FC Bayern München:Mit Carletto können alle

Neue Saison, neuer Trainer - was verändert sich beim FC Bayern? Carlo Ancelotti versteht Fußball nicht als akademische Veranstaltung - seine früheren Spieler geraten ins Schwärmen.

Von Birgit Schönau, Rom

Man könnte jetzt sagen: Es wird ernst. Schließlich muss man als neuer Bayern-Trainer beim Bundesliga-Auftakt gegen Werder Bremen schon mal den ersten in einer langen Kette von Beweisen dafür antreten, dass man das viele Geld vom Klub und den mächtigen Haufen an Vorschusslorbeer in den Medien wert ist. Aber ernst ist etwas anderes. Ernst ist die Katastrophe in Mittelitalien, sind die vielen Toten, Verletzten und Obdachlosen nach dem verheerenden Erdbeben. Bei ihnen waren die Gedanken von Carlo Ancelotti wenige Stunden vor dem Bundesligastart. Und ganz gegen seine Gewohnheit formulierte er sie auf seinem Twitter-Account nur in seiner Muttersprache Italienisch: "Meine Unterstützung und meine Zuneigung für die betroffenen Familien."

Ein Italiener betreut also die erfolgreichste deutsche Klubmannschaft, der zweite in der Geschichte des FC Bayern. Ancelotti hat indes schon klargestellt, dass von ihm ein pittoresker Wutausbruch wie die legendäre "Ich habe fertig"-Arie des temperamentvollen Opernfreundes Giovanni Trapattoni nicht zu erwarten sei: "Ich weiß ja schon, dass es ,Ich bin fertig' heißt."

Außerdem knöpfe er sich seine Spieler grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor. Wie, das erfuhr zum Beispiel Franck Ribéry nach seinem Ellbogen-einsatz beim Warmlauf-Duell mit Borussia Dortmund um den Supercup. "Er hat wirklich gut verstanden, dass das so nicht geht", erklärte Ancelotti später gelassen, um den Franzosen nach einer kurzen Rangelei im DFB-Pokalspiel in Jena bereits wieder zu verteidigen: Dort sei der Spieler doch immer fair geblieben.

Trapattoni, 77, behandelte seine Spieler wie ein italienischer Familienvater der alten Schule, mal hätschelte er sie, mal haute er auf den Tisch. Auch sein Fußball war bereits vor zwanzig Jahren ziemlich von gestern und längst nicht so unterhaltsam, wie es die Persönlichkeit des Trap vermuten ließ. Im Zweifel kommandierte er alle Mann schön nach hinten. Das geht heute so nirgends mehr, nicht mal beim kleinen Serie-A-Aufsteiger FC Crotone.

Aber Ancelotti, 57, ist sowieso als einer der wenigen italienischen Profis dem strengem Taktik-Regiment Trapattonis entkommen. Seine Lehrer waren der Schwede Nils Liedholm, der sich als einer der ersten in Italien am niederländischen Totalfußball orientierte und die Manndeckung abschaffte, sowie Arrigo Sacchi, der sich bis heute zuverlässig über zu viel Defensive im italienischen Fußball beklagt.

Ancelotti verehrt Sacchi, aber zum Taktik-Guru taugt der dreimalige Champions-League-Gewinner (mit dem AC Mailand 2003 und 2007, mit Real Madrid 2014) nicht. Diese Rolle hält ohnehin Pep Guardiola besetzt, an dem der in England, Frankreich und Spanien erfolgreiche Italiener sich in München messen lassen muss.

Das Dogma vom Ballbesitz wurde im Supercup entkräftet

Die fast schon sprichwörtliche Besessenheit des Trainers Guardiola wird anpassungsfähigem Pragmatismus weichen, das Dogma vom Ballbesitz wurde bereits im 2:0 in Dortmund gewonnenen Supercup entkräftet - so beiläufig, wie es Ancelottis Art ist. Soll der Gegner ruhig auch mal den Ball haben, wir machen das schon. Die Bayern werden fortan nicht mehr in jeder Spielminute zeigen müssen, dass sie die Bayern sind, genau wie Ancelotti nicht an jedem Spieltag Klassenprimus werden will. Hauptsache, das Endergebnis stimmt, ob mit einem 4-3-3-System oder notfalls mit der von ihm beim AC Mailand favorisierten "Weihnachtsbaum"-Formation mit einsamer Spitze, ist zweitrangig.

Es war übrigens Ancelotti, der Guardiolas Bayern mit einem 0:4 gegen Real Madrid im Halbfinale der Champions League 2014 die größte Demütigung verpasste. Damals siegten die Spanier mit eiskaltem Konterspiel, das ihr Coach so verteidigte: "Natürlich ist es nicht besonders toll, wenn ein Team nur Konter spielt. Aber wenn man nun mal den Platz dafür hat . . ."

