FC Bayern:Thomas Müller, der gute Mensch von Fröttmaning

Bayern München - Hamburger SV

Thomas Müller (li) freut sich mit Torschütze Kingsley Coman über das 7:0.

(Foto: dpa)
  • Thomas Müller, laut Berufsbezeichnung Stürmer, hat beim 8:0 gegen den hilflosen Sportverein (HSV) aus Hamburg kein Tor zu erzielen.
  • Trotzdem war er bester Spieler.

Aus dem Stadion von Martin Schneider

Den Moment größter Selbstlosigkeit bezeichnete Thomas Müller später als "normale Aktion". Es lief die 56. Minute und der Ball lag im Strafraum an seinem Fuß. Vor ihm war nur noch HSV-Torwart René Adler, kein Gegenspieler mehr in Sicht. Man muss wissen, dass Müller bisher genau ein Saison-Tor erzielt hat, er liegt in der Liste gleichauf mit den Torjägern Mats Hummels, Rafinha und Philipp Lahm. Er hätte also Grund zum Egoismus gehabt, zumal es eh schon 4:0 stand - und dann legte er den Ball auf David Alaba ab. Der traf zum 5:0 und überholte Müller damit in der Torjägerliste. Mit nun zwei Treffern.

"Vielleicht ist der Assist auf David ein Paradebeispiel, dass ich euch das letzte halbe Jahr nicht angelogen habe, als ich gesagt habe, ein Tor ist jetzt für mich nicht alles", sagte Müller, der gute Mensch von Fröttmaning, dann später frisch geduscht und grinsend in Joggingklamotten. "Aber wolltest Du ihn nicht doch selbst machen?", fragte einer, der es nicht glauben wollte. Müller lachte: "Natürlich war das eine Situation, wo man selbst schießen könnte, freistehend aus sieben Metern. Aber die Situation ist klar, wir sind zwei gegen eins, ich sehe ihn aus dem Augenwinkel und dann ist es eine normale Aktion."

Thomas Müller, laut Berufsbezeichnung Stürmer, hat es geschafft bei einem 8:0 gegen den hilflosen Sportverein (HSV) aus Hamburg kein Tor zu erzielen. Das liest sich, als hätte einer den Löffel nicht dabei, wenn es Kaviar regnet, aber auch ohne Tor holte er sich von Karl-Heinz Rummenigge das Sonderlob "beste Saisonleistung von Thomas heute" ab.

Aus dem Torjäger ist ein Vorbereiter geworden

Andersrum wird die Geschichte nämlich stimmig: Thomas Müller war nicht schlecht, weil er gegen den HSV das Tor nicht getroffen, nein, er hat es geschafft auch ohne Treffer der beste Bayernspieler des Tages zu sein. Mit einer Art Hackendreher bereitete er das 1:0 von Arturo Vidal vor, ein paar Minuten später war er so fix, dass ihm Mergim Mavraj im Strafraum in die Haxen springen musste - den Elfmeter versenkte dann Robert Lewandowski. "Er hat super überragend gespielt", meinte der Pole im Pep-Guardiola-Duktus. Neben seiner Torvorlage auf Alaba war Müller überall unterwegs, er hatte am Ende natürlich die meisten Kilometer aller Bayernspieler auf dem Tageszähler (11,07) und davon waren bestimmt 11,05 Kilometer in Zonen, wo kein HSV-Spieler stand. Er hat jetzt insgesamt neun Torvorlagen angehäuft, nur zwei Spieler in der Liga haben häufiger Treffer aufgelegt.

Landschaften liegen frei vor ihm

Arjen Robben stieß einen leicht genervten Laut aus, als er nach Müller gefragt wurde. "Aaaaaahhhhhh, ich wiederhole mich da schon seit Wochen. Er ist immer wichtig für die Mannschaft. Selbst wenn er den Ball gar nicht trifft, ist er wichtig. Er sieht die Räume." Und: "Alle Leute, die viel Ahnung von Fußball haben, müssen das auch sehen." Im Spiel gegen den HSV reichte es eigentlich, die Regeln grob zu kennen, um seine Leistung zu würdigen. Auch, wenn die Hamburger im Gegensatz zu den meisten Teams in München nicht mit Fünfer-, sondern nur mit Viererkette in der Abwehr spielten. Wo Müller die freien Stellen sonst mit dem Mikroskop suchen muss, lagen diesmal ganze Landschaften vor ihm. Die nutzte der Wanderer zwischen den Räumen natürlich.

Die Frage: "War der FC Bayern nun so gut oder der HSV so schwach?" muss man also stellen. Niemand wird die extraordinäre Chancenlosigkeit der Mannschaft von Markus Gisdol an diesem Tag ernsthaft bezweifeln, aber der FC Bayern scheint trotz spärlicher Gegenwehr besser zu funktionieren, als noch vor ein paar Wochen. Zwischen dem 5:1 in der Champions League gegen Arsenal und dem 8:0 gegen Hamburg lag aber noch ein Last-Second-1:1 gegen Berlin. Da haben zwar die Bayern-Verantwortlichen (Rummenigge, Müller) beschlossen, dem Rasen im Olympiastadion einen großen Teil der Schuld zu geben. Trotzdem blieb Müller in diesem Rumpel-Spiel nahezu unsichtbar.

Die Gleichung lautet: Bessere Bayern-Leistung = viel bessere Müller-Leistung

Thomas Müller braucht also eine flüssig kombinierende Truppe um sich herum. Die Gleichung lautet: Bessere Bayern-Leistung = viel bessere Müller-Leistung. Diese Formel kommt übrigens von: Thomas Müller. Während des Winter-Trainingslagers in Katar befragte ihn der Sender ESPN zu seiner bis dahin bescheidenen Saison. Er meinte: "Wenn das Team offensiv nicht funktioniert, dann ist das ein Problem für mich. Ich bin kein Einzel-Spieler. Ich kann mir nicht den Ball schnappen und an sechs Gegenspielern vorbei dribbeln." Die Positionen müssen stimmen, er müsse in das Passspiel involviert werden, oder einfacher ausgedrückt: Wenn keine Bälle zu ihm kommen, kann er so viel und so intelligent in Räume laufen, wie er will.

Carlo Ancelotti hat das Bayern-Spiel im Gegensatz zu seinem Vorgänger Pep Guardiola auf die Flügel verlagert. Die Paare Lahm/Robben und Alaba/Costa agieren meistens an der Außenlinie, in der Mitte wird es dann einsam - vor allem gegen zehnbeinige Abwehrreihen. Man braucht dort eher einen Ballverteiler als einen Ballverwerter und so besetzte Thiago die Position, die im System von Pep Guardiola noch meistens Müller innehatte. Gegen Hamburg brachte Ancelotti dann einfach beide: Thiago verteilte auf der Sechserposition die Bälle, Müller verwertete sie. Das könnte so auch gegen Schalke am Mittwoch im DFB-Pokal eine Option sein. Auch, wenn Schalke mit einer Fünferkette spielt und es dann wieder enger wird auf dem Spielfeld.

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