FC Bayern:Was die Bundesliga von Pep gelernt hat

FILE - Pep Guardiola Set To Leave Bayern Muenchen At The End Of The Season GNK Dinamo Zagreb v FC Bayern Munchen - UEFA Champions League

Peps Kader? Immer "super, super" oder "uuuueeeberraaagend".

(Foto: Alexander Hassenstein)
  • ​Pep Guardiola hat den Fußball in Deutschland verändert.
  • Ein Rundgang durch die Bereiche Mode, Taktik, öffentliches Auftreten und die Kunst zu loben.

Von Jonas Beckenkamp und Thomas Hummel

Als der FC Bayern am Sonntag bekanntgab, dass Pep Guardiola seinen im Sommer auslaufenden Vertrag nicht verlängern wird, ging in diesem Moment noch keine Ära zu Ende. Aber es wird doch ein Einschnitt werden - und die Beobachter werden in den kommenden Monaten noch genauer hinschauen. Wofür steht dieser Spanier, was hat er geprägt? Neun Dinge.

Peps Taktiken

4-4-2, 4-2-3-1, abkippende Sechs, vertikal rotierender Rautenraumspieler - diese Begrifflichkeiten treiben Menschen in modernen Zeiten mehr um als früher. Damals galt: "Geht's naus und spuit's Fußball." Heute gilt: Keine Formation ist in Granit gemeißelt. Guardiola betrachtet Taktik als etwas Fluides, als stets anpassbare Stellschraube. Wenn er eine Schwachstelle beim Gegner entdeckt, ist er in der Lage, sein Team fundamental umzukrempeln - die Liga musste lernen, dass das auch während eines Spiels mehrfach möglich ist. Da kann es vorkommen, dass Philipp Lahm plötzlich auf Rechtsaußen herumflitzt oder Javi Martínez im Sturm. Den Höhepunkt erreichte das ständige Rochieren (fast nie ließ Guardiola zweimal nacheinander mit derselben Aufstellung spielen) bei der Partie gegen Ingolstadt am 16. Spieltag: Ein Zettel mit Anweisungen wanderte auf dem Feld durch die Hände der Spieler und nach kurzer Verwirrung schossen die Münchner prompt zwei Tore in neuer Anordnung. "Wir wollten nicht nur einen Spieler wechseln, sondern drei oder vier. Da ist es einfacher, wenn ein Spieler mit den anderen kommuniziert, als wenn ich jeden Spieler raushole", erklärte Zettel-Pep.

Ein Trainer darf sich schick kleiden

War ja schon ein Riesenaufreger damals, die Nummer mit Peps zerrissener Buchse im Spiel gegen Porto. Das edle Designerstück italienischen Fabrikats war vor lauter Emphase an der Seite zerfetzt. Und so fuchtelte Guardiola an der Seitenlinie herum, während sich interessante Einblicke offenbarten: Dieser Mann von Welt trägt natürlich keine ausgefransten Boxershorts. Er trägt eng Anliegendes von Calvin Klein. Schwarz. Feinst verarbeitet. Niemals würde sich dieser Ästhet untenrum (und obenrum schon gar nicht) in einen Fetzen aus der Billigboutique gewanden. Guardiola variiert auch seine Anzüge. Frack, Röhrenschnitt, mal mit V-Kragen, mal lässiger - und schließlich opulente Schals und Mäntel. Ein ziemlicher Kontrast zur Unerschrockenheit eines Jürgen Klopp, der selbst in England gerne im Pöhler-Geschlabber herumhopst. Die Bundesliga lernte also von Pep: Wer sich schicken Fußball ausdenkt, darf sich auch schick kleiden. Karl Lagerfeld und anderen Damen gefällt das.

Loben Sie alle!

