FC Bayern:Wie aus Kimmich ein Anführer wurde

Bayern Muenchen v Darmstadt 98 - DFB Cup

Der Lieblingsschüler von Trainer Pep Guardiola: Joshua Kimmich

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Von Christof Kneer

Am Dienstag war Hansi Flick beim FC Bayern zu Besuch. Der DFB-Sportdirektor macht in seiner Rolle als Funktionär fast noch mehr Kilometer als früher auf dem Feld, und schon da war er so viel herumgekommen, dass er sich in der sehr schönen Sportsprache der Achtzigerjahre das Prädikat "fleißiges Lieschen" erwarb.

Flick muss gerade eine Menge organisieren zwischen den Strafräumen der Bundesliga, es gibt einfach viel zu viele gute Spieler im Land. Man muss das ja alles besprechen: Welches Talent könnte man Horst Hrubesch fürs olympische Turnier anbieten, welches dieser Talente will Joachim Löw vielleicht schon für die EM haben, und was halten die Vereine davon?

Am Dienstag haben sie an der Säbener Straße natürlich auch über einen Spieler debattiert, den plötzlich alle haben wollen, und am Ende der Debatte stand eines fest: Nein, Joshua Kimmich wird nicht erst mit der A-Elf zur EM fahren und dann mit der Olympia-Elf nach Rio reisen und parallel mit dem FC Bayern die Saisonvorbereitung, den DFB-Pokal und die ersten Ligaspiele bestreiten. Grund: Kimmich ist zwar ein Mittelfeldspieler, der auch Innen- und vielleicht bald Außenverteidiger spielt. Aber er kann halt nicht überall sein.

Irgendwer hat gerade die Vorspultaste gedrückt in der Karriere von Joshua Kimmich, 21. Als er vorigen Sommer nach München kam, haben sie im Umfeld dieses stolzen Vereins ein wenig dahergegrantelt: Was is'n des für oana? Sieben Millionen für einen, der erst mal a g'scheide Brotzeit braucht?

Und nur ein Dreivierteljahr später muss dieser schmale Mensch schon einen Zweikampf führen, den er vermutlich selbst nicht erwartet hat. Seit ein paar Wochen kämpft Kimmich gegen die Reflexe des modernen Fußballs, der jedes Talent, das drei seriöse Spiele macht, sofort als das nächste große Ding im Weltfußball feiert.

Kimmich ist cool, das war er immer schon

Seit Pep Guardiola die möglicherweise ansteckende Verletzungsepidemie in seiner Innenverteidigung mit der Erfindung des Innenverteidigers Kimmich gekontert hat, ist um den jungen Mann ein Hype entbrannt, den man vermutlich nur kontrollieren kann, wenn man Joshua Kimmich ist. Kimmich ist einer, der im eigenen Strafraum einen dreisten Lupfer über Paul Pogba spielt (wie im Hinspiel in Turin), Kimmich ist cool, das war er immer schon. Aber zu seiner Coolness gehört auch, dass er eines ganz genau weiß: Er macht noch Fehler (wie im Hinspiel in Turin). Er ist noch lange nicht das große Ding, das manche schon in ihn hineinfantasieren. Aber, und auch das weiß er sehr präzise: Er will das schon mal werden. Und übrigens, er traut sich das schon auch zu.

Kimmich sei "ein süßer, süßer Junge", hat der komische, komische Trainer des FC Bayern kürzlich gesagt, aber das hat ihn wenig später nicht davon abgehalten, vor diesem niedlichen Kerlchen eine besorgniserregende Show abzuziehen. Guardiolas Glotz-Motz-und-Streichel-Einheit nach dem Dortmund-Spiel ist schon jetzt legendär, und die Auflösung dieses irren Rätsels war am Ende enttäuschend simpel.

Guardiola wollte von Kimmich nur wissen, warum er sich nicht an die neue Positionsdefinition gehalten habe, die er ihm vom eingewechselten Medhi Benatia hatte übermitteln lassen. Wer Guardiola kennt, weiß: Solche Ausbrüche widmet er nur Spielern, die es ihm wert sind.

"Ein Wettkampf- und Gewinnertyp"

Im Achtelfinal-Rückspiel gegen Juventus Turin wird es auch vom Aushilfs-Innenverteidiger Kimmich abhängen, ob Guardiola die Bayern weiter in jenem Wettbewerb coachen darf, der mehr denn je als Maßstab für Peps Münchner Jahre gilt. Wer Kimmich auf seine Verantwortung fürs Bayern-Spiel anspricht, bekommt ein paar mustergültige Sätze aus jener Benimmfibel zu hören, die vermutlich in den Nachwuchsleistungszentren ausliegt. Kimmich kann das gut: sein Selbstbewusstsein so tarnen, dass es wie Demut klingt.

Menschen, die ihn näher und länger kennen, erzählen dagegen von einem Spieler, der innen anders aussieht als außen. Außen ist Kimmich optimistisch gemessene 1,76 Meter groß, er wiegt optimistisch ermittelte 70 Kilo; aber innen drinnen ist der junge Mann offenbar ein Schwerathlet.

"Er hat das gnadenlos diszipliniert durchgezogen"

Als "Wettkampf- und Gewinnertyp" hat Joachim Löws Assistent Thomas Schneider den jungen Kimmich mal beschrieben, so hat er ihn einst bei den U17-Junioren des VfB Stuttgart kennengelernt; eine Formulierung, die fast wortgleich auch heute beim FC Bayern fällt. Die U17 gilt unter Nachwuchstrainern als entscheidender Jahrgang; man bekommt am Anfang riesige Kinder angeliefert, und wenn sie die U17 verlassen, sind aus ihnen Männer geworden, deren Perspektive sich recht verlässlich abschätzen lässt.

In Stuttgart erzählen sie, in diesem U17-Jahr habe sich Kimmich extrem entwickelt, über erhöhte Trainingsumfänge und ständige Einsätze habe sein Körper Substanz aufgebaut, und schon in der U17 haben die Stuttgarter jene Mentalität gespürt, von der in München jetzt auch der Mentalitätsexperte Matthias Sammer schwärmt. Sieben Trainingseinheiten pro Woche plus Schule plus DFB-Auswahlmaßnahmen: Mit gnadenloser Disziplin hat Kimmich das damals in Stuttgart durchgezogen, die Pädagogen aus dem VfB-Internat erzählen noch heute beeindruckt von diesem klar strukturierten Lerner, der sich von keiner Trainingseinheit und keiner DFB-Reise daran hindern ließ, ein Eins-Komma-Abitur zu schreiben.

Offenbar handelt es sich beim kleinen Kimmich um eine mentale Wuchtbrumme, die gut zu jenem Verein passt, der laut Satzung ausschließlich selbstbewusste Profis beschäftigt. Als Drei-Komponenten-Kimmich haben die Bayern ihn verpflichtet, er sollte kurzfristig zum Kader gehören, mittelfristig in die Stammelf rücken und langfristig zum Führungsspieler aufsteigen. Umständehalber ist Kimmich nun schneller als erwartet in der Mittelfristigkeit angekommen, aber ein Rückfall in die Kurzfristigkeit ist nicht ausgeschlossen.

In der neuen Saison ist er wieder im Mittelfeld eingeplant, die Konkurrenz heißt dann Alonso, Vidal, Thiago und Martínez. Der Kimmich werde sicher Nationalspieler, hat Guardiola kürzlich gesagt, und es liegt nun also an Joachim Löw, Hansi Flick und Horst Hrubesch, ob Kimmich kurz-, mittel- oder langfristig in der A-Elf landet.

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