FC Bayern: Jérôme Boateng:Zentraler Mann mit Rätselpotential

Jérôme Boateng ist da: Der FC Bayern baut künftig auf einen Innenverteidiger, der seine erklärte Lieblingsrolle bisher fast nie spielen durfte. Auch der Nationalspieler weiß, dass es ein bisschen dauern kann, bis er alle Kritiker in der Stadt überzeugt hat.

Christof Kneer

Vor zwei Jahren, bei der U21-Europameisterschaft in Schweden, tat ein englischer Scout etwas, was ein Scout niemals tut. Er verließ seinen Sitzplatz und ging hinüber zu den Pressevertretern. Freiwillig. Normalerweise sind Scouts konspirativ tätig, sie leben davon, dass weder Menschen noch Journalisten ihr Gesicht kennen.

Jerome Boateng wechselt zum FC Bayern München

Künftig ein Münchner, sogar der "Wunschkandidat": Jérôme Boateng.

(Foto: dpa)

Es wäre geschäftsschädigend, wenn in einer Zeitung stünde: Hallo Branche, der Verein X beobachtet den Spieler Y! An diesem Juniabend aber waren die geheimdienstlichen Regeln vorübergehend außer Kraft gesetzt. Der Scout musste sicher gehen. Er ging hinüber zu den deutschen Journalistenmenschen und fragte: "Sagt mal, Jungs: Spielt dieser Kerl immer so gut?"

Die Jungs antworteten: Hm, kann sein. Genau wissen wir's aber auch nicht.

Jérôme Boateng, 22, ist seit Donnerstag offiziell Lizenzspieler des FC Bayern München, inoffiziell war er etwa 17 Millionen Euro teuer, aber viel genauer weiß man's immer noch nicht. Boateng ist ein typischer Bayern-Transfer, einerseits, er ist prominent und kostspielig, man kann gut mit ihm angeben. Gleichzeitig ist er überhaupt kein typischer Bayern-Transfer, denn: Boateng ist - trotz der WM-Teilnahme in Südafrika, trotz 13 A-Länderspielen - immer noch ein Rätsel.

Boatengs Rätselpotential besteht darin, dass es sich bei ihm um den weltweit besten Innenverteidiger handelt, der noch nie Innenverteidiger spielen durfte. Oder: fast noch nie. Damals, bei der U21-EM, durfte er das, Trainer Horst Hrubesch kannte seine Begabung aus Hamburg.

In Schweden hat Boateng Stürmer und Scouts gleichermaßen zur Verzweiflung gebracht. Er hat Zweikämpfe gewonnen, ohne zu grätschen, er hat aufrecht die Bälle abgelaufen, und nach inoffiziellen Strichlisten hat er im Turnier exakt null Kopfballduelle verloren. Er war der Innenverteidiger der Zukunft. Problem: Er ist das immer noch.

In der Gegenwart ist der Innenverteidiger Boateng bis heute nicht angekommen. Erstaunlicherweise haben sie ihn seitdem in all seinen Teams in die Außenverteidigung gesteckt, erst beim HSV, dann bei Manchester City, auch in Joachim Löws A-Nationalelf. Bei der WM in Südafrika musste der Rechtsfuß sogar links hinten niedere Dienste verrichten, er hat das klaglos erledigt, die Seite dicht machen und einen Sicherheitspass spielen, mehr war nicht drin.

In Manchester spielte er hinten rechts, oft solide, selten preisverdächtig. Auf 16Saisonspiele brachte er es in der Premier League, am Ende fehlte er wegen einer Knieverletzung. Die Ferien hat er im US-Camp des Fitnessfachmanns Mark Verstegen verbracht, er weiß, dass er seinen Körper braucht, wenn er am Sonntag in München ins Training einsteigt. Er muss fit sein, um die Skeptiker zu besiegen.

Der liebe Boateng

Jérôme ist der liebe Boateng, aber er weiß, dass ihm sein Nachname von Unwissenden zur Last gelegt wird. Es war der Halbbruder Kevin-Prince, der Michael Ballack hinterrücks verletzte, und Jerome, der Jüngere, hat den Spagat geschafft, sich glaubwürdig vom Halbbruder zu distanzieren, ohne ihn zu verdammen. "Man kann die beiden nicht vergleichen", sagt Matthias Sammer, der Sportdirektor des DFB, der die deutsche U21 im Juni 2009 bei der EM begleitet hat.

Er ist Jérôme-Boateng-Fan seit damals, er hat erlebt, wie dieser introvertierte Spieler plötzlich Aufgaben übernahm, die ihm keiner zugetraut hatte. "Jérôme war auch außerhalb der Spiele ein stabilisierender Faktor", sagt Sammer, es gab eine durchaus schwierigere Fraktion im Kader, die von Boateng Seriosität und Trainingsfleiß vorgelebt bekam.

"Man muss Jérôme gut kennen, um ihn beurteilen zu können", sagt Sammer. Für ihn ist das auch der Grund, warum Boateng so selten in seiner besten Rolle besetzt wurde. "Seine Bewegungen wirken mitunter etwas unruhig und staksig, und wer ihn nicht kennt, neigt dazu, in der Innenverteidigung eine vermeintlich sicherere Variante zu wählen", sagt Sammer. "Aber wenn man Jérôme vertraut, ist er der perfekte Innenverteidiger."

Es ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, das Boateng und der FC Bayern da geschlossen haben. Die Münchner geben ihm die Chance, dem Bundestrainer Löw seine theoretische Veranlagung in der Praxis vorzuführen, und sie gehen davon aus, dass der junge Mann dann seine zentrale Rolle nutzt, um gemeinsam mit einem anderen jungen Mann (Badstuber) jenes hintere Spieldrittel zu befestigen, mit dem der vormalige Trainer van Gaal nichts zu tun haben wollte.

Für vier Jahre hat sich Jérôme Boateng den Bayern versprochen, er weiß, dass es ein bisschen dauern kann, bis er alle in der Stadt überzeugt. Vom Trainer Jupp Heynckes heißt es, er habe ursprünglich den Schalker Benedikt Höwedes favorisiert.

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