Im Bayern-Kader einen Profi zu finden, den Guardiola nie mit den Worten "top, top", "super, super" oder "uuuueeeberraaagend" bedacht hat, ist unmöglich. Aber es gab Abstufungen. Über Joshua Kimmich sagte er: "Er ist fast mein Sohn." Jérôme Boateng fand er "der Wahnsinn" und Mario Götze "liebe" er ohnehin. Sogar Doktor Müller-Wohlfahrt hielt Guardiola für einen "wunderbaren Arzt", ehe er ihn irgendwann nicht mehr so wunderbar fand und ihn seiner Wunderbarkeit überließ. Und da deutet sich an, wie das mit dem Schwärmen bei ihm funktioniert. Lob ist bei Guardiola nicht gleich Lob, denn er lobt grundsätzlich erst einmal alles und jeden. In der Bundesliga-Geschichte ist er sicherlich der größte Menschenschwärmer. Ein Meister des viel Sagens ohne viel zu sagen. Ganz am Anfang, da erlaubte er sich ein selten klares Statement: "Thiago oder nix", sagte Pep, als die Bayern zögerten, seinen Landsmann zu holen. Ihn findet er tatsächlich: noch superer als alle anderen. Ihn kritisiert er sogar offen: "Er muss lernen." Ein wahrer Liebesbeweis.

Vor SchiedsrichterInnen sind nicht alle gleich

Wann Guardiola mal richtig unsouverän war? Selten, denn es gab ja kaum Grund dazu. Beim Stand von 5:0, 6:0 oder 7:0 steigt der Puls eben nicht mehr automatisch wie im Ernstfall. Aber zwei Szenen mit Referees bleiben von Guardiola in Erinnerung: Da war sein Rumpelstilzchen-Tanz vor den Augen der vierten Offiziellen Bibiana Steinhaus. Beim Spiel in Gladbach ließ sie den Katalanen wie einen kleinen Kläffer neben sich herbellen. Mehr Nachspielzeit oder Einflussnahme auf den Schiedsrichter? Nicht mit ihr. Sie wischte seine umarmende Hand trocken weg. Und da war Guardiolas Sprint-Tirade im Spiel gegen Schalke. Ein aberkanntes Tor ließ den Wüterich toben - und zwar weit außerhalb seiner Coaching-Zone. Konsequenzen blieben beide Male aus. Eine Tatsache, über die sich später der Hoffenheimer Coach Markus Gisdol mächtig aufregte. Die Liga musste lernen: Nicht alle Trainer sind gleich vor dem Gesetz.

Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle

Pep Guardiola ist in Santpedor in den siebziger Jahren aufgewachsen. Man kann davon ausgehen, dass damals ein Junge mit einem Ball der König war auf dem Bolzplatz. Oder ein armer Hund, wenn nämlich die größeren Jungs kamen und ihm die Kugel wegnahmen. Vielleicht kam ihm damals schon seine Spielidee: Wir müssen den Ball haben! Die Idee des Katalanen hat ja was Perfides: Wir lassen die anderen einfach nicht mitspielen, weil wir immer den Ball haben. Weil ihm der FC Bayern Spieler zur Verfügung stellt, die diese Idee bisweilen beängstigend gut umsetzen können, sorgt das für Frust und Resignation beim Gegner. Guardiola will Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle - er hasst es, wenn ein Fußballspiel aus den Fugen gerät. So wie beim 1:3 kürzlich in Mönchengladbach. Sein Ziel deshalb: "Hundert Prozent Ballbesitz? Wenn das möglich ist, will ich das!"

Abwehrspieler? Braucht man nicht!

Abwehrspieler, das war in Deutschland mal ein sehr angesehener Beruf. Er kam knapp hinter Ingenieur, aber weit vor Innenminister. Pep Guardiola hat hier stillschweigend eine Kulturrevolution ausgelöst. Er schafft die Abwehr ab. Er war selbst Mittelfeldspieler. Vielleicht kommt daher die Vorliebe für diese Spezies. Manchmal hat man den Eindruck, er würde am liebsten mit elf Mittelfeldspielern antreten. Er hat in Barcelona die falsche Neun erfunden, die Bundesliga überrumpelte er mit falschen Außenverteidigern. Und im Grunde steht ja in seinem Münchner Tor auch ein Mittelfeldspieler. Gut, ein paar Flügeldribbler oder einen Thomas Müller hat er schon ganz gerne (obgleich es auch da Krisen gab). Doch Abwehrspieler setzt Guardiola nur unter Zwang ein. Gegen Köln zum Beispiel spielte er im 2-3-5-System, wobei einer der beiden Verteidiger der Mittelfeldspieler David Alaba war. Mehr Defensive war schlicht nicht nötig, weil der Gegner kaum die Mittellinie überquerte.

