FC St. Pauli:Volksfest für den Norden

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Mit Typen und Kompetenz: Die Bundesliga darf sich auf St.Paulis Rückkehr einstellen - der Kiezklub ist gereift und stabiler denn je.

Jörg Marwedel, Hamburg

Dieses zweite Tor in der 63.Minute hatte, wenn man es mit etwas Phantasie betrachtete, etwas von jenem Treffer, den die Münchner Weltstars Franck Ribéry und Arjen Robben unlängst in Manchester aufgeführt hatten. Nur, dass Charles Takyi keine Ecke geschossen, sondern nach dem Dribbling den Ball mit Ribéryscher Präzision zurück an die Strafraumgrenze geschlenzt hatte, auf Marius Ebbers. Der Torjäger wiederum hat, anders als der Holländer Robben, den Ball mit der Brust gestoppt, bevor er ihn per Dropkick ins Tor trat.

"Fußballgott" haben die Fans des FC St.Pauli nach dem 3:0 beim Zweitliga-Gipfel am Millerntor gegen den FC Augsburg gerufen, die bislang höchste Auszeichnung für Ebbers, der auch das 3:0 erzielte und derzeit als eine Art Robben der zweiten Liga daherkommt. St.Pauli-Sportchef Helmut Schulte hat nach diesem "genialen Tor" den Bundestrainer Joachim Löw sogar aufgefordert, seinen WM-Kader noch einmal zu überdenken.

War natürlich nur ein Witz des vergnügten Herrn Schulte. Zum Nationalspieler wird es der mittlerweile 32 Jahre alte Ebbers nicht mehr bringen, aber zumindest die Rückkehr ins Oberhaus, in dem er schon mal für Duisburg, Köln und Aachen spielte, wird nun immer wahrscheinlicher. Das Tor zur Bundesliga, hat er selbst gesagt, sei jetzt "einen Spalt weit offen". Man müsse nur noch hindurchgehen.

Vier Punkte und das bessere Torverhältnis sind bei vier noch ausstehenden Spielen ein gutes Polster gegenüber dem Tabellendritten Augsburg. Auch das Restprogramm spricht eher für den Tabellenzweiten aus Hamburg, der noch die Mittelfeldteams Union Berlin, Fürth und Paderborn sowie den Abstiegskandidaten Koblenz vor sich hat - während die Augsburger neben Abstiegskandidat FSV Frankfurt noch auf 1860 München, den MSV Duisburg als Konkurrenten um Rang drei und am letzten Spieltag auswärts auf den vermutlichen Zweitliga-Meister 1. FC Kaiserslautern treffen.

Einen Vorgeschmack auf die Neuauflage des Freudenhauses in der ersten Liga gab es am Montagabend schon. Nicht nur, weil die im August fertige, neue Haupttribüne in ihren Konturen allmählich erkennbar ist. "Wir sind Zecken, asoziale Zecken, wir schlafen unter Brücken...", so hat ein Teil der St. Pauli-Fans die politische Botschaft der sozial Benachteiligten herausgebrüllt. "Nie mehr zweite Liga" wurde natürlich auch intoniert. Und als sich das Team nach dem Match minutenlang feiern ließ, wurde vor den Hintergrundgeräuschen des Hamburger Frühlings-Doms, dem größten Volksfest des Nordens, die Hymne "You'll never walk alone" angestimmt. Man darf sich also trotz mancher Auseinandersetzungen zwischen den Fangruppen und dem Verein erneut auf eine andere Farbe in der ersten Liga freuen.

Schon jetzt stellen sich manche Profis vor, was im Mai passieren wird, wenn der Aufstieg und das Jubiläum des dann 100Jahre alten Kiezklubs zu einer einzigen Party verschmelzen. "Das wird vieles übersteigen, was man sich vorstellen kann", ahnt Ebbers, denn "es ist ja St.Pauli." Präsident Corny Littmann freut sich ebenfalls schon "auf das Chaos". Er möge das, wenn nicht mehr alles zu kontrollieren sei, versicherte der Comedian und Unternehmer.

Er selbst hat viel dazu beigetragen, dass es im sportlichen und wirtschaftlichen Bereich inzwischen so wenig Chaos gibt, dass man dem FCSt.Pauli nach dem Aufstieg diesmal durchaus Chancen auf mehr als ein Jahr im Oberhaus einräumen kann. Nie ging es dem Klub auch finanziell besser als jetzt. Littmann hat den 2003 beinahe bankrotten Verein mit ungewöhnlichen Retteraktionen wiederbelebt. Und er hat mit den früheren St.Pauli-Profis Holger Stanislawski und André Trulsen als Profitrainer, Stefan Studer als Chefscout, Joachim Philipkowski als Nachwuchsboss, bald auch Hans-Jürgen Bargfrede (dem Vater von Werder-Profi Philipp Bargfrede) als Jugendcoach sowie dem früheren Trainer Helmut Schulte als Sportchef Kompetenz mit alter Verbundenheit installiert. Und anders als 2001 nach dem letzten Bundesliga-Aufstieg, als der Verein viel Geld in Durchschnittsspieler investierte, sollen nun nur sehr gezielt Verstärkungen geholt werden. Vermutlich für die Abwehr und das defensive Mittelfeld.

Typen wie Ebbers und Lehmann

Die Mannschaft, zu der derzeit fünf Nachwuchs-Nationalspieler gehören, ist in den dreieinhalb Jahren unter dem kreativen Fußballlehrer Stanislawski gereift: Man rennt trotz offensiver Spielweise nicht mehr nur an wie ein Rudel gefräßiger Wölfe. Man wartet auch einmal, bis der Gegner den ersten Fehler macht. So wie gegen den FC Augsburg, der in der ersten Halbzeit das bessere Team war. Dann aber nutzte Matthias Lehmann den ersten Schnitzer der Augsburger in der 51. Minute mit einem scharfen Flachschuss aus 16 Metern zum 1:0. "Spieler wie Matze", urteilte Stanislawski, "machen den Unterschied aus." Lehmann sei ganz klar einer für die Bundesliga; er habe "das gewisse Etwas".

In solchen entscheidenden Spielen würden die Chefs die Tore schießen, sagte Sportchef Schulte. Typen eben wie Torjäger Ebbers (17 Tore) und der Mittelfeldstratege Lehmann.

© SZ vom 14.4.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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