Trainerentlassung beim FC Bayern:Die neun Sünden van Gaals

Zu offensiver Fußball, zu defensive Transferpolitik und eine Taktik, die beinahe jeder Gegner durchschaut. Neun Gründe, warum der Fachmann Louis van Gaal letztlich bei den Bayern scheiterte. In Bildern.

Moritz Kielbassa

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Saisoneroeffnung des FC Bayern Muenchen

Quelle: ddp

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Zu offensiver Fußball, zu defensive Transferpolitik und eine Taktik, die jeder Gegner durchschaut. Neun Gründe, warum der Fachmann van Gaal letztlich bei den Bayern scheiterte. In Bildern.

Menschlich manchmal schwierig, fachlich sehr gut - so urteilten die Bayern über Louis van Gaal im Hoch der Vorsaison. Der aktuelle Rauswurf beruht aber nicht nur auf den Reibungen zwischen dem knorrigen Trainer und den Bossen der familiären FC Bayern AG. Auch der Fußballlehrer van Gaal war längst angreifbar geworden. Das erste Jahr mit ihm bescherte dem sportlich rückständig gewordenen Verein Erfolge und erfrischende Impulse - im zweiten offenbarten sich zunehmend Schwächen im System. Die Entwicklung stagnierte, viele der gewagten Versuchsreihen van Gaals gingen in dieser Saison nicht auf. Neun Gründe für sein Scheitern:

FC Bayern Muenchen v VfL Wolfsburg - Bundesliga

Quelle: Bongarts/Getty Images

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1. Entwerteter Ballbesitz

Der Ballbesitz war van Gaals Leitkultur, sein Allerheiligstes. Der Plan war, das Spiel zu kontrollieren, den Ball viel öfter zu beschlagnahmen als der Gegner und die Kugel nach stereotypen Mustern kreiseln zu lassen: durch passen, passen, passen. An guten Tagen sah das begeisternd aus, eleganter als die von vielen Teams bevorzugte Schule effizienter Schnellangriffe. Es erinnerte an die Spielkunst von Spanien oder des FC Barcelona, nicht mehr an den spröden Ergebnisfußball der 1:0-Bayern. Doch zuletzt verkamen Ballbesitz und Positionsspiele oft zum Selbstzweck, van Gaals Stil wirkt dann wie Breitwandfußball, schematisch, ohne Tempo, rhythmische Wechsel und Geistesblitze. Gegner, die weitaus seltener am Ball sind, gewinnen. Und am Ende sind Titel fürs Briefpapier dem Klub doch wichtiger als hübsche Spielzüge.

Hannover 96's Abdellaoue scores against Bayern Munich during German Bundesliga soccer match in Hanover

Quelle: REUTERS

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2. Die Entschlüsselten

Einen Plan B oder C, etwa eine Variante mit zwei Mittelstürmern, gab es bisher selten. Statt Muffensausen zu haben wie früher, freuen sich die Trainer auf die Bayern als nächsten Gegner: Es fällt ihnen leicht, deren Spiel zu entschlüsseln, die Schwächen zu nutzen, die Stärken zu sabotieren: Kompaktes Verteidigen verhindert, dass die Münchner Passketten ein Ziel finden (wie zuletzt im Pokal gegen Schalke), forsches Pressing erstickt den Spielaufbau im Keim (Dortmund, in der Hinrunde Mainz); bei flinken Kontern stoßen Gegner mit Vergnügen in die Lücken und in den Rücken der weit aufrückenden, in großen Abständen zueinander stehenden Defensivspieler. Als ihn erstmals ein Trainer taktisch entblößte - Inter Mailands Mourinho im Champions-League-Finale 2010 - entfachte van Gaal eine Stildebatte. Doch sein Klagen über destruktive Gegner und das Preisen der eigenen Spielweise wirkte wehleidig.

FC Bayern Muenchen v Borussia Dortmund - Bundesliga

Quelle: Bongarts/Getty Images

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3. Gezähmte Flügelzange

Robben rechts, Ribéry links - das sind Bayerns schärfste, oft spielentscheidende Waffen; vor allem Robbens Traumtore ermöglichten die Triumphe 2010. In der Vorrunde waren beide krankgeschrieben, sicher ein Hauptgrund für das mäßige Abschneiden. Zuletzt jedoch waren auch die Rückkehrer Rib & Rob keine Dauer-Erlöser mehr, denn wer aus einem dicht besiedelten Mittelfeld gut nach außen verschiebt und sie doppelt, trippelt, quadruppelt - der kann auch dieses Duo aus dem Spiel nehmen, dann rennen sich die Dribbler fest. Andere Lösungen fehlen - Robbens Rote Karte im Spiel gegen den "Club" wiegt da umso schwerer.