Pep, der nie Zufriedene

Den Römern kam dieser Fußballtrainer bald seltsam vor. Dessen Münchner hatten ihren stolzen AS Rom in Grund und Boden kombiniert. Hatten "Such's Balli!" mit den Gastgebern gespielt, sie überrannt, zerrupft und kaum etwas von ihr übrig gelassen. Doch der Trainer verbreitete schlechte Laune. 7:1 hatte der FC Bayern in der Champions League im Stadio Olimpico gewonnen. Es war eine von so vielen Demütigungen, die Guardiolas Team den Gegnern angetan hatte. Dennoch war er gerade nach großen Siegen stets bemüht, noch irgendwelche Kritikpunkte zu finden. In Rom etwa fragte ihn sein Mediendirektor Markus Hörwick vor der größtenteils italienischen Presse tatsächlich, was seine Mannschaft gut gemacht habe. Gut? In Pep Guardiolas Stirn bildeten sich Falten: "In den ersten 20, 25 Minuten der zweiten Halbzeit haben wir nix gut gemacht. Sie hatten drei, vier klare Chancen. Wir hatten Glück, weil Manu ist der Beste." Manu, der Beste, ist sein Torwart Manuel Neuer. Guardiola war sehr schlecht gelaunt. Der Einwand, da sei es doch schon 5:0 gestanden, trug nicht zur Stimmungsaufhellung bei. Ein Italiener fragte, ob seine Mannschaft das perfekte Spiel gezeigt habe. Fast grimmig antwortete Guardiola: "Für mich gibt es kein perfektes Spiel." So viel zum Erfolgsrezept dieses Perfektionisten.

Doktor Pep

Wer ist schuld, wenn ein Spieler verletzt ist? Der Trainer? Der Schicksalsgott? Der Spieler selbst? Oder vielleicht doch: der Arzt? Diese Frage führte beim FC Bayern unter Pep Guardiola zu einem denkwürdigen Machtkampf. An dessen Ende der ewige Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt kündigte. Das war nach dem 1:3 in der Champions League in Porto, wo "aus uns unerklärlichen Gründen die medizinische Abteilung für die Niederlage hauptverantwortlich gemacht" wurde, wie der Doktor schrieb. Guardiola macht gar kein Hehl daraus, dass er verletzte Spieler so schnell wie möglich auf dem Platz zurückwünscht. Wie jemand, der ein kaputtes Auto in die Werkstatt fährt und drängt, es möge bitte noch diese Woche fertig werden, weil am Samstag eine wichtige Reise ansteht. Ob Guardiola am Ende der Sieger ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Wie im vergangenen Jahr sind wieder viele wichtige Profis verletzt. Für den Trainer sei das "ein Mysterium". Die Beispiele häufen sich allerdings, in denen sich lange lädierte Spieler nach kurzem Einsatz wieder verletzen. Standen sie zu früh wieder auf dem Platz? Wer ist schuld daran? Guardiola soll zuletzt mit Müller-Wohlfahrts Nachfolger Volker Braun gestritten haben. Was man daraus lernt? Auch ein Trainergenie kann nicht alles kontrollieren.

Pep, der Unnahbare

Frage: Wie oft hat Guardiola in seiner Zeit in München ein Interview gegeben? Ein richtiges, ausgeruhtes Fachgespräch mit Reportern einer Zeitung oder vom Fernsehen? Antwort: Null. Die Liga musste vom scheuen Katalanen lernen, dass er öffentlich nur spricht, wenn er muss. Bei Pressekonferenzen, nach Spielen mit den zahlenden TV-Sendern, bei Fanklub-Treffen - hier sehen es die Spielregeln vor. Sonst gab er den Schweigsamen, den Geheimnisvollen, was seiner Aura nicht schadete. Weil er ja (fast) immer gewinnt. So entstanden die beiden einzigen nennenswerten Redesituationen des Katalanen bei einem Termin mit einem Bayern-Sponsor ("Audi Magazin") und beim Weihnachtsbesuch bei den "Bazis Vilsbiburg". Dort philosophierte der gut gelaunte Pep frei und unterhaltsam wie selten.

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