Der Erfolgstrainer Ancelotti verkörpert die schlichte Erkenntnis, dass Fußball auch dann keine akademische Veranstaltung wird, wenn man möglichst geschwollen darüber redet. Und dass das, was neuerdings als "Philosophie" eines Trainers verkauft wird, mit dem Begriff Taktik eigentlich auch ganz gut bedient wäre. Im besten Fall könnte er die allgemeine Aufregung um Spielsysteme und Trainerpersönlichkeiten als Wichtigtuerei entlarven, wenn er auch in der Bundesliga mit der zu Unrecht als altmodisch verunglimpften Idee erfolgreich wäre, dass Fußball von den Spielern gemacht wird. Und eine Mannschaft deshalb immer nur so gut ist wie ihre Akteure, so glänzend wie deren Talent.

Zu behaupten, dass sich die Klubführung über Ancelottis Engagement enthusiastisch zeigt, wäre sträflich untertrieben. Besonders Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge lässt keine Gelegenheit aus, dem neuen Mitarbeiter auf die Schulter zu klopfen, die beiden treten miteinander wie alte amici auf und parlieren dabei natürlich auf Italienisch. Allenthalben wird eine Herzlichkeit verbreitet, die außer Vorfreude auch ein wenig Erleichterung spüren lässt. Denn es soll wieder gemütlicher werden bei Mia-san-mia, Freunde! Und trotzdem oder gerade deswegen erfolgreich.

Der FC Bayern holte Ancelotti, wie so viele Klubs vor ihm, als Beruhiger. Guardiola war genial, aber anstrengend, Ancelotti ist genauso bodenständig wie empathisch. Ein uneitler Spielerversteher, der lieber eine kleine Rolle als Fußballrabauke in einem "Don Camillo"-Film mit Terence Hill absolviert, als im Literaturhaus öffentlich Gedichte zu rezitieren. So weit jedenfalls das Klischee, das gerade auch auf dem deutschen Markt mit einer wahren Flut von Ancelotti-Literatur befeuert wird, allein durch zwei Autobiografien.

Beim FC Bayern folgt auf einen Aufreger immer ein Beruhiger

Bestärkt wird das Image vom entspanntesten Erfolgstrainer der Historie durch Ancelottis Ex-Zöglinge von Cristiano Ronaldo bis Zlatan Ibrahimovic, die ihn sämtlich in den Himmel loben. Was natürlich die armen Bayern-Profis gehörig unter Stress setzt: Wer mit diesem Mann nicht kann, der ist garantiert selber schuld. Also bitte alles tun, um nicht als Erster unangenehm aufzufallen. Vielleicht ist genau dieser Nimbus Ancelottis Erfolgsgeheimnis.

Aber keine Sorge, mit Carletto können eigentlich alle. Weil er in sich ruht, wohlwollend ist und witzig. Willensstärke und Selbstdisziplin verpackt er, typisch Italiener, in Gelassenheit. Geduldig, glaubwürdig, flexibel: die Marke Ancelotti. Das ist nicht gespielt, das Aufgeblasene, Wichtigtuerische liegt ihm nicht. "In der Regel werde ich geholt, weil ich Ruhe in einen Verein bringen kann, indem ich eine gute Bindung zu den Spielern aufbaue", schreibt er: "Das ist nun mal eine meiner größten Stärken." Und eine der größten Stärken des FC Bayern ist es vermutlich, auf einen Aufreger einen Beruhiger folgen zu lassen.

Ein Blick in die Klubgeschichte beweist es. Da wurde zum Beispiel der besonnene Ottmar Hitzfeld von Felix Magath abgelöst, aber den martialischen Magath beerbte wieder der ruhige Hitzfeld. Bis die Bayern beschlossen, den schwäbischen Esoteriker Jürgen Klinsmann anzuheuern, nur um nach nicht einmal einer Saison bei Jupp Heynckes um Aushilfe zu bitten.

Zur Abwechslung kam der holländische Feldmarschall Louis van Gaal, bis Spieler und Manager so erschöpft waren, dass wieder der geduldige Heynckes gerufen wurde. Der gewann 2013 das historische Triple, also war die Zeit reif für Guardiola. Und jetzt, nach drei intensiven Jahren, soll mit Carlo Ancelotti wieder Ruhe einkehren. Garniert mit den handelsüblichen Trophäen, selbstverständlich.

Denn sonst droht, was der lebenserfahrene Ancelotti von früheren Arbeitgebern kennt: "Man stellt mich ein, damit ich freundlich und ruhig mit den Spielern umgehe - und sobald die ersten Schwierigkeiten auftreten, ist es genau diese Eigenschaft, die als Problem ausgemacht wird. Vielleicht ist das generell der natürliche Zyklus vieler Trainer, dass genau der Grund, aus dem man sie ursprünglich eingestellt hat, am Ende das Argument wird, mit dem man sie entlässt."

Aber so weit ist es ja noch lange nicht.

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