FC-Bayern-Spieler Thomas Müller:Sprücheklopfer mit unbändigem Ehrgeiz

Bayern Munich v Porto - UEFA Champions League Quarter Final Second Leg

Immer, wenn es wichtig wird, holt er die Festtagsfüße raus: Thomas Müller.

(Foto: REUTERS)
  • Auch weil Thomas Müller wieder einmal ein entscheidendes Spiel prägt, schafft der FC Bayern den Halbfinal-Einzug in der Champions League.
  • "Man hat die ganze Woche gespürt, wir können das schaffen. Thomas Müller war so optimistisch", sagt Trainer Pep Guardiola.
  • Nebenbei ist Müller jetzt der erfolgreichste deutsche Torjäger in der Champions League.
  • Tabellen und Statistiken zur Champions League finden Sie hier.

Von Claudio Catuogno

Hängt ein Müller im Zaun, in der Hand ein Megafon, und dirigiert das "Humba Täterä". Wann hat es so etwas in der Münchner Arena schon mal gegeben?

Noch nie, seit der Fußballtempel vor zehn Jahren eröffnet wurde - und deshalb ist der Müller mit dem aus dem Fanblock entliehenen Plastiklautsprecher auch das Bild des Abends gewesen nach dem 6:1 gegen Porto. Das Bild, das fast schon die ganze Geschichte erzählt: eine Geschichte von Druck und Anspannung, von Rausch, Erlösung und anschließender Zaun-Blödelei. "Gib mir ein H! Gib mir ein U . . . "

FC Bayern? Das ist doch dieser berüchtigte Gewinnerverein

Als Angestellter der FC Bayern München AG steigt man ja normalerweise nicht auf den Zaun. Das machen bloß die Unterschichtenkicker in Braunschweig oder St. Pauli, wo das anarchische Element noch als Teil der Identität gepflegt wird. Andererseits: Thomas Müller, 25, ist halt immer schon ein bisschen aus dem Rahmen gefallen, er ist quasi das anarchische Element des deutschen Stürmerwesens, und ehe er sich am Dienstagabend hinaufschwang zu den Fans, hatte er ja tatsächlich gerade ein Fußballspiel gewonnen. Gewonnen! Mit dem FC Bayern! Wann bitte ist das zum letzten Mal vorgekommen?

Wer den Fußball auf die Zahlen reduziert, hat darauf eine einfache Antwort: alleine 34 Mal in dieser Saison, 23 Mal in der Liga, vier Mal im DFB-Pokal, sieben Mal in der Champions League. Der FC Bayern, das ist doch dieser berüchtigte Gewinnerverein. Der gewinnt ständig ein Fußballspiel.

Aber genau das ist halt manchmal das Problem: Gewinnen fühlt sich gar nicht mehr nach gewinnen an, wenn es so sehr der Kern der eigenen Jobbeschreibung ist, dass man es sich auf die Visitenkarte drucken könnte: "Thomas Müller, Gewinner". Nach dem Triple-Gewinn im Jahr 2013 hat Müller zum Beispiel davon berichtet, dass es für ihn viel emotionaler war, als junger Bayern-Fan der Kahn-Effenberg-Generation bei ihrem Triumph 2001 zuzusehen, als den Henkelpott zwölf Jahre später selbst zu erbeuten.

Für ihn persönlich habe die Trophäe vor allem den Zweck erfüllt, "dass du jetzt nicht mehr angreifbar bist". Dass es in den Sportfernseh-Quatschbuden später nicht ständig heißt: Der Müller, der hat doch auch nichts Großes gewonnen. Genugtuung, ja. Aber: Glück?

Tiefe Nachdenklichkeit hinter lustiger Fassade

Manchmal wirkt Thomas Müller mit seiner oberbayerischen Fröhlichkeit wie einer, der gar kein Megafon braucht, um seine Gags unters Volk zu bringen, aber hinter der Fassade des Sprücheklopfers schlummern eben auch tiefe Nachdenklichkeit und unbändiger Ehrgeiz. Und das ist jetzt wohl eine Erklärung dafür, warum es so oft dieser Müller ist, der die großen, die entscheidenden Spiele prägt. Sei es mit dem FC Bayern oder mit der Nationalelf.

Das Wiedersehen mit Porto am Dienstag war mal wieder so ein Abend mit historischer Note: 14 Mal hatten deutsche Teams bisher in der Champions League ein Hinspiel mit zwei Toren Unterschied verloren, 14 Mal waren sie ausgeschieden. Es ist oft schon das Wissen um solche Statistiken, das eine Mannschaft verkrampfen lässt. Aber für Müller scheint so eine Ausgangslage eher wie das Versprechen zu wirken, mal wieder auszubrechen aus der Routine.

Wenn es wichtig wird, holt Müller die Festtagsfüße raus

Dem Trainer Pep Guardiola war das auch aufgefallen: "Man hat die ganze Woche gespürt, wir können das schaffen. Thomas Müller war so optimistisch." Und nun, kurz vor Mitternacht, stand Müller also im Bauch der Arena, immer noch mit einem irren Grinsen im Gesicht, er kletterte auf keine Absperrung, aber er lieferte den Satz des Abends zum Bild des Abends nach.

Er gab jetzt den rhetorischen Zaunkletterer: "Es kann auch schön sein, wenn man mal mit dem Rücken zu Wand steht", sagte er, "weil wir als FC Bayern dann ausnahmsweise auch mal ein Spiel gewinnen können. Und nicht immer nur nicht verlieren." Nein, dieses Spiel hatten die Bayern in der Tat nicht nur nicht verloren.

Müller hatte dazu einiges mehr beizutragen als nur seine Rackerer-Mentalität, etwa einen abgefälschten Fernschuss-Treffer zum 4:0 (36.) sowie eine Direktabnahme auf Robert Lewandowskis Kopf vor dem 3:0 (27.). Vor allem prägte er das Spiel aber, indem ihm einfach alles gelang. Das ist nicht immer so - bisweilen wirkt dieser Müller ja, als stünden ihm zwei Paar Füße zum Ein- und Aushängen zur Verfügung, eins für den Alltag und eins für die Festtage.

Und immer, wenn es wichtig wird, holt er die Festtagsfüße raus: vor zwei Jahren etwa, als die Bayern auf dem Weg zum Titel den FC Barcelona aus dem Weg räumten (4:0; 3:0). Und natürlich, wenn Weltmeisterschaft ist: 2010 war Müller Torschützenkönig, 2014 Zweiter. Gewonnen hat er außerdem: Champions League, Klub-WM, Meisterschaft (mehrmals), DFB-Pokal (mehrmals). Er ist Weltmeister. Und er ist jetzt der erfolgreichste deutsche Torjäger in der Champions League. Wahrscheinlich kann er das selbst kaum glauben.

Thomas Müller kokettiert gern damit, dass "wohl niemand auf der Welt so komisch Fußball spielt wie ich". Komik ist halt die größte Kunst.

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