FC Bayern: Trainingsauftakt:"Passt wie ein warmer Mantel"

Der Niederländer Louis van Gaal glaubt, dass er und der FC Bayern füreinander erfunden wurden - und drückt das so aus: "Mia san mia. Und ich bin ich."

Moritz Kielbassa

Der erste Eindruck: sehr viele Plastikhütchen. 33 weiße und zwölf gelbe waren über den Rasen verteilt, als Louis van Gaal um 11.11 Uhr, 41 Minuten nach der verabredeten Zeit, erstmals den Platz betrat. Eindruck zwei: ein echter Sportlehrer! Der neue Bayern-Trainer erschien zum Dienst mit Trillerpfeife und Stoppuhr, Accessoires der alten Schule. Einem Fachmann mit Routine, selbstsicher und autoritär, haben die Münchner am Mittwoch ihren Luxuskader anvertraut, einem Grandseigneur aus Holland, 57, dessen praktische Lehre trotzdem modern sein soll.

louis van gaal ddp

Louis van Gaal während seines ersten Trainings als neuer Bayern-Coach.

(Foto: Foto: ddp)

Auch menschliche Regungen sind diesem knorrigen Kommandogeber nicht fremd. Beim Begrüßungsfoto mit neun Zugängen - sieben externe und zwei zu den Profis beförderte Junioren - löste van Gaal das steife Arrangement auf. Er nahm seine Nebenleute, Mario Gomez und Holger Badstuber, herzlich in den Arm, alle lachten. Charisma nannten das die alten Griechen, eine Göttergabe.

Nach einer titellosen Saison und einer Ära, die keine wurde, hat der FC Bayern seinen neuen Hoffnungsträger hartelijk welkom geheißen. Eine "Handschrift" erhofft sich Christian Nerlinger, seit Mittwoch offiziell Sportdirektor, von seinem "Wunschtrainer". Und van Gaal, der zuletzt in einem Kloster bei Maastricht mit einem Crashkurs und verblüffendem Erfolg sein Deutsch verbessert hat, erklärte, warum diese Allianz prima passen kann: "Der Klub ist wie ich: selbstbewusst, dominant, arrogant, ehrlich, arbeitsam, innovativ - aber auch warm und familiär."

Diese "Kultur passt mir wie ein warmer Mantel" führte van Gaal seine Liebeserklärung fort, und das Jahrzehnte alte Mantra des Vereins fügt sich ideal in das Weltbild des Trainers, den seine Kartenspiel-Freunde (Bridge) daheim in Noordwijk King nennen: "Mia san mia. Und ich bin ich", sagte van Gaal, noch Fragen?

Die Bayern haben sich gesehnt nach solch einem starken Mann, der mit Sachverstand und Strenge dem Team Orientierung geben soll. Van Gaal ist kein smarter Jungdynamiker, der sich im Gutmenschentum verliert. Er formuliert klare Erwartungen, gilt als penibler Tüftler, dickköpfig, zielorientiert, preußisch diszipliniert und gnadenlos ehrlich in der Ansprache.

Die Fans klatschen

Beim lockeren Trainingsstart ließ er schnelle, harte Flachpässe an den weißen Hüten üben - die handwerkliche Basis jenes dominanten, attraktiven Ballbesitzfußballs, den van Gaal liebt. Er selbst führte den Spielern gleich mit wilder Gestik und zackigem Gebrüll vor, wie er sich aktives Ballfordern vorstellt. Das kam gut an bei den 1500 Fans, die van Gaals Premiere besuchten. Sie klatschten.

Auch seinen Zielen ist Applaus der Kundschaft sicher: "Wir wollen hart um Titel streiten, und vielleicht gewinnen wir am Ende der Periode van Gaal die Champions League." Sein "Vorbild" ist der FC Barcelona, weil sich dort brillante Einzelkönner in einer straffen Teamorganisation entfalten, "das schaffen wir nicht in einem Monat", weiß van Gaal, "vielleicht in zwei Jahren."

