FC St. Pauli:Spirituelle Liebesgeschichte

Ewald Lienen

Ein sogenannter Wertebotschafter, der zu Hause trotzdem den Müll runterbringen muss: Ewald Lienen, 63.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)

Ewald Lienen wird Technischer Direktor bei St. Pauli, Olaf Janßen wird Trainer.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

Cheftrainer zu sein habe ihm zuletzt wieder "Riesenspaß" gemacht, verriet Ewald Lienen, 63, am Mittwoch. Und er habe auch immer noch genügend Kraft und Energie für diesen Job. Seinem 40 Jahre alten Präsidenten Oke Göttlich laufe er zum Beispiel immer noch locker weg, spöttelte der älteste Fußballlehrer der vergangenen Zweitliga-Saison. Den im Winter abgeschlagenen Tabellenletzten FC St. Pauli hat er mit der besten Pauli-Rückrunde aller Zeiten (34 Punkte) noch auf Rang sieben geführt, doch wie schon einige Monate zuvor, als die Hamburger als einziger Klub aus der unteren Tabellenhälfte den Trainer nicht entließen, gab es jetzt wieder eine Überraschung: Lienen ist ab sofort nicht mehr Coach des FC St. Pauli.

Die Arbeit übernimmt sein im Winter verpflichteter Assistent Olaf Janßen, 50, der einen Vertrag bis 2019 besitzt. Stattdessen übernimmt Lienen bei seinem Lieblingsklub den neu geschaffenen Posten des Technischen Direktors - und das bis mindestens zum 31. Dezember 2020. Diese Tätigkeit wiederum ist nicht vergleichbar mit der eines im Tagesgeschäft beschäftigten Managers; der wird weiterhin gesucht, um den Geschäftsführer Andreas Rettig zu entlasten. Während Rettig bei Lienen von einem "Aushängeschild mit großer Reputation" sprach, beschrieb ein schreibender St. Pauli-Fan Lienens neuen Wirkungsbereich so: "Spiritueller Leiter Millerntor."

Das ist nicht so falsch. Lienen soll, so Göttlich, "die sportliche Expertise" verstärken und die künftige Ausrichtung mitbestimmen. Er übernimmt die Tätigkeit des Mentors für die Jugendtrainer, ist zuständig für internationale Kooperationen (wo es bald zwei Vertragsabschlüsse gebe) und für Sponsorenbetreuung. Vor allem aber soll er ein "Werte-Botschafter" werden, der für die gesellschaftliche Verantwortung des Klubs in besonderer Weise zuständig ist. Ziel sei es, "dass ich irgendwann an der Außenministerkonferenz teilnehme", witzelte Lienen. Er habe jedenfalls viele Ideen, um die vielfältigen sozialen und politischen Aktivitäten noch auszuweiten.

Tatsächlich sei das "eine Liebesgeschichte" zwischen dem FC St. Pauli und Ewald Lienen, sagt Präsident Göttlich. Lienen, der frühere Kandidat der Friedensliste, kämpft wie der Klub gegen den entfesselten Kapitalismus im Fußball, gegen Sexismus und macht sich stark für eine Demokratie, die gegen Autokraten wie Trump, Erdogan oder Putin angehe. Und weil Lienen zu den Pauli-Fans immer einen besonderen Draht hatte, gab es selbst in schlimmsten sportlichen Zeiten nie "Lienen-raus"-Rufe. Im Gegenteil: Nach dem 3:1-Sieg im letzten Spiel beim VfL Bochum haben ihn die 5000 mitgereisten Anhänger noch einmal hochleben lassen.

Daraufhin hat der von seinem alten Job Abschied nehmende Trainer (die Öffentlichkeit wusste nur noch nichts davon) sogar ein kleines Tänzchen hingelegt. Und das, obwohl er gegen jede Art von Personenkult ist. Jedenfalls "theoretisch", wie er jetzt einräumte. Natürlich hat es ihm auch gefallen, wie er in den zweieinhalb Jahren als Pauli-Trainer gefeiert wurde; im ersten Halbjahr hatte er das Team schon einmal vor dem Abstieg gerettet, vergangene Saison schrammte er als Tabellenvierter nur knapp am Aufstieg in Liga eins vorbei.

Die Geschichte, die er dazu erzählte, passt. Er habe immer gedacht: "Wer ist dieser Ewald Lienen, von dem da gesungen wird? Muss ja ein Riesentyp sein", grinste er, um die Episode dann zu einem für ihn typischen Ende zu bringen: "Ich kam dann nach Hause, hab mich als Riesenhengst gefühlt, und meine Frau sagte nur: 'Bring mal den Müll runter'."

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