FC Liverpool:Im Rausch der wilden Nächte

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Vergangenheit und Gegenwart des FC Liverpool: Die Mannschaft von 2005 feiert den Champions-League-Gewinn - errungen im Elfmeterschießen gegen den AC Mailand. (Foto: Imago)
  • Kein englischer Verein hat so oft die Champions-League bzw. den Europapokal der Landesmeister gewonnen wie der FC Liverpool.
  • Der Klub zieht seine Kraft aus den Emotionen - Jürgen Klopp weiß das perfekt zu kanalisieren.
  • Allerdings wird sein Team im Champions-League-Halbfinale gegen die AS Rom kein Außenseiter sein.

Von Sven Haist, Liverpool

Nichts läuft beim FC Liverpool ohne Drama ab. Den Hang zur Gefühlsduselei hat sich der Verein in seiner 125 Jahre langen Geschichte stets bewahrt, er steht damit in Kontrast zu diversen Konkurrenten aus der Premier League, die sich mehr und mehr zu Siegmaschinen entwickeln - und dabei mit einer Aura der Unnahbarkeit zu umgeben versuchen. Bereits das Handauflegen des deutschen Trainers Jürgen Klopp auf den Liverbird löst bei Liverpool-Fans eine Glückseligkeit aus, als würde ein gewonnener Pokal berührt werden. Die mythische Kreatur, eine Kreuzung aus Adler und Kormoran, gehört zu den Kennzeichen der Hafenstadt - als Kern des Vereinsemblems ist es auf jedes Outfit gedruckt. Auf Höhe der linken Brust, dort, wo sich beim Menschen das Herz befindet.

Wer die Reds in ihrer Sentimentalität verstehen möchte, muss ihre Chronik kennen. Um den Liverbird herum sortieren sich im Logo die Symbole und Schriften, die den Liverpool Football Club ausmachen. Zwei Flammen erinnern an die 96 Menschen, die bei der Katastrophe im April 1989 im Hillsborough, dem Stadion des Zweitligisten Sheffield Wednesday, ihr Leben verloren. Und die mit Eisenschnörkeln versehenen Shankly-Gates sind dem legendären Bill Shankly gewidmet, der Liverpool einst zu drei englischen Meisterschaften führte. Das darunter platzierte "You'll never walk alone" ist jene Hymne, die inzwischen auch in vielen anderen Stadien der Welt angestimmt wird. Der tief in der Gesellschaft verwurzelte Klub zieht seine Inspiration aus Triumphen und Tragödien. Das vermittelt ein Gefühl von Zusammenhalt und Stärke - und in dieser Saison stehen die Reds, die Roten, mal wieder besonders eng zusammen.

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Nach zehn langen Jahren hat es Liverpool mal wieder bis ins Halbfinale der Champions League geschafft. Unter den letzten vier Teams nimmt der Tabellendritte der Premier League die Rolle der Unberechenbaren ein - denen sich an diesem Dienstag die AS Rom stellen muss. An der Anfield Road kann es für die Gäste erst einmal nur ums Verteidigen gehen. Das sollte die Lehre aus den zurückliegenden Runden sein, in denen Liverpool das Weiterkommen jeweils mit mehreren Toren bereits in der ersten halben Stunde der Partie klargemacht hatte. Die Angriffe ließen sich für die Gegner nicht kontrollieren, weil sie so schnell einschlugen wie der Blitz. Immerhin kennen die Römer Mohamed Salah, den mit 41 Treffern in 46 Pflichtspielen besten Torschützen der Reds in dieser Saison. Bis zu seinem Wechsel im Sommer für knapp 40 Millionen Euro spielte der soeben zu Englands Fußballer des Jahres gewählte Ägypter für die Italiener.

Fünf Mal hat Liverpool die wichtigste Trophäe in Europas Klubfußball gewinnen können: 1977, 1978, 1981, 1984 als der Wettbewerb noch Europacup der Landesmeister hieß, und einmal, 2005, als er schon in Champions League umbenannt worden war. Fünf Triumphe - kein anderer englischer Klub hat eine solche Bilanz. Auch deshalb besitzen die Europacup-Nächte in Liverpool besonderen Glanz. Zumal sie nicht mehr Englands Rekordmeister sind, nachdem sie in dieser Rolle vor sieben Jahren von Manchester United abgelöst wurden. Seit 1990 wartet Liverpool zunehmend ungeduldig auf den nächsten Ligagewinn, selbst in der Saison 2013/14 reichte es nicht, obwohl die Roten kurz vor Saisonende einen komfortablen Vorsprung zu haben schienen. Über das tragische Scheitern half einzig der Gedanke hinweg, dass es den Klub schon schlimmer erwischt hatte.

Die ersten ausländischen Investoren der Klubgeschichte, die Amerikaner Tom Hicks und George Gillett, wirtschafteten den FC Liverpool nach der Übernahme im Februar 2007 sukzessive herunter, bis dreieinhalb Jahre später Schulden in Höhe von etwa 280 Millionen Euro nicht mehr beglichen werden konnten. Der Klub stand kurz davor, den Hauptgläubigern von der Royal Bank of Scotland (RBS) in die Hände zu fallen, einem Finanzinstitut, das sich infolge der damaligen Kreditkrise in öffentlichem Besitz befand. Das britische Volk wäre auf diese Weise zu Beteiligten an den Reds geworden, ein Albtraum für die stolzen Fans. Im letzten Augenblick half ein anderer Amerikaner, John W. Henry mit seinem Unternehmen Fenway Sports Group, der den Klub aufkaufte. Mit Henry als Eigentümer, dem auch die Boston Red Sox im Baseball gehören, hat sich Liverpool konsolidiert. Weil das jedoch nicht genügt, um die finanziell besser gestellten Rivalen auf dem Transfermarkt zu überbieten, haben die Reds sich vorgenommen, künftig geschickter zu agieren als ihre Widersacher.

Für die Umsetzung des Plans haben die Klubbosse im Oktober 2015 in Jürgen Klopp einen anerkannten Spezialisten beauftragt, der bei Mainz 05 und Borussia Dortmund bewiesen hat, dass er aus der Rolle des Außenseiters heraus die Favoriten ärgern kann. In Liverpool ist ihm das jetzt erneut gelungen, seine Spieler dürfen sich auf dem Rasen austoben, dass es oft eine Freude ist. Ihr wild wirkender Stil begeistert das Publikum und verwirrt die Gegner - wie im Viertelfinale Manchester City. Es regiert die Abenteuerlust - und nicht die Perfektion. Im Duell mit dem AS Rom um den Einzug ins Finale der Königsklasse am 26. Mai in Kiew möchte Liverpool diese Energie der Emotion wieder für sich nutzen. Egal ob das gelingt oder nicht: Ein Drama wird es sicher.

© SZ vom 24.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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