Formel 1: Fernando Alonso:Achtung Baustelle!

Ferrari und Fernando Alonso zählen aufeinander - der Rennstall für seine Zukunft, der Fahrer für seine Karriere. Der wird jetzt allerdings unruhig.

René Hofmann

Die Appelle liefen ins Leere, natürlich. "Wir müssen jetzt ruhig bleiben", forderte Felipe Massa nach dem Großen Preis der Türkei am Sonntag. "Wir dürfen jetzt nicht zu emotional reagieren", sagte sein Vorgesetzter, Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali. Die Reaktion am nächsten Tag in den italienischen Zeitungen fiel dann aber doch so aus, wie es zu erwarten gewesen war: ziemlich aufgeregt und alles andere als emotionslos. "Ferrari steckt mitten in der Krise", verkündete die Gazzetta dello Sport, "ein Desaster" hatte Tuttosport gesehen. "Roter Alarm" meldete die Repubblica, der Corriere dello Sport hörte am Firmensitz in Maranello "die Alarmglocken" läuten.

F1 Grand Prix of Istanbul - Practice

Zu 800. Mal ging Ferrari in Istanbul bei der Formel 1 an den Start. Fahrer Fernando Alonso fuhr nur auf Platz acht - und blieb damit nicht nur hinter seinen Erwartungen zurück.

(Foto: Getty)

Siebter wurde der Brasilianer Massa im Speed Park bei Istanbul, sein Teamkollege Fernando Alonso erreichte als Achter das Ziel. Bei dem Spanier, der im Winter mit enormen Ambitionen von Renault kam, sorgte das unüberhörbar für Frust: "Unser Ziel ist es, mit McLaren und Red Bull ums Podium zu kämpfen und definitiv nicht, uns mit Renault, um den achten Platz zu streiten", sagte der 28-Jährige und fordert eine Trotzreaktion von der Mannschaft: "Jetzt ist es an der Zeit zurückzuschlagen."

Lahm in den schnellen Kurven

Die mäßige Punkteausbeute hatte sich bereits in der Qualifikation angedeutet. Massa schaffte es nur mit Mühe unter die besten Zehn, Alonso verpasste als Zwölfter die letzte Runde des Ausscheidungsfahrens. "Mehr steht uns momentan nicht zu", sagte Alonso. Und: So werde das nichts mit dem Titel. Die Autos seien im siebten der 19 Saisonrennen schlicht nicht konkurrenzfähig gewesen, gibt Chris Dyer zu, dessen Job es ist, als Technikchef die Rundenzeiten auf den Bildschirmen am Kommandostand im Auge zu behalten. Dort konnte er sehen: Vor allem in den schnellen Kurven waren die roten Autos deutlich langsamer als die dunkelblauen von Red Bull und die chromfarbenen von McLaren.

Zwar führen auch die Ferrari inzwischen den sagenumwobenen und F-Schacht genannten Windkanal im Auto mit, der auf den Geraden die Strömung am Heckflügel abreißen lässt und so für weniger Windwiderstand und ein höheres Tempo sorgt. Aber der Nachbau des von McLaren erfundenen Systems hat viele Kapazitäten gebunden. Nach den Motorenproblemen, die in den ersten Saisonrennen aufgetreten waren, ist das schon die zweite große Baustelle. Weil auch von den anderen Toppiloten bisher keiner makellos blieb, sind Alonso und Massa in der Fahrerwertung als Vierter und als Siebter mit 14 bzw. 26 Punkten Rückstand auf Spitzenreiter Mark Webber (93 WM-Punkte) zwar noch in Schlagdistanz, die tatsächlichen Kräfteverhältnisse aber gibt besser das Konstrukteurs-Klassement wider: Dort ist Ferrari mit 146 Zählern klar dritte Kraft hinter McLaren (172) und Red Bull (171)- eine Position, die nicht zum Anspruch passt.

Warten auf die neue Ära

Mit einem pfeilschnellen Auto und dem neuen Anführer Alonso wollte die Scuderia in diesem Jahr die Schmach von 2009 vergessen machen, als sie vorgeführt wurde, weil andere Teams den Trick mit dem Doppeldiffusor im Heck schneller begriffen. Runde Zahlen sind immer ein Beleg dafür, dass etwas ganz Besonderes ansteht, und so ist es kein Zufall, dass der Wagen in diesem Jahr F10 getauft wurde. In der Türkei stand zudem der 800. Grand Prix für den Rennstall an, worauf der mit einer extra Lackierung auch hinwies. Zu dem Anlass hatte Firmenpräsident Luca di Montezemolo allen ehemaligen Fahrern seines Stalls einen Brief geschrieben. In dem hieß es: "Wir wissen, dass wir Teil einer großartigen Geschichte sind, die nach wie vor weitergeschrieben wird." In so einem Moment ist es besonders bitter, wenn ein Kapitel geschrieben wird, das nicht wirklich großartig ausfällt.

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Während der Spanier Fernando Alonso Ferrari wieder nach vorn fahren soll, kann der Brasilianer Felipe Massa wieder auf eine Vertragsverlängerung hoffen.

(Foto: AFP)

Zeit und Kosten drängen

Dabei ist das Jahr eins von Alonso bei Ferrari das letzte, in dem die Traditionsmarke einen ihrer großen Vorteile ausspielen kann. Dank der großzügigen Zuwendung treuer Sponsoren kann sie immer noch rund 900 Leute beschäftigen. Im kommenden Jahr, wenn aus Kostengründen die Maximalzahl der Belegschaft begrenzt wird, droht eine Schrumpfkur. Dann lassen sich die Probleme nicht mehr mit den bewährten Mitteln lösen. Mercedes GP hat diesen Prozess schon hinter sich und kann der Zukunft deshalb trotz einer ähnlich tristen Gegenwart gelassener entgegensehen.

Alonso soll bei Ferrari eine neue Ära begründen. Aber im Vorbeigehen kann offenbar auch er die Vergangenheit nicht abstreifen. In den jüngsten zwei Rennen war der ein Jahr ältere Massa besser, der es zudem bei jedem Auftritt in diesem Jahr in die Punkteränge schaffte. Zum Dank könnte es bald doch klappen mit der lange fraglichen Vertragsverlängerung. Personalentscheidungen sind dabei nicht die dringlichsten, die anstehen. "Wir müssen jetzt aggressiver entwickeln", gibt Teamchef Stefano Domenicali die Richtung vor. Beim nächsten Rennen, Mitte Juni in Montreal, könnte die Streckencharakteristik den Roten helfen. Für das Rennen, das darauf in Valencia folgt, ist ein größerer Umbau am Auto geplant. "Wir hoffen, dass uns das wieder dorthin bringt, wo wir sein sollten", sagt Alonso.

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