FC Bayern München:Spiel ohne Ball

Der FC Bayern gewinnt in Dortmund auch deshalb 1:0, weil Pep Guardiola seine Ideen bewusst verrät: Der Trainer lässt so defensiv spielen wie nie zuvor.

Von Benedikt Warmbrunn, Dortmund

Die Stimme des Predigers hallte durch das Stadion, die steilen Ränge der Südtribüne hinauf, selbst die entlegenste Ecke wurde noch erfüllt von seiner Botschaft. Auf einer Videoleinwand war der Prediger zu sehen, überlebensgroß, allein die zusammengeschobenen Augenbrauen so riesig wie Torpfosten. Kurze, ernste Sätze sprach der Prediger, aber hier, am Platz seiner schweren Prüfung, hörte ihm niemand zu. Nur auf der Osttribüne standen noch zwei Männer, sie schütteten ihre Sektgläser über den Treppenstufen aus. Dann verschwanden auch sie.

Pep Guardiola hat am Samstagabend ein paar entscheidende Worte gesagt, er hat dafür nicht mal ein Publikum gebraucht. Der Prediger predigte für sich selbst, für sich und seinen Weg. Zwei Sätze sind es, die von Guardiolas Ausflug nach Dortmund bleiben werden. Zwei Sätze, die für seine nächste Phase als Trainer des FC Bayern stehen. Der Guardiola vor den Fernsehkameras, der Guardiola auf der Pressekonferenz, der Guardiola auf der Videoleinwand im Stadion, er sagte: "Ich würde gerne anders spielen, als wir heute gespielt haben. Aber ich muss natürlich so spielen, wie sich die Mannschaft aufstellt."

Es waren die Sätze eines Pragmatikers. Und nicht die eines überzeugten Ästheten.

Mit 1:0 (1:0) hat der FC Bayern bei Borussia Dortmund gewonnen, die Mannschaft hat durch den Sieg ihren Zehnpunktevorsprung als Tabellenführer der Fußball-Bundesliga verteidigt. Vor allem aber hat sie sich in diesen 90 Minuten gewappnet für die nächsten, für die entscheidenden Wochen dieser Saison. "Ein Arbeitssieg", sagte Kapitän Philipp Lahm nach dem Spiel. Deutlicher konnte er den Wechsel der Strategie kaum beschreiben.

In den nun knapp 21 Monaten, in denen Pep Guardiola den FC Bayern trainiert, stand der Fußball seiner Mannschaft immer für das Leichte, das Schöne, das Spielerische. Es war ein Fußball für Feinschmecker, die die Überlegenheit einer Idee genießen wollen. Nie aber war es Fußball, der sich auf das nackte Ergebnis reduzieren ließ. Bis zu diesem Samstag in Dortmund.

Nur zwei offensive Spieler stellte Guardiola diesmal auf: Müller und Lewandowski

Bis zu dieser Partie ließ sich Guardiolas Zeit als Trainer des FC Bayern grob in drei Phasen unterteilen. Die erste Phase war die der Ballett tanzenden Ballbesitzkünstler, in ihr zirkulierten sich die Spieler in Guardiolas erster Saison in Deutschland durch die Bundesliga und lange auch durch Europa. Die Phase endete mit dem Halbfinal-Rückspiel in der Champions League gegen Real Madrid, in dem der Prediger Guardiola seinen Ideen untreu wurde; er wählte eine Aufstellung, die er eigentlich gar nicht wirklich wählen wollte.

Die zweite Phase hatte Guardiola selbst mit dem Schlagwort "kontrakulturell" versehen. Sie war geprägt von pragmatischerem Coaching; im Pokalfinale im vergangenen Mai stellte er eine Dreierkette auf, um die Zentrale gegen die konterstarken Dortmunder noch mehr zu verdichten; im August verpflichtete er Xabi Alonso, den Meister des langen Passes, den Guardiola wegen seiner Ballsicherheit schätzt, der aber nicht der Spielertyp ist, der flinke, scharfe Pässe in den Engstellen des gegnerischen Strafraum spielt. In dieser Phase rettete sich das Team durch Wochen voller Verletzungen, die Idee vom Ballbesitz lebte weiter, weil sie sich angepasst hatte.

In der dritten Phase jedoch, sie begann in diesem Winter, wurde Guardiola zu einem Stilsuchenden, er hielt an seinen Ideen fest, obwohl sich die Gegner besser darauf einstellten, obwohl sein Team dadurch anfällig bei Kontern wurde. Die Idee des Ballbesitzfußballs lebte weiter, aber Guardiola schien zu ihrem Gefangenen zu werden, zu gefährlich war die Gegenidee der anderen. Zwei Wochen vor der Partie in Dortmund hatte der FC Bayern noch zu Hause gegen Mönchengladbach verloren, bezwungen durch schnelle Gegenangriffe.

Dann kam das Spiel in Dortmund. Und Guardiola gewann, weil er seine eigenen Ideen verraten hatte.

Der Trainer musste auf die verletzten Arjen Robben, Franck Ribéry und David Alaba verzichten, auf jene drei Spieler also, die den Ballbesitz mit Dynamik und Kreativität bereichern. Guardiola folgte den Umständen, er verzichtete gegen Dortmund gezwungenermaßen auf Dynamik und Kreativität. Und auf den Ball.

Nur zwei offensive Spieler stellte Guardiola auf, Thomas Müller und den späteren Torschützen Robert Lewandowski, auf Mario Götze verzichtete er. Dazu kamen die gelernten Innenverteidiger Boateng, Dante, Benatia und die gelernten Außenverteidiger Rafinha, Bernat, Lahm; Letzterer bildete mit Xabi Alonso und Bastian Schweinsteiger ein Drei-Mann-Mittelfeld, das weit in der eigenen Hälfte agierte. Den Großteil des Ballbesitzes hatte der FC Bayern also in der eigenen Spielfeldhälfte, weiter vorne war er auch nicht vorgesehen: Die Idee war es, dem BVB keinen Platz für Gegenangriffe zu geben. Gerade einmal 51 Prozent Ballbesitz verzeichneten die Bayern, die wenigen Angriffe waren Konter, etwa in der 36. Minute, als Lewandowski das einzige Tor des Abends erzielte.

Am Mittwoch folgt für Guardiola die nächste Prüfung, im Pokal-Viertelfinale in Leverkusen. Es wird das nächste Spiel für den Pragmatiker werden; der Einsatz von Schweinsteiger sei aufgrund von Problemen am Sprunggelenk "fraglich", teilte der FC Bayern mit, auch Ribéry wird weiter fehlen. Auch im Champions-League-Viertelfinale eine Woche später gegen Porto wird der Trainer so spielen müssen, wie sich die Elf aufstellt; Robben und Alaba werden länger fehlen. Gut möglich, dass der Ästhet in Guardiola sich weiterhin gedulden muss.

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