FC Bayern vor dem Champions-League-Finale:Die Mannschaft denkt im Rechteck

Klaus Augenthaler, FC Bayern München, Fußball Champions League

"Die Mischung stimmt, fußballerisch wie menschlich": Klaus Augenthaler, langjähriger Kapitän der Bayern

(Foto: Joern Pollex/Getty Images)

Trainer Jupp Heynckes hat alles im Griff, die Mischung bei den Bayern stimmt - und Javi Martínez, der oft unauffällig bleibt, ist im Mittelfeld besonders wirkungsvoll. Erkenntnisse, die für einen Münchner Sieg im Champions-League-Finale sprechen.

Ein Gastbeitrag von Klaus Augenthaler

Der Zustand vor so einem Finale ist schwierig zu erklären. 1990, als ich mit der Nationalmannschaft in Italien Weltmeister geworden bin, herrschte eine ganz besondere Stimmung. Die Mannschaft war eine Einheit und hat zusammengehalten. Das ist beim FC Bayern in dieser Saison auch so, denke ich. Rund um die beiden Anführer Schweinsteiger und Lahm ist diese Bayern-Mannschaft in ihrer Qualität und Breite immer mehr gewachsen.

Deswegen hat der FC Bayern diese überzeugende Leistung in der Bundesliga abgeliefert, und es ist auch kein Zufall, dass er schon wieder im Champions-League-Finale steht. Die Mischung stimmt, fußballerisch wie menschlich, das macht dieses Team so stark. So konstant stark.

Zu meiner Zeit war es so, dass du 13, 14 Spieler gehabt hast, die die erste Mannschaft ausgemacht haben, dahinter kamen drei, vier Jüngere, die froh waren, überhaupt dabei zu sein. Heutzutage hast du als Trainer auf diesem Niveau 22, 23, 24 fast gleichwertige Spieler, was die Gefahr bringt, viele Unzufriedene im Team zu haben. Aber Jupp Heynckes hat diese Aufgabe sehr, sehr gut in den Griff bekommen: Es wirkt so, als ob er einen speziellen Geist in diesem Team aufgebaut hat. Es wird natürlich den einen oder anderen Unzufriedenen gegeben haben, aber das ist nie nach außen gedrungen. Was in der Mannschaft gesprochen wurde, blieb intern. Das ist nicht selbstverständlich.

Der Druck jetzt ist natürlich enorm. Weil jeder glaubt, dass die Bayern dieses Endspiel gewinnen werden, weil sie ja schon in der Meisterschaft so souverän durchmarschiert sind. Aber die ganzen Rekorde, auch ein eventueller Pokalsieg neben der Meisterschaft, die könnten mit einer Niederlage weggewischt sein. Von so einem Druck kannst du dich nicht freimachen, alles fokussiert sich jetzt auf dieses eine Spiel, dieses Finale.

So wie im Vorjahr, da war ganz München rot-weiß. Aber das ist ja das Faszinierende am Fußball: dass er nicht berechenbar ist. Auch wenn jeder denkt, er könne abschätzen, wie es ausgeht. Spiele um einen Titel aber werden durch Kleinigkeiten entschieden: Die Tagesform, falsche Pässe und gelungene Einzelaktionen - durch eine Unmenge an Dingen, die gar nicht abzuschätzen sind.

Umso wichtiger ist es, dass der FC Bayern in diesem Jahr nicht den einen oder die zwei Spieler hat, auf die sich alles konzentriert. Egal, wer anfängt in diesem Spiel: Alle wissen, dass sich die ganze Saison in Wembley verdichtet, dass sie alles geben müssen. Mit den Beinen, mit dem Kopf, mit der Stimme, mit jeder Faser.

