Fechten:Die Sache mit der Sehne

Britta Heidemann, Deutschlands profilierteste Fechterin, scheitert bei der EM früh - nun muss sie mühsam die Punkte für eine Olympia-Qualifikation sammeln.

Von Volker Kreisl, Montreux

Emese Szazs hat die Finte geahnt. Am Anfang des zweiten Gefechtsdrittels hatte die Ungarin genug vom gegenseitigen Abwarten. "Leider hat sie meinen Plan durchkreuzt", sagt Britta Heidemann. Szasz hat attackiert und Dampf gemacht, sodass Heidemann auch attackieren und Dampf machen musste. Diese EM hatte gerade erst angefangen, der Tag war noch jung, aber das Gefecht wurde zu anstrengend für Heidemann. Genauer gesagt für ihre Achillessehne.

Mit der gesunden Sehne hat die Kölner Degenfechterin sämtliche großen Titel und haufenweise Medaillen gewonnen. Seit langem ist sie die profilierteste deutsche Fechterin, und doch ist Heidemann immer wieder in Bedrängnis. Ihre Karriere ist ein Auf und Ab, ein Wechsel zwischen Siegen in den großen Hallen und der Sorge, beim nächsten Mal dort nicht hinein zu dürfen. Nun, bei der EM in Montreux, kämpft sie mit ihrer Form, es geht wieder um die Frage, ob sie die Zulassung zu den nächsten Olympischen Spielen schafft.

Wer im Fechten das Höchste erreichen will, muss sich mühsam mit der Mannschaft qualifizieren, denn der Weg über das Einzel ist zu riskant. Das spüren bei der EM alle deutschen Topleute, die in den Einzeln früh scheiterten, Florettfechter Peter Joppich am Samstag und Degenfechter Jörg Fiedler am Sonntag. Alle müssen mit ihren Teams nun ein Jahr lang durch die Welt reisen und Punkte sammeln, und Heidemanns Degen-Frauen müssen sich meistens von hinten nach vorne arbeiten. Das hat viel mit dem manchmal instabilen Team zu tun, aber auch mit Heidemanns Problemen. Zurzeit ist die linke Achillessehne das Problem. Sie ist stark entzündet.

European Fencing Championships

Nicht bereit für ein langes Gefecht: Ihr Körper überließ Britta Heidemann (rechts) gegen Emese Szasz nur eine Taktik - und die scheiterte.

(Foto: Jean-Christophe Bott/dpa)

Fechter brauchen nicht nur die Hand, die die Klinge hält, sondern den ganzen Körper, sie denken mit dem Kopf, weichen mit dem Oberkörper aus, arbeiten mit den Beinen und besonders mit der Achilles- sehne. Und zwar mit jener des im Ausfallschritt hinteren Beines, mit dem man sich fortwährend zum Attackieren abstößt. Schnellt der Fechter in einer langen Trainingsperiode besonders viel hervor, dann wird die Sehne belastet, irgendwann schmerzt sie und verlangt eine Pause. Und wenn wegen der bevorstehenden wichtigen Wettkämpfe, der EM und einen Monat später der WM in Moskau, eine Pause nicht drin ist, dann antwortet die Sehne mit einer Entzündung. Nun hat Heidemann wieder ihr vorolympisches Dilemma. "Ich habe Pech gehabt", sagt sie, "ich habe im April für die Saison sehr viel trainiert, und irgendwann ist das gekippt."

Bei der EM setzen die Deutschen ganz auf die Teamwettkämpfe, die am Dienstag beginnen

Im Einzel ist sie nun also an der ungarischen Weltranglistenersten Emese Szasz früh gescheitert, aber das Einzel hat eine geringere Bedeutung im Vergleich zum Teamwettkampf am Dienstag. "Wir haben hehre Ziele" sagt Heidemann, "wir wollen jetzt von EM und WM so viele Punkte mitnehmen, dass wir auf gutem Weg Richtung Olympia sind." Das Team von Bundes- trainer Piotr Sozanski will es nicht so spannend machen wie in der Qualifikation für London 2012, als erst beim letzten Weltcup im Winter die nötigen Punkte beisammen waren. Ideal wäre es, wenn es Heidemann, Ricarda Multerer und Monika Sozanska in Montreux und Moskau ins Viertelfinale schafften, das bedeutete in der Weltrangliste einen Sprung nach oben, vorbei an den europäischen Gegnern. Denn bei der EM gibt es doppelt, bei der WM sogar dreimal so viele Punkte wie bei einem Weltcup.

Britta Heidemann

"Ich habe im April für die Saison sehr viel trainiert, und irgendwann ist das gekippt", sagt Heidemann zu ihren Problemen mit der Achillessehne.

(Foto: Marius Becker/dpa)

Bedeutsam für diesen Plan könnte nun der Umstand werden, dass Heidemann es zwar immer wieder spannend macht, aber in Bedrängnis Nervenstärke zeigt. Sie war ja 2012 als Hauptdarstellerin am olympischen Halbfinalkrimi von London beteiligt, einem Wettkampf, der sich über Stunden hinzog, weil ihre Gegnerin Shin A Lam aus Südkorea eine fehlerhafte Zeitmessung monierte und einen Sitzstreik auf der Planche veranstaltete. Heidemann hatte den letzten Treffer in letzter Zehntelsekunde gesetzt, und am Ende Olympiasilber gewonnen. Danach waren sich alle einig: Wenn es brenzlig wird, dann wächst sie.

Eng wird es manchmal auch, weil sie sich stark jenseits des Sports engagiert. Sie studiert, gibt Seminare in China, schreibt Bücher, sie wirkt als Botschafterin für die Krebshilfe, überbringt aber auch den Fußball beim deutschen Pokalfinale. Als sie im vergangenen Sommer als TV-Reporterin im deutschen Camp über die WM-Verfassung der Fußballer berichtete, zweifelten viele Fecht-Reporter an der WM-Verfassung der Fechterin Heidemann. Nur zwei Wochen später holte sie in Kasan Silber. Heidemann kann sich für die entscheidenden Momente in Form bringen, sie kann mit etwas Taktik und Erfahrung Mängel ausgleichen, und wer weiß, vielleicht hätte sie es auch schon bei dieser EM in Montreux weiter geschafft, wenn sie nicht so früh auf Emese Szasz gestoßen wäre.

Die Ungarin wäre eine schlechte Weltranglistenerste, hätte sie die Finte nicht durchschaut. Natürlich wusste Szasz von der Sehne, und sie wusste, dass Heidemann kein langes Gefecht aushielt. Auch, dass diese nur deshalb so passiv focht, damit der Referee sie bestraft und gleich zum zweiten Drittel und vielleicht auch zum letzten Drittel übergeht, wo sie in kürzester Zeit dann alles riskieren würde. "Es hat nicht ganz geklappt", sagt Heidemann. Der Referee hat wie gewünscht reagiert, Szasz nicht. Nun erholt Britta Heidemann sich und schont ihre Achillessehne für das Team am Dienstag, an dem alles von vorne beginnt.

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