FC Bayern:Routinier am Regler

FC BAYERN MUENCHEN  -  FK ROSTOW     5-0

Achtung, das Kopfball-Ungeheuer 2016 steht in der Luft - selbst Thomas Müller (links) taucht ehrfurchtsvoll ab, als Joshua Kimmich (rechts) sein zweites Tor beim Kantersieg gegen Rostow erzielt.

(Foto: ddp images/star-images)

Beim 5:0 gegen Rostow zeigt sich der Wert der Rotation fürs Bayern-Spiel - der Ersatz betreibt Eigenwerbung.

Von Christof Kneer

Ein paar Fragen, die sich bei der Betrachtung dieses Spiels aufdrängten: Wie tief muss das große Ajax Amsterdam gesunken sein, dass es in der Champions-League-Qualifikation gegen FK Rostow ausgeschieden ist und das Rückspiel 1:4 verloren hat? Was sagt es über die russische Liga, dass FK Rostow die Vorsaison auf Platz zwei beendet hat? Wer hat beim VfB Stuttgart damals eigentlich Joshua Kimmich übersehen? Und ist die schicke Brille, durch die Jérôme Boateng das Spiel auf der Tribüne studierte, etwa neu?

Die Antworten auf diese vier Fragen lauten vermutlich "tief", "viel", "alle" sowie "weiß man nicht". Es gab übrigens noch weitere Fragen, für die man an diesem wenig spannenden Abend durchaus Zeit hatte, etwa, wer dem bayerischen Trainer- und Betreuerstab diese weinroten Schlafanzüge rausgelegt hat, die sie unten am Rasenrand trugen. Aber für keine dieser Fragen interessierte sich Carlo Ancelotti.

Müller witzelt, Kimmich sei jetzt einer seiner Hauptkonkurrenten

Zwar dürfte auch ihn das 5:0 (2:0) seiner neuen Mannschaft gegen Russlands Vertreter FK Rostow nicht durchgängig gefesselt haben, aber spannende Abendunterhaltung ist für einen Trainer zum Auftakt einer neuen Champions-League-Saison kein Kriterium. Ancelotti, 57, hatte gesehen, was er sehen wollte: einen souveränen Sieg einer souveränen Elf, die sich nicht sehr lange davon irritieren ließ, dass sie auf angeblich höchstem europäischen Spielniveau einer absurd unterlegenen Mannschaft begegnet war, die ihre Unterlegenheit durch außergewöhnliche Unterwürfigkeit noch absurder gestaltete. Vor allem aber hatte Bayerns neuer Trainer gesehen, dass sein Plan gerade auf höchst angenehme Weise aufgegangen war: Wenn ein Trainer eine Mannschaft nominiert und sich daraufhin einen idealen Spielverlauf aussuchen könnte, dann hätte er sich womöglich genau diesen ausgesucht.

Die sogenannte Rotation ist keine Idee von Carlo Ancelotti, ihre Erfindung geht mindestens bis zu Ottmar Hitzfeld oder noch weiter zurück, aber als Stilmittel ist die Rotation in München bedeutender denn je. Im 2016er-Fußball gibt es noch mehr anspruchsvolle Hochleistungsathleten, die im anspruchsvollen Hochleistungssport deutlich mehr Pausen brauchen als früher, obwohl sie weiterhin immer spielen wollen. Bei so einer komplexen Ausgangslage braucht es Spiele wie gegen Rostow - Spiele, in denen man gesetztere Herrschaften wie Philipp Lahm, Xabi Alonso oder Franck Ribéry einfach auf die Bank setzen kann, ohne gekränkte Profis oder öffentliche Debatten zu riskieren; Spiele, in denen sich dann idealerweise genau jene Profis aufdrängen, die ansonsten häufiger auf der Bank sitzen. So wie bei diesem netten 5:0 gegen Rostow: Joshua Kimmich durfte zwei Tore schießen, Douglas Costa durfte eines sehenswert vorbereiten, und Juan Bernat durfte eines sehenswert vorbereiten und eines selbst erzielen.

So könnte auch ein kleinstmögliches Champions-League-Spiel wie jenes gegen Rostow im besten Fall größtmögliche Folgen haben. So hatte Ancelotti ja schon vor dieser Partie erklärt, warum Rotation so wichtig für diesen Kader sei: Rotation gibt ihm die Möglichkeit, Spieler zu schonen und andere dafür mit Einsatzminuten zu motivieren; und wer etwa Franck Ribéry nach seiner Einwechslung leidenschaftlich rumturnen sah, der weiß, dass diese alte Rezeptur beim Franzosen stets aufs Neue anschlägt. Ribéry hat vermutlich schon mitbekommen, dass Douglas Costa auf seiner, Ribérys, Position nicht überragend gespielt hat, aber er hat halt auch dessen Torvorlage gesehen, und er hat den Jubel gehört, den die Zuschauer dem Brasilianer bei dessen Auswechslung zukommen ließen. Ribéry will aber, dass die Leute ihm zujubeln. Er will wieder rein in diese Elf.

Auch das ist es, was den FC Bayern neben seiner grundsätzlichen Qualität so gefährlich für alle Gegner macht: dass er sich halt einfach nicht mehr hängen lässt. Früher konnten Gegner mal die Hoffnung haben, die Münchner in einem günstigen Moment zu erwischen, aber diese Momente haben die Münchner weitgehend abgeschafft. Im Zweifel kommt halt einer wie der kleine Kimmich daher, dem gegen Rostow zwar auch einige Fehlpässe rausrutschten, was aber hinter seiner schönen, neuen Geschichte völlig unterging: Kimmich, 21, ist neuerdings ein Torjäger.

Ein Treffer für die Nationalelf in Oslo, einer in der Bundesliga auf Schalke und jetzt zwei in der Champions League: Dieser brutal ehrgeizige junge Mensch weiß sehr genau, wie man mit Einsatzminuten umgeht. All seinen Toren gingen entschlossene Laufwege in die gefährlichen Räume voraus, hier sprintete einer, der jede Chance, die man ihm bietet, nutzen will. Bis auf die WM-Qualifikation habe Kimmich bisher "in allen Wettbewerben mehr Tore als ich", witzelte Thomas Müller, "er ist jetzt einer meiner Hauptkonkurrenten".

Die Bayern haben keinen großen Kader, aber er ist groß genug, um seriös durchwechseln zu können, und vor allem sitzt nun ein Routinier am Regler. Der weit gereiste Ancelotti sieht das ja als seine Kernkompetenz: so an den Knöpfen zu drehen, dass er einen Kader im Griff haben und bei Laune halten kann. 20:0 Tore haben der Coach und sein Kader in den ersten fünf Pflichtspielen schon mal herausgeholt, aber gemessen am Champions-League-Spielchen gegen Rostow kommt am Samstag ein echter Gigant nach München: der FC Ingolstadt.

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