Fed Cup:Wie der Tennis-Boom langsam gedeiht

Fed Cup: Als in Deutschland die Straßen noch leer waren: 1995 gewinnt Heinz Günthardts Spielerin Steffi Graf in New York die US Open.

Als in Deutschland die Straßen noch leer waren: 1995 gewinnt Heinz Günthardts Spielerin Steffi Graf in New York die US Open.

(Foto: Oliver Hardt/imago)
  • Wird Deutschland nach Kerbers Sieg in Melbourne wieder zur Tennis-Nation? Voraussetzung dafür wäre dauerhafte TV-Präsenz, sagt Heinz Günthardt.
  • Er muss es wissen, schließlich coachte er einst Steffi Graf und heute Deutschlands Fed-Cup-Gegner Schweiz.

Von Matthias Schmid, Leipzig

Heinz Günthardt fragte lieber noch mal nach. Er war sich nicht ganz sicher, ob er die Anekdote auch verstanden hatte. "Aus welchem Material ist denn das Denkmal von Steffi?", vergewisserte sich der Schweizer Fed-Cup-Chef und frühere Trainer von Graf also bei der Pressekonferenz vor der Partie gegen Deutschland am Wochenende in Leipzig.

Es stellte sich dann heraus, dass es keine bronzene Statue ist, die der Sächsische Tennis Verband der 22-maligen Grand-Slam-Siegerin Anfang der Neunzigerjahre gewidmet hatte, sondern ein Gedenkstein aus Granit. "Deshalb haben wir diesen noch um einen Tennisschläger erweitert, damit er nicht aussieht wie eine Grabplatte", erzählte der ehemalige Präsident Wolfgang Lassmann.

Ob Angelique Kerber irgendwann mal ihrem eigenen Denkmal gegenüber stehen wird, kann im Moment niemand voraussagen. Günthardt glaubt zumindest, dass die 28-Jährige nach ihrem Sieg beim Grand-Slam-Turnier in Melbourne durchaus als deutsches Vorbild taugt. "Angelique hat definitiv Star-Appeal", sagt er, "weil sie sehr natürlich und erfrischend rüberkommt." Kerber ist erst die vierte deutsche Siegerin bei einem der vier bedeutenden Major-Turniere.

Es wird deshalb im Moment leidenschaftlich darüber diskutiert, welchen Einfluss dieser Triumph auf die Entwicklung des Tennissports hierzulande nehmen kann. Noch immer ist der Deutsche Tennis-Bund (DTB) mit rund 1,4 Millionen Mitgliedern der größte Verband der Welt, doch seit Jahren verliert er dramatisch an Spielern, Renommee und Attraktivität. Auf dem Höhepunkt waren 1994 rund 2,3 Millionen Mitglieder registriert.

"Ich hoffe, dass nun viel mehr Leute, vor allem Kinder zum Tennisschläger greifen und sich auch in Zukunft weiterhin für Tennis interessieren", sagt Kerber. Zumindest am Wochenende erfüllt sich ihr Wunsch. Der übertragende Sender Sat1 zeigt das Erstrundenspiel zwischen Deutschland und der Schweiz wieder im Hauptprogramm und nicht mehr in einem seiner Nischenkanäle.

Pressekonferenz vor Tennis Fed-Cup-Viertelfinale

"Nur mit Regelmäßigkeit und ständiger Präsenz kannst du dich für die Menschen interessant machen", sagt Heinz Günthardt.

(Foto: Jan Woitas/dpa)

Es wird jetzt viel davon abhängen, wie häufig Kerber und die übrigen deutschen Spielerinnen wie Andrea Petkovic, Sabine Lisicki und Julia Görges künftig im Fernsehen zu sehen sind. "Nur mit Regelmäßigkeit und ständiger Präsenz kannst du dich für die Menschen interessant machen", sagt Günthardt. Es komme dann gar nicht darauf an, ob ein Spieler auch gemocht werde: "Es reicht ja auch, wenn die Leute dich verlieren sehen wollen."

Bei Lisicki blieb der Aufschwung aus

Als Lisicki vor drei Jahren das Endspiel von Wimbledon erreichte, bekam man eine Ahnung davon, wie groß die deutsche Sehnsucht nach einer Grand-Slam-Turniersiegerin ist. "Da hatten wir uns einiges erhofft, aber die Nachhaltigkeit war nicht so groß", stellt die deutsche Fed-Cup-Chefin Barbara Rittner fest. Das Pflänzchen erwies sich nicht als robust genug, um aus dem Trümmerhaufen zu einer schönen Blume zu wachsen.

Lisicki verlor das Finale und die Öffentlichkeit wieder das Interesse an der Sportart. Diese hatte sie zu den Zeiten von Becker, Graf und Michael Stich stundenlang vor den Fernseher geführt, der selbst auf den Platz - "weil sie diesen besonderen Kick, den Ausbrauch aus dem Alltag erleben wollten", sagt Günthardt.

Der 56-Jährige war in den fetten Jahren an der Seite von Graf selbst dabei. Er hat miterlebt, wie jedes Match seiner Spielerin im Fernsehen zu sehen war. Er hat mitbekommen, wie sich Tennis in Deutschland zu einer heißen Ware entwickelte, zu einer Spekulationsblase, an der viele mitverdient haben. Es wurden aberwitzige Verträge abgeschlossen, mit denen die Entscheider im DTB um Präsident Claus Stauder Millionensummen einsackten.

Allein die deutschen Turniere in Berlin und Hamburg galten als Lizenz zum Gelddrucken - und brachten rund 15 Millionen Mark Gewinn ein. Jährlich. Die Entwicklung führte sogar dazu, dass die DTB-Macher ein Angebot von ARD und ZDF über 125 Millionen Mark ablehnten.

Die Summe war ihnen zu niedrig. Die Fernsehrechte für die Jahre 1995 bis 1999 gingen deshalb an die Hamburger Agentur Ufa Sports, die noch einmal 45 Millionen mehr zahlte. Selbst Ion Tiriac, ein Großmeister der Tennisvermarktung, hielt das damals für überzogen und sprach von einem "utopischen Deal". Er sollte Recht behalten, 1998 wanderten die Rechte an den Bezahlsender Premiere. Immer weniger Menschen schauten danach Tennis, die Sponsoren wandten sich anderen Sportarten zu. Die einhergehende Verschwendungssucht, unter anderem baute der DTB das Stadion am Hamburger Rothenbaum für 19 Millionen Euro aus, führte den Verband fast in die Insolvenz.

"Das waren keine normalen Zeiten", sagt Günthardt. Er hält sich mit Prognosen zurück, wie nachhaltig die Auswirkungen von Kerbers Grand-Slam-Sieg sein werden. Für ihn wäre es ein Erfolg, wenn ihre Spiele häufiger im Fernsehen zu sehen wären und die Mitgliederzahlen konstant blieben. Darauf hofft auch Kerber. "Es wäre schön, wenn jetzt alle wieder anfangen, vor dem Fernseher Tennis zu schauen." Am Samstag und Sonntag gegen die Schweiz bekommen sie Gelegenheit dazu.

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