FC Bayern verliert in Hannover:"Pinto gehört nach L.A. zur Oscar-Verleihung"

Die Abteilung Attacke des FC Bayern präsentiert sich in bestechender Form: Klubpräsident Uli Hoeneß und Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge springen ihrem Rotsünder Jérôme Boateng vehement bei. Sie wollen das stabile Gebilde unter Trainer Jupp Heynckes auch nach dem 1:2 gegen Hannover 96 mit aller Macht bewahren.

Carsten Eberts, Hannover

Das Spektakel begann, als Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge gemeinsam die Mixed Zone der Arena in Hannover stürmten. Das passiert höchst selten, genau genommen nie, da sich die Bayern-Bosse stets abstimmen, wer nach einer Partie seine Statements absondert und wer eben nicht. Meist spricht Rummenigge - und Hoeneß zieht stumm von dannen.

FC Bayern verliert in Hannover: Zwei gegen Pinto: Präsident Uli Hoeneß und Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge keilten nach dem 1:2 gegen Hannovers Spieler.

Zwei gegen Pinto: Präsident Uli Hoeneß und Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge keilten nach dem 1:2 gegen Hannovers Spieler.

(Foto: imago sportfotodienst)

Diesmal nicht. Da zürnte Rummenigge, wenige Meter weiter echauffierte sich Hoeneß, immerhin hatten sie ein gemeinsames Ärgernis: den Hannoveraner Pinto. "Das ist eine Sauerei erster Güte, das ist unanständig", klagte Rummenigge. Hoeneß polterte nebenan: "Der tut, als ob er schwer verletzt ist, und dann rennt er wieder wie ein Wiesel. Das ist ein Schauspieler, der gehört nach Los Angeles zur Oscar-Verleihung." Wer die häufig zitierte "Abteilung Attacke" in diesen ruhigen Münchner Tagen vermisst hatte: Da war sie wieder - und zwar in ganz hervorragender Form!

Die Szene, die die Münchner so erhitzte, hatte sich zwei Stunden zuvor abgespielt: in der 28. Minute jener Sonntagabendpartie, die die Bayern am Ende 1:2 (0:1) verlieren sollten. An der Seitenlinie stellte Bayerns Rafinha die Fußsohle quer, Hannovers Pinto nahm die Gelegenheit an, flog darüber, wälzte sich über den Platz, kugelte sich. Gewiss ein-, zweimal mehr, als es unbedingt nötig war.

Augenblicklich tummelten sich zahlreiche Spieler auf sehr wenigen Quadratmetern Grün. Wer wen schubste, war schwer zu überblicken. Bayern-Verteidiger Jérôme Boateng war behende mit dabei, auch Toni Kroos, dazu ein Hannoveraner Mannschaftsarzt und 96-Spieler Christian Schulz. Boateng und Schulz lieferten sich den heftigsten Zwist. Für die Schiedsrichter war die Situation kaum zu durchschauen. Nach langer Beratung entschied Referee Manuel Gräfe: Gelb für Schulz, Rot für Boateng. Die Partie kippte damit, nicht unwesentlich, zugunsten von Hannover.

Natürlich wissen Hoeneß und Rummenigge am besten, dass sie mit dröhnenden Statements nach dem Spiel wenig erreichen (außer vielleicht die Zeitungen zu füllen). Das Spiel drehen sie nicht zurück, den vermeintlichen Schauspieler Pinto bringen sie vor kein Sportgericht dieser Welt. Was sie dennoch versenden: ein Signal nach außen. Sie wissen, dass ihre Mannschaft unter Trainer Jupp Heynckes ein stabiles, funktionierendes Gebilde ist. Das wollen sie mit aller Macht bewahren.

Die Verteidigungsstrategie kam einem seltsam bekannt vor: Schon vor wenigen Wochen, als Verteidiger Breno mutmaßlich sein eigenes Haus angezündet hatte, äußerte Hoeneß harsche Kritik an der Münchner Staatsanwaltschaft. Die ist wohlgemerkt ein staatliches Organ und ein anderes Kaliber als nun Pinto. Hoeneß vergriff sich dennoch im Ton: "Das ist eine absolute Katastrophe", sagte Hoeneß. Gemeint war der Umstand, dass Breno für einige Tage in Untersuchungshaft gesteckt wurde: "So etwas Unglaubliches habe ich schon lange nicht mehr gehört. Gute Nacht, Deutschland, wenn das unser Land ist."

Spannende Bundesliga durch die Münchner Niederlage

Natürlich sind ein Haftbefehl und eine rote Karte im Fußball grundverschiedene Dinge. Dass die Beweislast gegen seine Angestellten in beiden Fällen erdrückend war, hielt den Präsidenten jedoch nicht davon ab, energisch Partei für seine Profis zu ergreifen. Nicht, weil Breno und Boateng schuldlos waren - sondern weil es die Gelegenheit war, seine Schützlinge zumindest ein wenig aus der Schussbahn zu nehmen. In Hannover sagte Hoeneß noch: "Pinto hat das ganze Spiel mit seiner Schauspielerei durcheinandergebracht. Wie der heute Nacht schlafen kann, möchte ich wissen." Zu Boatengs Nachtruhe? Kein Wort. Dann rauschte er davon.

Was nicht vergessen werden darf: Natürlich war Boatengs rote Karte in der 28. Minute berechtigt. Grundlos war er in das Rudel um den sich wälzenden Pinto gestürmt, schrie diesen erst an, schubste dann den 96-Arzt, danach Christian Schulz. "Da hat er nichts zu suchen", bestätigte auch Trainer Jupp Heynckes. Einzig das Maß schien nicht zu stimmen: Auch Schulz hatte sich einiges zuschulden kommen lassen - doch er sah lediglich die gelbe Karte.

Der Fall Boateng war jedoch nur ein Beispiel dafür, dass für die Münchner an diesem Abend ziemlich vieles schieflief. Toni Kroos traf erst das Lattenkreuz, dann stellte sich Philipp Lahm beim Elfmeterfoul recht tölpelhaft an (Abdellaoue traf zum 1:0, 23. Minute).

Kurz nach der Pause rannte Luiz Gustavo so unglücklich in den Ball, dass das Spielgerät von seiner Hacke nach einer grotesken Flugkurve ins Tor tropfte (50.). In der Nachspielzeit hatten dann Schweinsteiger und Anschlusstorschütze David Alaba noch Chancen zum Ausgleich: Schweinsteiger traf den Pfosten, Alaba setzte einen Freistoß um Zentimeter vorbei.

Entsprechend war Heynckes nicht unzufrieden mit der Leistung seiner Mannschaft. "Man muss sagen, dass heute einiges gegen uns lief", sagte der Trainer und erklärte, er sei sogar zufriedener als bei manchem 5:0 oder 7:0 in dieser Saison: "Die Mannschaft hat gezeigt, dass sie auch zu zehnt versuchte, das Ergebnis zu korrigieren." Torwart Manuel Neuer ergänzte: "Von der Einstellung her war alles richtig. Da kann man uns nichts vorwerfen." Alleine Mario Gomez hätte an diesem Tag vier Tore schießen können - doch die Fortune, sie fehlte in Hannover.

Die Liga ist damit wieder etwas spannender. Meister Borussia Dortmund hat den Rückstand in der Tabelle auf drei Punkte verkürzt; das ist eine gute Nachricht für alle, die fürchteten, die Liga wäre bereits Mitte November entschieden. Grund zur Sorge haben die Bayern jedoch auch nicht: Sie haben in Hannover verloren, weil 96 eine wirklich gute Leistung zeigte. Und weil die Münchner in dieser Saison kein zweites Mal so viel Pech haben dürften.

Einer war dennoch untröstlich: Jérôme Boateng. Seine rote Karte sei "der Knackpunkt" gewesen, gestand er, auch wenn sich Pinto zuvor "sehr unsportlich" verhalten habe. Mit traurigen Augen stellte er sich den Fragen, was nicht unbedingt zu erwarten war, schließlich war es Boatengs bislang bitterster Abend im Bayern-Trikot.

Bevor er ging, sagte Boateng noch: "Das ist nicht fair, aber Fußball ist nicht immer fair." Das war, am Ende eines aufwühlenden Tages, fast schon ein philosophisches Finale.

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