FC Schalke 04:Naldo bestimmt die Elfmeterschützen

FC Schalke 04: In der Schalker Innenverteidigung so was wie der Fels in der Brandung: Ronaldo Aparecido Rodrigues, 35, genannt: Naldo.

In der Schalker Innenverteidigung so was wie der Fels in der Brandung: Ronaldo Aparecido Rodrigues, 35, genannt: Naldo.

(Foto: Günter Schiffmann/AFP)

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Rudi Völler wird über Naldo garantiert niemals sagen, dass er den Fußball nicht geliebt hätte. Vor anderthalb Monaten hat Naldo den 35. Geburtstag gefeiert, aber er denkt so gar nicht ans Aufhören, er denkt stattdessen an den großen Zé Roberto, der mit 43 immer noch das Publikum in Brasilien erfreut, oder an seinen alten Kameraden Claudio Pizarro, der sich kürzlich dem 1. FC Köln angeschlossen hat und mit 39 davon träumt, im nächsten Sommer mit der peruanischen Nationalelf bei der WM in Russland zu spielen. Auf die Frage "Wie lange noch?" gibt also Naldo eine Antwort, die Völlers Gebot, den Sport bis zum Äußersten auszuleben, doppelt und dreifach erfüllt. "So lange wie möglich", lautet sie, und das hört man gern in Gelsenkirchen.

Als Naldo vor knapp anderthalb Jahren aus Wolfsburg nach Schalke kam, galt das einerseits als gelungener Einstandscoup für Manager Christian Heidel und andererseits als Anlass für kritisches Raunen. Ein alter Herr für den Neuanfang? Nicht weniger skeptisch fielen manche Reaktionen aus, als Benedikt Höwedes im Sommer das Weite suchte, weil sich, auch wegen Naldo, für ihn kein Stammplatz in der Abwehrreihe fand.

Der nächste Vertrag mit Schalke ist bereits in Sicht

Doch während Höwedes bei Juventus Turin verletzungshalber immer noch auf den ersten Einsatz wartet, hat Naldo mit Schalke noch keine Spielminute verpasst, und wenn nun nach Gründen für die zarten Aufwärtstendenzen bei den Königsblauen geforscht wird, dann kommt zwar mit Recht der junge Trainer Domenico Tedesco ins Gespräch. Am altgedienten Abwehrchef führt aber, topfit, wie er ist, ebenfalls kein Weg vorbei. Der nächste Vertrag mit Schalke ist bereits in Sicht: Er verlängert sich automatisch bei einer bestimmten Zahl von Einsätzen.

Tedesco und Naldo sind zunächst ein widersprüchliches Paar. Hier der Chefcoach mit der Erfahrung von ein paar Monaten Profifußball, dort der um drei Jahre ältere Fußball-Methusalix mit 460 Einsätzen auf Deutschlands und Europas Fußballfeldern. Bisher ist es eine denkbar gelungene Beziehung. Man duzt sich, das war in Bremen mit Thomas Schaaf und in Wolfsburg mit Dieter Hecking aber auch schon so. Was Tedesco sportlich von Naldo hält, das ergibt sich aus der Aufstellung, doch wenn der Spieler über den Trainer redet, dann kommt es einem nahezu peinlich vor, die stets bedenkenvoll diskutierte Altersfrage thematisiert zu haben. "Ich lerne von ihm: nach vorne gehen, vorne verteidigen, Aufbauspiel, Standards", sagt Naldo, "der Trainer redet viel mit uns, er fragt immer nach, ob es der richtige Weg ist, was er macht. Er ist ein intelligenter Mensch mit sooo viel Begeisterung."

Begeisterung, das muss man wissen, ist eine zentrale Vokabel in Naldos (stattlichem) deutschem Wortschatz, sie wird auf alle möglichen gelungenen Lebenslagen angewendet. Begeisterung empfindet er beim Training ("macht immer Spaß"), in der Kabine sowie ganz generell auf Schalke, wo nun obendrein eine kaum zu beherrschende Euphorie um sich greift, da man am Freitagabend gegen den Tabellen-Zehnten Mainz 05 nicht weniger als den zweiten Sieg hintereinander schaffen kann.

Sollte Schalke das nicht schaffen, und sollte daran nicht zufällig eine übermenschlich gute Leistung der Mainzer schuld sein, dann könnte es passieren, dass sogar Naldo schlechte Laune bekommt. "Aber nur ein paar Minuten", wie er zugeben muss. Länger kann er das charakteristische Lächeln nicht verbannen. Es heißt, dass man in Gelsenkirchen-Buer öfter eine Nachtigall beobachten kann als einen mies gelaunten Naldo.

Naldo setzt ein Beispiel für die Jungen

Das Leben hat es offenbar gut gemeint mit Ronaldo Aparecido Rodrigues. Als Fußballer war er ein Spätentwickler. Sein Vater hatte das Talent zwar gleich erkannt, zu Hause in Londrina im Süden Brasiliens, aber eben deswegen hat er den Sohn nicht mitspielen lassen, wenn er sich mit Freunden zum Fußball traf. Fragten die Freunde warum, dann antwortete der Vater: "Weil ihr zu schlecht seid für ihn. Er soll eines Tages Profi werden." Erst mit 17 trat Naldo, bis dahin Hallen- und Straßenkicker, einem Verein bei. Der Vater war da schon gestorben. Mit 21 spielte er erstmals in der brasilianischen Liga, vier Tage nach seinem 23. Geburtstag erstmals in der Champions League. Mit Werder Bremen gegen den FC Barcelona. Als Jugendlicher habe er über den Wunsch seines Vaters noch gelacht, sagt er, aber er weiß jetzt, woran es liegt, dass sich der Wunsch erfüllt hat: "Du brauchst mehr als Talent - du musst Profi sein. Viele Spieler, die Talent haben, schaffen es deshalb nicht."

Für Tedesco ist Naldo nicht nur wegen der umfassenden Qualitäten als Verteidiger und wegen des zur Programmatik passenden spielerischen Vermögens ein Geschenk. Ein Mann mit seiner Biografie setzt auch ein Beispiel für die Jüngeren, und wenn es darum geht, die Dinge auf dem Platz zu regeln, dann ist Naldo eine natürliche Instanz. Er sieht sich nicht als Chef ("Ich bin nicht so ein autoritärer Mensch"), aber er ist es trotzdem. Zum Beispiel am vorigen Samstag in Berlin, als sich Franco di Santo den Ball zum Strafstoß griff, und Naldo stattdessen Leon Goretzka zum Schützen bestimmte, obwohl der noch nie einen Elfmeter geschossen hatte. Goretzka sei gut drauf, fand er, und so eine Elfmeterübung werde ihm fürs weitere Leben sicher gut tun. So fielen dann quasi zwei Tore: eins für Schalke, eins für den Schützen.

So darf es weitergehen, findet Naldo. Am besten noch viele Jahre.

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