FC Bayern München:Die Menschwerdung von Louis van Gaal

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Ist das noch der Trainer, den wir hier in Spanien nicht leiden konnten? Und ist das noch der FC Bayern, den wir immer hassten?

Santiago Segurola

Fast alle Episoden, die Real Madrid am liebsten aus seiner Erinnerung löschen möchte, haben mit Bayern München zu tun." Das sagt ein Freund von mir oft bekümmert, aber zu Recht. Die Liste der Kränkungen ist lang. Im Münchner Olympiastadion focht der große Amancio, eine Legende von Real Madrid, sein letztes Spiel aus. Er kam nicht bis ans Ende, wurde vom Platz gestellt. Kurz danach siegte Bayern 9:1 gegen das Team, das damals von Vujadin Boskov trainiert wurde.

Bayern-Trainer Louis van Gaal. (Foto: Foto: AP)

Es war ein Vorbereitungsspiel, doch die Demütigung ist ebenso wenig vergessen wie der Satz des Serben nach dem Torhagel: "Besser ein Spiel mit neun Toren verlieren, als neun Spiele mit einem Tor." In einem anderen Spiel trat Juanito dem Gegenspieler Matthäus auf den Kopf, eine Brutalität, die das Bild des sonst eher gehemmten Stürmers in der Anhängerschaft verbesserte. Die Zahl der Zwischenfälle erreichte ein solches Ausmaß, dass man fast annehmen muss, es handele sich um ewigen Hass. Diesmal jedoch trifft Bayern im Finale gegen Mailand im Bernabéu-Stadion auf Gleichgültigkeit, ja sogar: eine gewisse Wertschätzung bei den Fans von Madrid.

In Wahrheit werden sehr wenige Real-Anhänger da sein. Dieses Finale sollte eigentlich die triumphale Rückkehr von Real-Präsident Florentino Pérez krönen, doch das Team ist schon im Achtelfinale abgeschmiert. Es ist heiß, es ist Wochenende, und Real Madrid spielt nicht. Die Leute flüchten aus der Stadt. Es gibt aber auch Gründe, die eine neue Sympathie für Bayern ausgelöst haben. Der FC Bayern ist plötzlich eine menschliche Mannschaft, ohne die Züge von Überheblichkeit, die sie jahrelang kennzeichnete.

Nach Jahren der Piraterie im deutschen Fußball, in denen Bayern die Konkurrenz ausschaltete, indem man ihre besten Spieler wegkaufte, hat man es in dieser Saison vorgezogen, mit Stammkräften anzutreten, den einen oder anderen Spieler aus der Kaderschmiede dazuzuholen und - Arjen Robben, einen Ex-Real-Spieler, dem das Bernabéu-Stadion nun nachweint. Wenn heute noch mal der Tausch Kaká gegen Robben zur Verhandlung stünde, würden 90 Prozent der Anhänger zu dem Niederländer stehen.

Diese neue Bedachtsamkeit bei Bayern ist es wert, gefeiert zu werden. Dabei helfen auch andere Faktoren. Zwanzig Jahre lang hatten die spanischen Fans Mühe, den wahrscheinlich am meisten getätigten Kameraschwenk der Fußballgeschichte zu ertragen. Immer wenn die Bayern-Spieler irgendetwas Erwähnenswertes unternahmen, vor allem, wenn sie in irgendein Desaster hineinliefen, lieferte die Kamera dazu das verstörende Bild von Beckenbauer, Rummenigge und Hoeneß auf der Ehrentribüne. Sie sahen nie nett aus, nie nah, nie herzlich. Sie waren sich ihrer Macht so bewusst, dass sie wie die Richter eines höchsten Gerichts wirkten. Dieses Bild vermittelte keinerlei Sympathie. In dieser Saison ist die Heilige Dreifaltigkeit seltener in der Loge zu sehen gewesen. Ins Bild gerückt ist van Gaal.

