FC Bayern:"Olic ist immer scharf"

Lesezeit: 4 min

Ivica Olic schafft den späten Siegtreffer im Hinspiel gegen Manchester. United-Trainer Ferguson macht Fehler und bangt um Wayne Rooney, der das Stadion auf Krücken verließ.

Thomas Hummel, Fröttmaning

Die van Gaal'sche Ordnung brach in dieser letzten Minute der Nachspielzeit völlig zusammen. Da sprang Thomas Müller am rechten Flügel herum, mit wild fuchtelnden Armen, die Beine in alle Richtungen gestreckt, den Mund weit aufgerissen. Andere Ersatzspieler stürzten übereinander, die Ko-Trainer und medizinischen Betreuer mischten sich darunter.

Am linken Flügel bildeten die Stammkräfte ein Rudel um einen Mann mit nackten Oberkörper, herzten ihn, kniffen ihn, brüllten ihn an. Einige Profis blickten hinauf in die Reihen der Zuschauer, dorthin, wo sonst das sogenannte Münchner Operettenpublikum sitzt. Und wo nun, am Dienstagabend gegen 22:35 Uhr vom pflichtbewussten Familienvater bis zum Ultra-Fan, vom braven Rentner bis zum Mann in der Kutte, die Menschen einen Jubelsturm verursachten, wie es die Münchner Arena selten erlebt hat.

Das 2:1 gegen Manchester United durch ein Tor in der allerletzten Minute verursachte bei den Bayern-Freunden unter den 66.000 Zuschauern einen kollektiven Glücksrausch, wie ihn wohl nur der Sport schaffen kann. Und wem hätten sie lieber zugejubelt, wem hätten sie den Triumph ohne Trikot mehr gegönnt als diesem Liebling aller Fußballfans, diesem unermüdlichen, immer rennenden, immer kämpfenden Ivica Olic?

Selbst der teamfixierte Trainer Louis van Gaal musste später noch ein paar warme Worte über seinen Stürmer verlieren. Und er verwendete dabei eine seiner holländisch-deutschen Wortwendungen, die diesmal alles ausdrückte, was zu Ivica Olic zu sagen war: "Ivica ist ein Spieler, der immer scharf ist."

Der 30-jährige Kroate war am Dienstagabend derart scharf, dass sich selbst die Weltklasse-Abwehr von Manchester United förmlich an ihm verbrannte. Die letzte Szene, das 2:1, versinnbildlichte die ganze Pein, die Ivica Olic für die Gegner darstellt. Mario Gomez war aus dem Mittelfeld angetreten, ein Antritt so dynamisch und kraftvoll, wie man das von Gomez in München noch nicht gesehen hatte. Doch dann waren es eben doch wieder zu viele Engländer, Gomez prallte gegen den einen Körper, gegen den anderen und er verlor die Kontrolle über den Ball. Die Chance schien dahin. Der französische Linksverteidiger Patrice Evra sollte die Kugel haben.

Doch dann kam von irgendwoher Ivica Olic. Im Fernsehbild musste er aus dem Off aufgetaucht sein, selbst im Stadion begriffen die Zuschauer nicht gleich, dass die Szene noch lief. Dass Ivica Olic mit seinen schnellen, zackigen Bewegungen den Ball an sich gebracht hatte und plötzlich völlig alleine vor United-Torwart Edwin van der Sar stand. Noch einmal angetäuscht und dann sicher verwandelt - 2:1. Beim Jubeln riss er sich das Trikot vom Leib.

"Man kann immer mit ihn rechnen", lobte Trainer van Gaal. Der Gelobte nutzte die Gelegenheit, um sich ein wenig über die vielen Auswechslungen zuletzt zu beschweren. Erst am Samstag gegen Stuttgart hatte ihn van Gaal trotz Tor und guter Leistung in der Halbzeit runtergenommen. "Ich hoffe, dass ich dem Trainer gezeigt habe, dass ich auch in der letzten Minute noch treffen kann", sagte Olic. Vielleicht aber sorgte auch die Herausnahme gegen den VfB dafür, "dass ich heute frischer war".

