Fernando Hierro:Mit der Aura eines Kommandanten

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Der neue Nationaltrainer Fernando Hierro bei einer Trainingseinheit der Spanier in Krasnodar. (Foto: REUTERS)
  • Der neue Trainer der spanischen Nationalmannschaft, Fernando Hierro, hat schon alles gesehen, was der Fußball zu bieten hat.
  • Führungsspieler der Spanier schauen schon seit Kindheitstagen zu ihm auf - was für ihn noch zum entscheidenden Vorteil werden könnte.
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Von Javier Cáceres, Sotschi

Fernando Hierro war auch schon mal ein Unverstandener. Im Spätherbst seiner Profilaufbahn, als er nach 19 Spielen für den katarischen SC Al-Rayyan beim englischen Premier-League-Klub Bolton Wanderers anheuerte. Sam Allardyce war damals in Bolton Trainer, er hielt Hierro zurück, wenn dieser das tun wollte, was er bei Real Madrid am besten gekonnt hatte: gleich einem Feldherrn mit imperialem Gang aus der Abwehr in Richtung Mittelfeld zu stolzieren, um die beste Passoption zu erkunden. "Du sollst den Ball lang schlagen!", rief Allardyce - und ließ Hierro ratlos zurück. Dafür hatte er ihn nach Bolton gelockt? Um blindlings die Pille nach vorn zu dreschen?

An diesem Freitag kommt Hierro, 50, zu einem Job, für den er auf ganz andere Weise nicht gemacht zu sein schien. Dann nämlich spielt Spanien in Sotschi sein Auftaktmatch gegen Portugal; und aus Hierro, der als Teammanager zur WM reiste, als spanischer Oliver Bierhoff sozusagen, ist über Nacht Spaniens Nationalcoach geworden. Als Nachfolger von Julen Lopetegui, 51, dem in Russland gekündigt wurde.

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Am Sonntag, als die Welt aus spanischer Perspektive in Ordnung zu sein schien, obwohl sie es ja nie ist, am Sonntag also hatte Hierro in einem Radiointerview gesagt, dass er es nicht anstrebe, Nationalcoach zu werden. Überhaupt nicht, Lopeteguis Vertragsverlängerung lag ja keine drei Wochen zurück. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Real Madrid verhandelte hinter dem Rücken aller mit Lopetegui, der willigte ein, Real Madrid kündigte die Verpflichtung pünktlich zur nächsten Saison an, also direkt nach der WM - der nichts ahnende Verband RFEF war düpiert. Luis Rubiales, der neue Chef der Fußballföderation, entließ Lopetegui fristlos.

Anstatt die in einer Auflösungsklausel vertraglich festgeschriebenen zwei Millionen Euro Ablösesumme einzustreichen, wird der Verband den seit 2016 amtierenden (und ungeschlagenen) Lopetegui nun wohl auszahlen müssen. Am Donnerstag setzte Real Madrid noch einen drauf: Lopetegui wurde umgehend in Madrid präsentiert, und Präsident Florentino Perez teilte aus: Rubiales habe Lopetegui "um seinen großen Traum betrogen". Der Geschasste selbst klagte, der Mittwoch sei "der traurigste Tag in meinem Leben seit dem Tod meiner Mutter" gewesen, und er fuhr fort: "Heute ist der schönste Tag." All das dürfte jenes Gefühl in Spanien verstärken, das die Zeitung El País wie folgt definierte: Julen Lopetegui zu entlassen, "war nicht die schlechteste, vielleicht sogar die beste Lösung". Eine Lösung, in die Hierro sofort eingestimmt hatte: "Ich hätte mir nicht verziehen, in dieser Lage Nein zu sagen."

Viel tun und ändern kann Hierro ohnehin nicht mehr

Übersetzt heißt sein Name: Eisen! Der Mann aus Malaga wirkte bei seiner Präsentation in neuer Rolle gelassen, obwohl er als Trainer ein unbeschriebenes Blatt ist. Er war in der Saison 2014/15 als Assistent des Italieners Carlo Ancelotti bei Real Madrid tätig, 2016 trainierte er das zweitklassige Real Oviedo. "Wie meine Mannschaften spielen? Gute Frage", sagte er: "Ich wünschte, dass sie gut spielen, dass sie wettbewerbshart sind, den Ballbesitz an sich reißen, ihre Qualität zeigen." Er tastete nicht nach Worten, sondern sprach voller Überzeugung, denn: "Mit den Künstlern, die mir zur Verfügung stehen, bin ich vom Leben begeistert." Viel tun und ändern kann er eh nicht mehr: "Wir können in zwei Tagen nicht umwerfen, was wir in zwei Jahren aufgebaut haben."

Mit Hierro kehrt ein Führungsstil zurück, der den Spaniern zu Erfolgen verholfen hat. Bei der Nationalelf war er stets ein moderierender Manager, der die Ruhe daraus schöpfte, dass er schon alles gesehen hat, was der Fußball zu bieten hatte. Er war 14 Spielzeiten lang bei Real Madrid und wurde - zusammen mit dem damaligen Trainer und späteren spanischen Weltmeistercoach Vicente Del Bosque - vom damaligen und aktuellen Präsidenten Perez vom Hof gejagt. Er war bei vier Weltmeisterschaften als Spieler dabei (1990, 1994, 1998, 2002), und er war schon von 2007 bis 2011 Sportdirektor des Verbandes, also zu Zeiten, da Spanien seinen ersten Titel bei einer Europameisterschaft (2008) und seinen ersten WM-Titel (2010) gewann.

Albert Celades, der U21-Trainer, war auch als Lopetegui-Ersatz im Gespräch. Er wird als Fachmann geschätzt. Doch jetzt, da sich das Nationalteam in einen reißenden Strom gestürzt sieht, war für ein jungenhaftes Gesicht wie von Celades nicht der richtige Moment. Die Lage erforderte, sich einem Mann anzuvertrauen, der die Aura eines Kommandanten verströmt. Und zu dem Führungsspieler wie Gerard Pique (FC Barcelona) oder Sergio Ramos (Real Madrid) seit Kindheitstagen aufschauen. Geht es doch jetzt zuvorderst darum, einen erschütterten Kader zu einen.

Rund um die Entlassung Lopeteguis hatten sich in der Mannschaft Gräben aufgetan. Die Nachricht von Lopeteguis Wechsel zu Real war zu den sechs Nationalspielern dieses Klubs durchgesickert; schnell verbreitete sie sich im WM-Quartier in Krasnodar. Sie rief gemischte Reaktionen hervor, noch ehe Rubiales von der Neuigkeit erfuhr: Der Verbandschef weilte in Moskau und wirkte dort wie ein machtloser Exilpräsident. Als Lopeteguis verrückter Wechsel auch dem Rest der Welt bekannt wurde und Hierro installiert war, bestellte er Julian Calero als Assistenten nach Russland - und bat Carlos Marchena, Weltmeister 2010, die Rolle von Hierro als Mittler zwischen Team und Verband zu übernehmen.

Vor allem aber rief Hierro die Mannschaft zusammen. "Ich kann aller Welt in die Augen schauen. Ich habe getan, was ich tun musste", sagte er. Und einen kleinen Traum hat er auch: so erfolgreich zu sein, wie es sein einstiger Vorgänger als Trainerassistent bei Real Madrid, Zinédine Zidane, später als Chefcoach wurde. Der Franzose wurde vor wenigen Tagen mit Real zum dritten Mal Champions-League-Sieger, ehe er dort blitzartig den Dienst quittierte und die Turbulenzen erst auslöste.

"Wenn mir jemand sagen sollte, dass ich der Zidane der Selección werde, würde ich sofort unterschreiben", sagte Hierro. Wer weiß: Zu verlieren hat er nichts, ein Fehlschlag würde allein dem Chaos angelastet, das Lopetegui und Real Madrid im Nationalteam ausgelöst haben.

© SZ vom 15.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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