Vor zehn Jahren rief das Bild von van Gaal in Spanien noch schlimmere Stimmungstiefs hervor als das von Beckenbauer, Rummenigge und Hoeneß zusammen. Die Fans in Spanien - und vor allem die des FC Barcelona, den er damals trainierte - sahen alarmiert dem Wesen dieses Mannes zu. Van Gaal verstand die Spanier nicht, und die Spanier verstanden van Gaal nicht, diesen sturen Unsympathen. Es war eine gegenseitige Abneigung, die auch der Wertschätzung van Gaals als Trainer nicht förderlich war. Die Vorurteile gingen so weit, dass das Volk sogar das Entscheidende vergaß: Van Gaal ist immer ein großer Trainer gewesen.

FC Bayern: Meisterfeier
:Begossener Pudel

Das selbsternannte "Feierbiest" Louis van Gaal flieht erfolglos vor der Weißbierdusche, Franck Ribéry tarnt sich, und Thomas Müller führt die Polonaise durchs Stadion. Die Meisterfeier des FC Bayern. In Bildern.

Die schwierige Beziehung gipfelte im besten Kasperltheater in der Geschichte des spanischen Fernsehens, einer Version der britischen Puppensatire spitting image: ein quadratischer Kopf aus Ziegelsteinen mit einer kleinen blonden Haarmatte oben drauf - das war van Gaal. Und die endlos wiederholte Phrase für die Journalisten: "Du, du siehst alles immer negatifff, nie positifff."

Van Gaal verließ Spanien im Jahr 2002, verfolgt von jener glorreichen Parodie. Er kehrte nach Holland zurück. Seine Spur verlor sich dort, er gab als Trainer des AZ 67 Alkmaar Lebenszeichen von sich und erlangte dort sein Prestige zurück, als er mit dieser bescheidenen Mannschaft triumphierte und dann bei den Bayern landete. Für jeden Fan, der älter ist als 50, ist die Vorstellung faszinierend: Dass ein ausgerechnet bei Ajax Amsterdam gestählter, holländischer Trainer den FC Bayern leitet.

Es bedeutet das Zusammentreffen von zwei radikal verfeindeten Fußballkulturen. Auf der einen Seite die Philosophie, die Cruyff repräsentiert: Weite, Großzügigkeit, eine gewisse Romantik. Und auf der anderen das Erbe Beckenbauers: Pragmatismus, Schläue, keine Zugeständnisse an die Poesie. Das hat dermaßen entgegengesetzte Modelle produziert, dass der Fußball religiöse Züge annahm. Reform und Gegenreform. Holland und Deutschland. Das geteilte Europa.

Die Verpflichtung van Gaals beweist, dass die Intelligenz und der gute Wille immer über den Sektierereien stehen sollten, im Fußball wie im Leben. Für den FC Bayern war der holländische Trainer schlicht wundervoll, und wie es aussieht, ist die deutsche Erfahrung für van Gaal schlicht genial. Das Bewundernswerteste ist, dass beide Parteien human geworden sind - zumindest ist das der Eindruck, den man in Spanien hat.

Der FC Bayern hat sich von einem guten Teil seiner Arroganz verabschiedet, und der Trainer ist zu einer herzlichen Persönlichkeit geworden. Wenn man ihn umarmt, fällt er fast um. Er lacht bei den Feiern wie ein Kind. Er ist ein glücklicher, naher, ja witziger Mann geworden. Wir wissen nicht, wie viele Ziegelsteine in seinem Kopf noch vorhanden sind, aber jeder Fußballanhänger steht ihm näher als Mailands Trainer José Mourinho, der wie der alte van Gaal ist - nur ohne jede Grazie und mit viel größeren Ansprüchen.

Es ist kurios: Eine beträchtliche Zahl der Anhänger Madrids zieht einen Sieg der Bayern vor. Die bevorstehende Verpflichtung Mourinhos weckt im unaufgeregten Teil des Klubs Argwohn. Sie fühlen sich vom Ego des Florentino Pérez ausgelaugt und sie fürchten den vernichtenden Angriff der Eitelkeit des Portugiesen. Viele glauben, dass Madrid sich entmenschlicht hat und dafür einen enormen Preis zahlt. Vielleicht beobachtet genau deshalb eine breite Front des Madridismo, der Anhänger von Real, van Gaals neue Bayern mit Sympathie: Sie kommen ihnen menschlicher, näher und witziger vor.

Santiago Segurola ist Chefkommentator von Marca, der größten Sportzeitung Spaniens, die in Madrid erscheint.

© SZ vom 20.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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