit von Sportfunktionären zweifelt. Blatter und Platini, der ebenfalls eine "Farce" beklagt, wollen durch die Instanzen ziehen - bei Fifa, Sportgerichtshof Cas, Berner Bundesgericht -, doch überall dürfte es knifflig werden, im Kern nur mit Respekt und Glauben zu argumentieren. Die Ethikrichter befanden, die Verbandschefs hätten die Rechtmäßigkeit der Millionenzahlung im Jahr 2011 an Platini weder schriftlich noch in persönlicher Anhörung darlegen können. "Nicht überzeugend" sei ihr Vortrag gewesen, es habe sich bei diesem Geld um ein Beraterhonorar für die Zeit zwischen 1999 und 2002 gehandelt, das mündlich vereinbart worden sei. Wer kauft jetzt überhaupt noch die Story vom mündlichen Vertrag ab? Von einer Vereinbarung, die weder in Büchern noch Bilanzen verbrieft ist, und die größtenteils erst neun Jahre nach erfolgter Dienstleistung, nämlich im Februar 2011, beglichen worden sein soll? Das Fehlen dieser Summe in den Bilanzen werten die Ankläger als Dokumentenfälschung, die Millionen waren all die Jahre nie zurückgestellt worden. Und auch sonst hakt die Story an allen Ecken und Enden. Eine Million Franken pro Jahr wollen die beiden ausgedealt haben. Tatsächlich kassierte Platini damals als Jahressalär nur 300 000 Franken, die sind schriftlich vereinbart worden. Überdies passt es auch rechnerisch nicht, dass 2011 zwei Millionen als Nachschlag geflossen sein sollen: Es wären ja dann 2,8 Millionen offen gewesen, Platini hätte 700 000 Franken pro Jahr zu wenig erhalten.

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Besser passt zu der Zahlung ein anderes Motiv. Das branchenübliche: Korruption. So sieht es die Anklagekammer, und dass die Richter nicht ganz folgten, liegt daran, dass die Sportkarrieren des Duos mit acht Jahren Sperre ebenso erledigt sind wie mit einer lebenslangen. Auch muss das Urteil vor dem Cas standhalten, der wegen seiner oft auffällig Funktionärs-nahen Beschlüsse selbst ins Gerede gekommen ist. Und schließlich musste Eckert den Ethikcode von 2009 anwenden. Die Millionen waren ja 2011 geflossen, doch erst 2012 wurde der Code verschärft. Seither reicht für lebenslang der klare Anschein von Korruption.

"I'll be back!"

Zu Blatters Wahrheiten zählt auch die, dass er den Wahlkampf 2011 - Herausforderer war der mächtige Asien-Chef Mohamed Bin Hammam - angeblich ohne und sogar gegen die Voten von Platinis Uefa gewonnen hätte. Tatsächlich wurde er am 1. Juni 2011 ins Amt applaudiert. Aber nur, weil Widersacher Bin Hammam Tage zuvor wegen einer Bestechungsorgie in der Karibik gesperrt worden war.

Bis dahin lag der Katarer gleichauf, und Blatter durchlitt die größte Zitterpartie seiner Amtszeit. Wie großzügig damals seine Fifa, deren Mittel und Personal der Präsident laut Statuten ausdrücklich nicht einsetzen darf für seinen Wahlkampf, tatsächlich umging in der ersten Jahreshälfte 2011, und was da alles ablief an sogenannten Finanz- und Entwicklungshilfe-Projekten: Auch damit wird sich nach SZ-Recherchen die US-Justiz bald und sehr profund befassen.

Im März wird Blatter 80. Er sieht Strafermittlungen entgegen, die das Hausverbot im Fußballbusiness bald als Lappalie erscheinen lassen. Aber sein Schlusswort zur Sperre hat er in einen Satz gepackt, der die ganze Selbstüberschätzung und Weltentrücktheit des Sportfunktionärs in der Ära Blatter offenbart: "I'll be back!"

Dass er zurückkommt, das glaubt niemand mehr. Außer ihm.

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© SZ vom 22.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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