Im Idealfall soll der pragmatische Sieger-Gen-Fußball nach Art des Hauses - "mia san mia" mit Kalkül und Ruhe - verschmelzen mit der ästhetischen Ajax-Schule, die van Gaal, aufgewachsen in Amsterdam-Watergraafsmeer, verinnerlicht hat. Nerlinger sieht ihn im Kerngeschäft gefordert: "Er soll die Mannschafttaktisch, technisch und körperlich fitmachen."

Auf der nächsten Seite: Welcher Bayern-Verantwortliche John Locke zitiert und warum Uli Hoeneß mal wieder mit den Medien schimpft.

Louis in Lederhosen

Auch der Menschenforscher van Gaal verfolgt ein "ganzheitliches Prinzip", er hat ein Faible für Psychologie und Philosophie. "Der Geist ist stärker als der Körper" heißt sein Leitsatz, frei nach John Locke, für van Gaal sind "Fußballer nicht nur Menschen, die den Ball von A nach B schießen." Trotzdem sieht Nerlinger diesmal keine Gefahr, "dass wir uns vom Elementaren entfernen".

Aus dem Leistungszentrum ließ van Gaal DJ-Pulte und Bibliotheken entfernen, dafür gibt es nun mehr Wände und Türen, für vertrauliche Gespräche. Denn es ist dem Trainer wichtig, "in die Seelen der Spieler zu blicken." Der Verteidiger Lucio etwa würde sich über baldigen Zuspruch freuen, er ist in seiner Ehre tief getroffen, seit ihm erzählt wurde, van Gaal plane nicht mit ihm. "Das sieht man mal, welchen Unsinn Journalisten verzapfen", raunte am Mittwoch Manager Uli Hoeneß, aus dem Urlaub an der Côte d'Azur zurückgekehrt.

Auch alle Neuverpflichtungen haben die Ferien beendet: Anatolij Timoschtschuk stellte sich am Mittwoch vor, der Ukrainer soll die Löcher vor der Abwehr kitten. Auch Edson Braafheid ist schon da, angeblich Lucios neuer Rivale in der Innenverteidigung, aber ebenso ein für mehrere Posten geeigneter Zugang wie der Kroate Daniel Pranjic, der am linken Flügel "Flanken aus vollem Lauf" schlagen soll, die van Gaal fordert.

Auch der flinke Angreifer Ivica Olic gefällt van Gaal wegen seiner Polyvalenz (Sturm oder linkes Mittelfeld) - und vorne soll Mario Gomez treffen, Bayerns Königstransfer des Sommers. "Vermutlich im Sturmbereich", antwortete van Gaal auf die mäßig originelle Frage, wo er den 30-Millionen-Import aus Stuttgart einplane. Humor hat er, der neue Trainer, es ist aber ein spitzer Humor, den es nur zu van Gaals Bedingungen gibt. Er heiße übrigens "van Chhhh-al", röchelte er allen vor, die dachten: Gal oder Kal.

Anders als das Projekt Klinsmann begann die neue Ära auch mit Investment in teure Beine, nicht nur in Steine. Die Mannschaft ist bei van Gaal zwar wichtiger als jeder Star, trotzdem rüsteten die stargläubigen Bayern fast so famos auf wie 2007. Der damals geholte Held Franck Ribéry erschien wie angekündigt zum Trainingsstart, van Gaal will den trickreichen Franzosen behalten - womöglich sogar in neuer Rolle, als freischaffender Künstler in einer Mittelfeldraute, zentral statt links: "Aber jeder Spieler wird auch von seinem Umfeld beeinflusst", weiß der Trainer.

Präsentiert hat van Gaal zudem seinen Betreuerstab, der den Klub ein Stück weit oranjesiert: Andries Jonker ist neben Hermann Gerland Assistenzcoach, Jos van Dijk überwacht die Trainingssteuerung und der neue Computeranalyst Max Reckers hat bereits Kameras am Trainingsplatz installiert. Uli Hoeneß blickt nun wieder ruhig aus seiner Gelehrtenstube auf den Platz hinunter, diesem Trainer traut er. Auch erste Fotomontagen mit van Gaal gefielen dem Manager: "Louis in Lederhosen, das passt!"

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