FC Bayern:Münchner Wiederholungstäter patzen in der Abwehr

Eintracht Frankfurt - Bayern München

Schon wieder ein Gegentor: Der Frankfurter Marco Fabian (Mitte) bejubelt seinen Treffer zum 2:2. Mats Hummels (links) trauert und Manuel Neuer protestiert.

(Foto: dpa)

Von Martin Schneider, Frankfurt

Um einen Kriminalfall zu lösen, muss eine ordentliche Polizei zwei Dinge tun: Beweise prüfen und Zeugen hören. Im besten Fall ergibt das dann ein geschlossenes Bild. Und im rätselhaften Fall "Warum kassiert der FC Bayern zwei Gegentore in Frankfurt?" ist ja alles vorhanden. Zeugen, Video-Aufzeichnungen - und ein Untersuchungsergebnis in Form von Spiel-Statistiken. Also bitte zunächst die Aussage von Herrn Mats Hummels, bei dem später zu entscheiden sein wird, ob er nur Zeuge oder auch Angeklagter sein wird.

"Wir haben uns vor allem in der ersten Halbzeit das Leben durch viele Ballverluste schwer gemacht", sagte er in einer ersten Vernehmung nach dem Spiel.

In der ersten Halbzeit fiel in der Tat ein Gegentor, und wenn man sich das in der Video-Aufzeichnung anschaut, dann sieht man durchaus einen Ballverlust. Joshua Kimmich, Fehlpass nach vorne. Aber danach sieht man auch zwei sehr halbherzige Zweikämpfe von Thiago und Xabi Alonso, einen beherzt nach vorne laufenden Frankfurter namens Bastian Oczipka, einen weniger beherzt nach hinten laufenden Arjen Robben, einen unglücklichen Billard-Ball unter Mitwirkung von Jérôme Boateng - und dann erst das Gegentor durch Szabolcs Huszti.

Acht Fehlpässe in einer Halbzeit - was ist mit Xabi Alonso los?

Die objektiven Beweise stimmen also nur zum Teil mit der Aussage des Herrn Hummels überein. Aber es gab in der ersten Halbzeit ja noch ein paar andere gefährliche Szenen jenseits des Gegentores: Ein Volley-Schuss von Timothy Chandler gegen den Pfosten (15.), zwei gute Kopfbälle von Alex Meier (33. und 35.) und eine Rettungstat von Boateng wieder gegen Meier (39.) stehen auch noch zur Anklage, und die hatten tatsächlich viel mit Ballverlusten zu tun. Alleine Xabi Alonso leistete sich acht Fehlpässe, so viele wie sonst gefühlt in einer ganzen Hinrunde. Auch Thiago servierte der Eintracht ein paar Bälle in den Lauf, als hätte er kurzzeitig vergessen, dass er doch bitte die Roten anspielen muss.

Ganz falsch ist sie also nicht, die Geschichte mit den Ballverlusten. Allerdings hätten die Münchner nahezu alle Fehler im Spielaufbau auch danach noch ausbügeln können. Beim ersten Kopfball von Alex Meier stehen sowohl David Alaba als auch Hummels bei Marco Fabian und lassen dafür einen anderen Gegenspieler frei stehen. Bei der zweiten Kopfball-Chance lässt sich Alaba von Timothy Chandler auswackeln. Und Chandler ist eher nicht dafür bekannt, Gegner auszuwackeln.

"Das Spiel war aus unserer Sicht viel zu unterhaltsam. Wenn man denkt, es geht auch mit weniger als 100 Prozent, kommt man nicht so richtig in die Zweikämpfe, und das kommt dann am Ende dabei heraus", sagte Philipp Lahm. "Wir haben 45 Minuten geschlafen", meinte Carlo Ancelotti. "Aktuell machen wir als Mannschaft zu viele Fehler - auch ohne Ball", sagte Thomas Müller. Diese Aussagen sind, Überspitzungen inbegriffen, durch die Fakten alle gedeckt.

So viel zur ersten Hälfte, aber da waren ja auch noch die zweiten 45 Minuten, von sämtlichen Zeugen des FC Bayern als die bessere Spielhälfte beschrieben. Aber auch da fiel ein Gegentor. Vor Gericht würde man sagen: Eine besondere Schwere der Tat ist festzustellen, weil Frankfurt nach dem Platzverweis von Huszti nur noch mit zehn Mann spielte. Spätestens jetzt hätten auch die Kollegen der Sendung "Aktenzeichen XY ungelöst" auf die Sache aufmerksam werden müssen. Der Fall ist ja kurios und unterhaltsam zugleich: Da führen die Bayern in den Nationalverteidigern Hummels und Boateng die für viele Experten vielleicht beste Innenverteidigung der Welt mit sich - aber setzen sie dann so ungelenk in Szene?

Die Probleme wollen die Bayern intern lösen

Hummels bezeichnete das Tor als "unglücklich", auch wenn es im Ergebnis insgesamt verdient sei. Wenn man dieses Tor seziert, dann fallen Parallelen zu einem anderen Fall an einem anderen Tatort auf - beim 1:1 durch den 1. FC Köln zwei Wochen zuvor. Da traf Anthony Modeste nach einem Konter in einer Phase der Münchner Überlegenheit. Diesmal gab es zwar auch Münchner Überlegenheit, aber es brauchte diesmal nicht mal einen Konter.

Ein Spieler namens Shani Tarashaj (Schweizerisch-kosovo-albanischer Fußballer, 21 Jahre, ausgeliehen vom FC Everton) darf mit dem Ball auf engstem Raum so unbedrängt hantieren, als sei er beim Basketball. Die Kugel landet bei Timothy Chandler, der erneut David Alaba auswackelt. Von der Brust von Fabian tropft er ins Tor, und die energischste Bewegung der Bayern-Abwehr in dieser Situation ist der Arm von Manuel Neuer, der zum Abseits-Reklamieren hochschnellt.

"Unglücklich" ist in diesem Fall höchstens das Agieren der gesamten Bayern-Mannschaft, der Zeuge Hummels zählt also nach Betrachten der Bilder definitiv zum Kreis der Angeklagten, würde aber maximal wegen Teilschuld verurteilt. Am Ende hatten die Münchner eine Fehlpass-Quote von 19 Prozent, in der vergangenen Saison waren es durchschnittlich zwölf Prozent. Zwar gewannen die Münchner insgesamt mehr Zweikämpfe als Frankfurt, allerdings hatte man den Eindruck, dass sie die entscheidenden fast alle verloren.

Ein Fakt, der in keiner Statistik auftaucht: Unter Pep Guardiola spielten die Münchner ein unglaublich intensives Gegenpressing. Bedeutet: Bei einem Ballverlust stürzen alle Spieler auf den ballführenden Gegner und gewinnen ihn schnell wieder zurück. Das klappte hervorragend, weil der FC Bayern zum einen selten den Ball verlor und zweitens stets aggressiv den Notfall-Plan ausführte. Unter Ancelotti steht der FC Bayern nicht mehr so hoch wie unter Guardiola, wo ein Jérôme Boateng in Extrem-Fällen auch mal zehn Meter hinter der Mittellinie agierte. Daher sind die Wege bei einem Ballverlust im Sturm weiter und die Struktur löchriger. Frankfurt nutzte das oft aus.

Es scheint übrigens so zu sein, als gäbe es da noch mehr. Denn sowohl die Zeugen Hummels als auch der Zeuge Arjen Robben verweigerten teilweise die Aussage. "Es gibt schon ein paar Gründe, die wir intern angesprochen haben, die aber von meiner Seite her auch intern bleiben", sagte Hummels. "Man kann jetzt in der Öffentlichkeit vieles sagen, aber das müssen wir intern klären", sagte Robben.

"Ich werde Wechsel vornehmen", kündigt Ancelotti an

Die Beweisführung muss also auf wichtige Informationen verzichten. Im Urteil sind sich aber Zeugen und Angeklagte einig. "So können wir nicht weiterspielen. Da muss was geändert werden", sagte Arjen Robben. "Die erste Halbzeit war die schlechteste, die wir in dieser Saison gespielt haben", sagte Mats Hummels. "Wir haben die falsche Einstellung und das falsche Verhalten gezeigt - ich hoffe, dass das nicht wieder vorkommt. Ich werde Wechsel vornehmen", sagte Ancelotti.

Urteil im Namen des Volkes: Der FC Bayern wird wegen Fahrlässigkeit und Zweikampfschwäche in Tateinheit mit grober Unorganisiertheit verurteilt. Am Mittwoch im Heimspiel gegen Eindhoven entscheidet sich, was manche Sachverständige bereits diagnostizieren: dass er in dieser Saison als Wiederholungstäter auffällig wird.

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