Bewunderung für Martínez

Als Spieler habe ich früher auf dem Platz sehr vielgeredet und dirigiert. Als zentraler Defensivspieler war ich viel und laut unterwegs. Manchmal war ich vom Reden mehr kaputt als vom Laufen, und meine Stimme war heiser. Aber wer stumm spielt, gibt einige Prozent aus der Hand. Wenn ich da höre, dass sich Bastian Schweinsteiger und Javier Martínez viel austauschen und ihre Kommandos untereinander haben, finde ich das gut.

Als Martínez zu den Bayern kam, musste er sich ja vielen Fragen stellen, allen voran: Wie kann man 40 Millionen Euro für einen defensiven Mittelfeldspieler ausgeben? Solche Wahnsinnssummen werden sonst nur für offensive Spieler aufgerufen, so ist eben der Markt. Von diesen Summen muss ein Spieler sich freimachen, wie soll er auch dieses Geld rechtfertigen? Wie soll er belegen, was er wert ist oder einspielt?

Herausragende Offensivspieler wie Ribéry oder Robben haben ihre Aktionen und ihre Tore, aber ein Spieler wie Martínez, dessen Aktionen oft unauffällig, aber fast immer wirkungsvoll sind, der ist das Juwel im Dunkel. Die Bayern haben in dieser Saison die mit Abstand wenigsten Gegentore kassiert, was mit ein Verdienst von ihm ist.

Auch auf die Außen wird es ankommen, nur mit starken Außen ist eine Mannschaft in der Offensive flexibel. Stark auf Außen heißt: offensiv wie defensiv, dann gehören dir die Flügel. Ribéry hat bewiesen, dass er inzwischen nach vorne wie nach hinten denkt, auch Robben hat sich jetzt oft in den Dienst der Mannschaft gestellt. Diese Bereitschaft zur Teamarbeit einzufordern, versteht Heynckes in dieser Saison sehr gut. Er hat zum Abschluss alles andere ausgeblendet, er denkt nur noch im Rechteck.

In diese Bereitschaft, völlig aufzugehen im Spiel, muss man reinwachsen. Zu meiner Zeit als Bayern-Profi habe ich rot-weiß gedacht. Derjenige, der länger beim FC Bayern ist, der spürt dieses Denken. Ribéry etwa hat sich in der Vergangenheit einiges geleistet, aber der FC Bayern hat ihn immer aufgefangen. Er weiß, dass der Klub seine Familie ist. Und langjährige Bayern wie Schweinsteiger oder Lahm, die sind nicht nur wichtige Spieler, die haben dieses rot-weiße Gen in sich, das sie auch an die anderen, die neuen Spieler weitergeben.

Das Entscheidende dabei ist: Wenn du einen Kern von Spielern hast, die länger dabei sind, dann impft der die anderen mit diesem Gefühl, das ein Verein verkörpert. Beim FC Bayern ist das eben: Es zählen nur Titel. Und der Gewinn der Champions League, die beim FC Bayern mit so vielen Erlebnissen und Gefühlen verbunden ist, der zählt umso mehr. Das musst du nicht kommunizieren, das spürt ein Spieler beim FC Bayern.

Die dramatische Niederlage im vergangenen Jahr gegen Chelsea sollte die Spieler nicht beschweren - sie sollte motivieren. Nach dieser Niederlage ist jedenfalls beim FC Bayern wieder eine Gier zu spüren, die jede Widrigkeit im Finale wegstecken sollte. Die Bayern wollen diesen Titel und sind bereit, dafür jeden Aufwand zu leisten. Das werden die Zuschauer spüren.

Wenn du als Spieler am Finaltag zum Stadion fährst, bist du am Anfang vielleicht beeindruckt von dieser Masse aus Beton und von diesem Brummen, das die Zuschauer verursachen. Aber nach wenigen Minuten hast du das ausgeblendet, du siehst nur noch dieses Rechteck und den Ball, deine Mitspieler und die Gegner. Und beim FC Bayern werden sie diese Gier spüren, diesen Hunger. Ich wünsche ihnen nichts mehr, als dass er gestillt wird.

Protokoll: Kathrin Steinbichler

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