FC Bayern: Stürmer Olic:Ivica sprüht Funken

Plötzlich kämpft da einer und rennt sich die Lunge aus dem Leib: Ivica Olic ist der Mann beim FC Bayern, der den Karren gerade aus dem Dreck ziehen könnte.

Iris Hellmuth

Manchmal wird die Mixed Zone eines Bundesligaspiels zu einer eigenen kleinen Bühne. Wo nach dem Abpfiff ein Schauspiel aufgeführt wird von sich feiernden Helden und traurigen Verlierern, und - auch das immer wieder tröstlich zu sehen - Menschen mit tragenden Rollen, die keine Ahnung haben, wo sie lang müssen. "Wo geht's denn hier zum Bus?", fragte Karl Hopfner, Finanzvorstand des FC Bayern, blass und sichtlich genervt einen 96-Ordner. Der wies ihm geduldig den Weg.

FC Bayern: Stürmer Olic: Torschützen unter sich: Ivica Olic (rechts) und Thomas Müller.

Torschützen unter sich: Ivica Olic (rechts) und Thomas Müller.

(Foto: Foto: Reuters)

Nicht einmal drei Meter Luftlinie entfernt suchte gerade ein anderer Blasser seinen Weg durch die gängelnden Fragen der Sportjournalisten, es war Louis van Gaal, der diesem Spiel mit seinen Worten eine Strahlkraft geben wollte, die es nicht hatte, die sie alle verzweifelt suchten, Spieler und Statisten des FC Bayern am gestrigen Sonntag.

Nur einer war irgendwie echt. Weil er lachte und strahlte und keine Maske trug. Es war Ivica Olic.

Ivica Olic ist für das Spiel des FC Bayern, womit der Verein selbst wahrscheinlich am wenigsten gerechnet hat - er ist der Fußballer der Stunde, der Mann, der den Karren gerade aus dem Dreck ziehen könnte, und wenn man vor der Saison die Fans befragt hätte, wer der Held dieser Spielzeit wird, sie hätten wahrscheinlich nicht Ivica Olic geantwortet. Vielleicht hätten manche sogar ganz ehrlich gesagt: Wer ist das nochmal?

0,00 Millionen Euro

Was hat man in den vergangenen Wochen nicht über die Transferpolitik des FC Bayern diskutiert, zuletzt diskutierten sogar die Spieler, und das öffentlich, niemand goutiert das weniger als Uli Hoeneß. Doch so ist das nun einmal, wenn Ären zu Ende gehen und Ehrenpräsidenten gekürt werden, dann wird Bilanz gezogen, und für die vergangenen Monate liest sich die in Sachen Transfersummen so: Franck Ribéry - 25 Millionen, Arjen Robben - 24 Millionen, Mario Gomez - 30 Millionen Euro, Ivica Olic: 0,00 Millionen Euro. Mario Gomez traf zwar gegen Hannover, suchte trotzdem, auch am 14. Spieltag, nach seiner Form; Robben und Ribéry sitzen seit Wochen verletzt auf der Tribüne.

Ivica Olic war auch verletzt und brauchte genau 0,00 Spieltage, um wieder zu alter Form aufzulaufen. Er ist keiner dieser Ballkünstler, dem die Seele verzagt, sobald die Umstände schwer wiegen; im Spiel gegen Hannover 96, rannte er die linke Außenlinie rauf und runter, als wäre das sein persönlicher Fitnessparcours, er bereitete ein Tor vor (19. Minute) und köpfte das zweite gleich selbst ein (47.); es war der gerechte Lohn für einen, der auf dem Platz nichts anderes ist als daneben - einfach nur er selbst.

Ivica Olic ist der Mann, der keinen Ball verloren gibt. So einfach ist sein Spiel, aber so einfach ist manchmal auch Fußball, und manchmal möchten die Fans gar nicht mehr sehen als das: Dass ein Spieler sich die Lunge aus dem Hals rennt, dass er alles gibt für einen Sieg, so wie sie selbst, die so viel Geld für ihre Leidenschaft bezahlen, Woche für Woche. Im blassträgen Ballgeschiebe der Bayern wirkt Olic zurzeit wie ein Teilchenbeschleuniger, der die eigene Mannschaft mitzieht, der Funken sprüht, die überspringen. Von Olic auf die Fans - und von dort zurück auf das Spiel.

Staunen über so viel Arbeit

Olic rennt bis zu zwölf Kilometer pro Spiel, in der Saison kommt er damit insgesamt auf mehr als 500 - das ist ein Spitzenwert. Genau wie seine Sprintdistanz. Olic sprintet doppelt so viel wie ein durchschnittlicher Bundesligaspieler. So einer muss sich keine Sorgen um die Stellung in der Mannschaft machen, weder auf noch neben dem Platz. Auch wenn ihm in Bayern viele die Ersatzbank prophezeiten.

Das zu große Herz

"Ach Ivica, das ist doch eine Maschine, ein Terminator", sagte Nationalspieler Piotr Trochowski gern kopfschüttelnd nach Spielen des HSV, der ihn im Winter 2007 von ZSKA Moskau an die Elbe geholt hatte. Dass man seinen Vertrag dort nicht verlängerte, hat bis heute in Hamburg niemand verstanden. Noch immer spricht man hier über diesen unglaublichen Olic, der sich auch in den trostlosesten Tagen im Volkspark schlichtweg weigerte, ins mannschaftlich beschlossene Spielgrau einzustimmen. Dafür ist Olic zu sehr Anarchist.

Und sein Herz einfach zu groß. Dem Ball rennt er hinterher, seitdem er denken kann. In Davor, einem 2000-Seelen-Dorf zwei Autostunden südlich von Zagreb, hat Olics Karriere begonnen, und als der 30-Jährige im Frühjahr dieses Jahres in einer Sportsendung mit den Bildern aus seiner Heimat konfrontiert wurde, rang er mehrmals um seine Fassung. Weil er das Haus sah, in dem sein kranker Vater lebt und den Fluss, in dem sein Bruder ertrank. Seinem alten Sportverein in Davor finanzierte er schon vor Jahren einen kompletten Umbau. Der Torhüter Frank Rost, nicht gerade ein Freund des einfühlsamen Smalltalks, sagte kürzlich über ihn: "Charaktere wie Ivica sind im Fußballgeschäft selten zu finden. Ich habe dreieinhalb Jahre mit ihm das Zimmer geteilt und ganz ehrlich: Das ist schwer zu toppen."

In München hat inzwischen jeder begriffen, was die Mannschaft an Olic hat. "Ivica kann 90 Minuten laufen, ackern, arbeiten, in Phasen wie diesen ist das natürlich sehr, sehr wichtig", sagte Philipp Lahm nach dem Spiel. Und konnte trotzdem sein Erstaunen nicht verbergen, dass diese Eigenschaften bei Publikum und Journalisten so viel Erstaunen auslösen: Und in der Tat sagt dieses große Erstaunen mehr über den momentanen Zustand des FC Bayern aus als über den Spieler Ivica Olic.

"Dass der laufen kann wie ein Wahnsinniger und Tore schießt und vorbereitet, das hat man ja gewusst, bevor man ihn geholt hat", sagte Lahm. Es war nur ein kleiner Moment, aber ein guter an diesem Tag - weil da einer auf der kleinen Bühne hinter dem schwarzen Absperrband genauso herzlich lachte wie sonst nur Ivica Olic.

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