FC Bayern Muenchen v Borussia Dortmund - Bundesliga

Quelle: Bongarts/Getty Images

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4. Offensivtrainer

Van Gaal liebt "mooie elftallen" - auf gut niederländisch: Teams, die attraktiv und offensiv spielen. Das ist ehrenwert, aber auch seriöses Verteidigen ist Teil des Spiels. Den Bayern fehlt häufig das taktische Gleichgewicht, van Gaal denkt und lehrt fast nur Vorwärtsfußball. Im Spielaufbau sind schlichte Lösungen verpönt, was zuweilen folgenschwere Ballverluste verursacht. Im zentralen Mittelfeld verzichtet er seit dem - berechtigten - Verkauf van Bommels oft auf einen robusten Stabilisator mit defensiver Kernkompetenz. Zugang Luiz Gustavo wäre so einer, er bewies das beim 1:0 in Mailand, wurde danach aber wieder in die Abwehr versetzt. Diese Abwehr wird von den Vorderleuten oft im Stich gelassen, ein Verteidigungskonzept für die gesamte Elf ist nicht ersichtlich, auch das Pressing wirkt schon länger halbherzig. Absurd sind die vielen Gegentore nach Standards, bei denen die im Schnitt recht geringe Körpergröße der Bayern auffällt: Schweinsteiger (1,83 Meter) verlor entscheidende Kopfballduelle gegen Dortmunds Hummels (1,92 m) und Schalkes Höwedes (1,88 m). Inter Mailand bolzte im Champions-League-Finale viele lange Bälle auf den Stürmer Pandew (1,84 m), der sich geschickt zu Außenverteidiger Lahm (1,70 m) gesellte. Zuletzt bat man van Gaal intern inständig, mehr Augenmerk auf die Defensive zu richten - ein spätes Umdenken.

Samuel Eto'o,  Breno

Quelle: AP

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 5. Baustelle Innenverteidiger

Seit dem Champions-League-Finale, als die Routiniers Demichelis und van Buyten an Grenzen stießen, ist die Innenverteidigung die größte Baustelle. Zwar war die Schmähkritik an Einzelnen oft unfair, dennoch war die Zahl grober Fehler hoch. Und eine zukunftsträchtige Lösung für die Abwehrmitte fand van Gaal nicht. Er will keine Ausputzer als Innenverteidiger - sondern Spielgestalter von hinten. An diesem Stellenprofil scheiterten unter anderem van Buyten und zuletzt der junge Breno, deren Pässe arge Streuung haben. Badstuber fiel in ein Leistungsloch, insgesamt probierte van Gaal diese Saison 13 verschiedene Viererketten aus. Stabilität sieht anders aus.

Hannover 96 - FC Bayern München

Quelle: dpa

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6. Der junge Torwart

Der Torwarttausch im Winter - Kraft, 22, für Butt, 36 - war eine mutige, sportlich vertretbare, menschlich harte Entscheidung. Kraft zeigte weitestgehend seriöse bis sehr gute Leistungen. Im Trainer-Endspiel von Hannover jedoch führte sein Patzer zum 1:3. Van Gaal pflegte mit der Rochade seine Paraderolle als Jugendwart. Am Samstag wurde Kraft mit seinem erneuten Patzer beim Nürnberger Ausgleich auf tragische Weise zum Symbol des Scheiterns.

Hannover 96 v FC Bayern Muenchen - Bundesliga

Quelle: Bongarts/Getty Images

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7. Strittige Personalien

Ohne die Dauerpatienten Ribéry und Robben bastelte sich van Gaal im Herbst eine Notelf, die solide spielte, aber Konstruktionsmängel hatte: Er zog zwei Spieler von jenen Idealpositionen ab, auf denen er sie zu Weltklasse hatte reifen lassen: Schweinsteiger wechselte vom zentralen ins offensive Mittelfeld, Müller mühte sich auf den Flügeln statt als Freigeist in der Mitte, während die Schaltzentrale blass besetzt wurde (Pranjic, Ottl). Auch Timoschtschuk und Zugang Gustavo agierten nicht auf ihren Lieblingsposten. Mit diversen trotzig anmutenden Aufstellungen machte sich der Trainer das Leben unnötig selbst schwer.

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Quelle: AFP

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8. Verzicht auf Verstärkungen

Das Defensivste an van Gaal ist: seine Transferpolitik. Sein Zutrauen zum hauseigenen Nachwuchs war ein charmanter, lohnender Ansatz, im Sommer 2010 aber übertrieb er's. Obwohl die WM physisch nachwirkte, lehnte er starke Zugänge ab: Sami Khedira fürs Mittelfeld oder Fabio Coentrao für die Schwachstelle links hinten. Stets verwies van Gaal auf den eigenen Kader. Während der Klub traditionstreu investieren wollte, sagte der Coach: lieber sparen und ausbilden! Eine bizarre Rollenverteilung. Den Kader verschlankte er, bis kaum noch Konkurrenzkampf möglich war. Sogar Torjäger Gomez hätte er im August ziehen lassen. Manche Reservisten stehen seit Monaten fest (Klose, Altintop, van Buyten). Auf Verstärkungen in der Abwehr zu verzichten, war ein Geburtsfehler dieser Saison.

Bayern Munich's head coach van Gaal watches warm-up before German Bundesliga soccer match in Hanover

Quelle: REUTERS

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9. Wenig Emotion

Van Gaal verkörpert Lehrplanfußball, nichts Schlechtes. Aber man vermisste den Faktor Straßenfußball, die wilde Gier und Lauffreude anderer Topteams. Die Frage ist, ob van Gaal, der die Köpfe der Spieler mit Fachanalysen überfrachtete, das Team auch emotional noch anspornen konnte, ob er der Mannschaft genügend Selbstsicherheit vermittelte. Allzu selten gelang es schließlich, Spiele mit purem Willen zu gewinnen. Und extrem fehlte: Konstanz. Die Saison ist eine Wundertüte, auf tolle Siege in Mainz oder gegen Hamburg und Mailand folgte dann jener Acht-Tages-Schock, der alles in Frage stellte - und letztlich zum Scheitern des Holländers führte.

© SZ vom 7.3.2011/jbe
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