Ivica Olic hatte ja schon im vergangenen Herbst praktisch den Job van Gaals gerettet. Als er nach einer Verletzung zurückkam, traf er binnen weniger Tage gegen Haifa, Hannover, Juventus, Bochum und belebte die bis dahin träge Mannschaft durch seine körperliche Präsenz und ewige Rackerei. Auch das Publikum zog er damit wieder auf die Seite der Mannschaft. Seinen Stellenwert bei van Gaal hob das aber nicht entscheidend. Immer noch gilt er hinter Ribéry, Robben, Müller und auch Gomez als Offensivkraft Nummer fünf. Die Partie gegen Manchester könnte das nun nachhaltig ändern.

Wobei Louis van Gaal den späten Erfolg aus innenpolitischen Gründen der ganzen Mannschaft zuschrieb. Und sich selbst, natürlich. "Es war schlau vom Trainer, Olic am Ende nach rechts gestellt zu haben", sagte der Trainer. Dieser Zug erwies sich abschließend als glückliche Wendung, entscheidender waren allerdings van Gaals Wechsel, mit denen er den Vergleich gegen seinen prominenten Gegenspieler Alex Ferguson tatsächlich deutlich gewann.

Die Wechsel im Verlauf der zweiten Halbzeit hatten derart entscheidenden Anteil am Endergebnis, dass sich Ferguson den Vorwurf gefallen lassen muss, das Spiel vercoacht zu haben. Bis zur 70. Minute agierte Manchester zwar mit einer erschreckend emotionslosen Beamtenmentalität, verteidigte aber bisweilen mit zehn Mann das frühe 1:0 von Wayne Rooney (nach 64 Sekunden) gewissenhaft und blockte mit einer defensiven Mittelfeld-Dreierreihe die meisten Münchner Angriffe.

Dann sprengte Ferguson überraschend sein Mittelfeld-Bollwerk, nahm Michael Carrick heraus, dazu den emsig verteidigenden Linksaußen Ji-Sung Park - und brachte mit Dimitar Berbatov und Antonio Valencia zwei Offensivkräfte. "Berbatov sollte den Ball besser nach vorne bringen, dem Team mehr biss geben", erklärte Ferguson. Doch weder er noch Valencia schafften das, und hinten klafften plötzlich Löcher.

Van Gaal hingegen brachte hintereinander Gomez (kurz darauf fiel das verdiente 1:1 durch einen abgefälschten Freistoß von Ribéry, 77.) und auch Miroslav Klose, am Ende standen mit diesen beiden, Olic und Ribéry vier Offensivspieler auf dem Rasen. Nach Kloses Antritt im Mittelfeld hätte schon Gomez in der Nachspielzeit das 2:1 erzielen können. Das gelang dann Olic. Ob dies ein Sieg des offensiven Fußballs war, wurde van Gaal später gefragt. "Ich denke das, ja." Ob dies ein süßer Sieg sei? "Süß ist das richtige Wort."

Ziemlich sauer, vielleicht sogar dauerhaft lebertranig fühlte sich die Niederlage für die Engländer an. Denn nicht nur, dass Olic ganz am Ende noch traf, in der Szene blieb auch Wayne Rooney liegen. Der Einzelkämpfer in der United-Spitze verletzte sich beim Versuch, Gomez im Mittelfeld zu stoppen und konnte wegen einer Knöchelverletzung nur mit Hilfe von zwei Betreuern den Rasen verlassen. Aus dem Stadion humpelte Rooney auf Krücken, der Verein fürchtet, es könnte der vierte Mittelfußbruch innerhalb von sechs Jahren sein.

Im Laufe des Mittwoch soll es eine Diagnose geben. "Ich glaube nicht, dass es schlimm ist", sagte Ferguson trotzig, während van Gaal bereits bedauerte: "Wayne Rooney ist der wichtigste Spieler. Ich hoffe für Manchester, dass er nicht schwer verletzt ist."

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: