FC Bayern in der SZ-Analyse:Drei Tore, aber keine Harmonie

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Thiago (li.): Torschütze zum 2:0 (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Der FC Bayern gewinnt das erste Gruppenspiel der Champions League gegen den RSC Anderlecht mit 3:0.
  • Schon nach zwölf Minuten gelingt die Führung per Elfmeter, danach spielen die Münchner in Überzahl, aber nur selten überzeugend.
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Aus dem Stadion von Benedikt Warmbrunn, München

Zunächst etwas ganz und gar nicht Kritisches: Carlo Ancelotti hat ein ausgezeichnetes Pokerface. Er könnte damit in jedem Casino der Welt erfolgreich sein, er könnte sich jedem Duell eines Italo-Westerns stellen, wahrscheinlich könnte er damit auch 100 Flachwitze vorlesen, ohne auch nur einmal zu lachen. Carlo Ancelotti hat sich mit seinem Pokerface allerdings dazu entschieden, als Fußballtrainer zu arbeiten, natürlich hat er auch so seine Erfolge gefeiert.

Dass er auch ein Innenleben haben könnte, ist dabei im Laufe der Jahre etwas in Vergessenheit geraten.

Carlo Ancelotti selbst hat an seine Gefühlswelt nun erinnert, vor der Partie gegen den RSC Anderlecht. In den vergangenen Tagen ist ja fast jede Entscheidung des Italieners kritisiert worden. Seine Taktik. Seine Aufstellung. "Die Kritik ist zu viel. Ich bin es gewohnt, kritisiert zu werden, aber um ehrlich zu sein, ist es zu viel", sagte Ancelotti dem Fernsehsender Sky. Er hat all das lange mit einer bewundernswerten Bärenruhe ertragen. Am Dienstag aber sagte er: "Ich bin nicht von gestern." Es sei ja so: "Viele Leute sprechen über Strategie, Taktik und Position der Spieler. Es ist zu viel. Fußball ist einfacher."

Am Dienstag nun, nachdem sich Ancelotti für Ancelotti eingesetzt hatte, siegte seine Mannschaft zum Auftakt der Champions-League-Saison 3:0 (1:0) gegen Anderlecht. Es hätte nun das Ende aller Kritik sein können. Aber so einfach ist Fußball manchmal nicht.

Mats Hummels und Thomas Müller sitzen beim Anpfiff auf der Bank

Ja, der FC Bayern hat pflichtgemäß gewonnen, wer es gut meint, könnte auch sagen, dass die Mannschaft nicht zu viele Kräfte verschwendet hat vor den weiteren fünf Spielen in den nächsten 18 Tagen. Wer es nicht ganz so gut meint, könnte sagen, dass die Mannschaft es nicht geschafft hat, all die Zweifel zu zerstreuen. Und die Kritik an Ancelotti, sie wird auch nicht komplett verstummen: Wie ein Team eindrucksvoll in die Champions League startet, demonstrierte ja der Gruppenrivale Paris St. Germain mit einem 5:0 in Glasgow.

FC Bayern in der Einzelkritik
:Ribéry pfeffert sein Trikot auf die Bank

Der Franzose bringt Energie ins Spiel - und ärgert sich bei seiner Auswechslung. Corentin Tolisso ist einer der Besten. Robert Lewandowski betreibt teils Individualsport. Der FC Bayern in der Einzelkritik.

Aus dem Stadion von Thomas Hummel

Tatsächlich geht es in diesen ersten Wochen der Saison manchmal fast gar nicht darum, wen Ancelotti aufstellt, sondern darum, wen er nicht aufstellt, wer auf der Bank sitzt. Gegen Anderlecht waren das: Marco Friedl, der lange verletzte Jérôme Boateng, Sebastian Rudy, Kingsley Coman, Mats Hummels - und Thomas Müller, der es vor zweieinhalb Wochen mit seiner Beschwerde erst zu einem Thema machte, wer spielt und wer nicht spielt. Auch dazu hatte sich Ancelotti geäußert: Dass Müller hinter Robert Lewandowski am stärksten sei. Und: "Ich habe ihn noch nie als rechten Flügelspieler eingesetzt, weil ich nicht dumm bin." Weil er nicht dumm ist, setzte er gegen Anderlecht auf eine offensive Aufstellung, mit Franck Ribéry (der bei seiner späten Auswechslung demonstrativ das Trikot auszog und auf die Bayern-Bank pfefferte), mit Arjen Robben, mit James Rodríguez, mit Thiago, mit Corentin Tolisso, mit Lewandowski. Die Aufstellung sagte: Jetzt ein klares Ergebnis - und dann Ruhe, bitte.

Dieser maximal offensive FC Bayern war von Beginn an die dominante Mannschaft, auch wenn es keine drückende Dominanz war. Doch es dauerte ohnehin nur elf Minuten, dann war die Partie eine andere. Anderlecht hatte bis dahin mit fünf Spielern am Strafraum verteidigt, direkt davor standen weitere vier. Dann aber sah Innenverteidiger Sven Kums die rote Karte nach einem Foul an Lewandowski. Der Pole traf selbst vom Elfmeterpunkt zum 1:0 (12.).

"Bei allem Respekt, aber nach der roten Karte musst du die aus der Arena schießen", kritisierte Arjen Robben hernach: "Wir haben ohne Tempo gespielt, ohne Rhythmus, da musst du geil sein und mehr Tore schießen."

Anderlecht fehlte nach dem Platzverweis ja ein Mann, um weiterhin zu fünft den Strafraum zuzustellen, aber das fiel kaum auf. Lewandowski nutzte eine gute Kopfballchance nicht (15.), doch ansonsten passierte nicht viel. Tolisso probierte es mit einem etwas pomadigen Distanzschuss - der Ball flog pomadig über das Tor (32.). Dann passierte das Überraschende: Anderlecht fing an, selbst nach vorne zu spielen.

Adrien Trebel schoss aus der Distanz direkt auf Manuel Neuer (33.). Acht Minuten später stand Nicolae Stanciu frei im Strafraum, er traf den Ball jedoch nicht richtig. Ancelotti stand unbeweglich an der Seitenlinie, womöglich mag er sich überlegt haben, welcher seiner Spieler der gestrigste sei. Anderlecht jedenfalls ließ sich auch durch die Halbzeit nicht im neu gewonnenen Offensivdrang bremsen, sie sind ja auch nicht dumm. In der 49. Minute traf Alexandru Chipciu den Pfosten. Strategie, Taktik oder Positionen der FCB-Spieler waren in dieser Phase nicht zu erkennen.

Gegen zunehmend müder werdende Gäste kam der FC Bayern dann schließlich doch zu einigen Chancen, ohne sich verausgaben zu müssen. Niklas Süle scheiterte mit einem Kopfball nach einer Freistoßflanke an Matz Sels (54.). Sieben Minuten später stand Arjen Robben frei vor Sels, doch dieser parierte mit einem starken Reflex. Die Entscheidung fiel dann in der 65. Minute. Tolisso spielte den Ball mit Übersicht auf die rechte Seite zu Joshua Kimmich, der flankte präzise in die Mitte, dort stand Thiago frei und ließ Sels dieses Mal keine Chance. Den Endstand erzielte Kimmich dann selbst (90.).

"Wir hätten schon in der ersten Hälfte deutlich mehr drauflegen können", fand Innenverteidiger Niklas Süle. Arjen Robben pflichtete dem wortreich bei: "Wir haben nach dem 1:0 gespielt, als stände es 5:0. Da müssen wir uns alle hinterfragen. Wir dürfen alle nicht so viel reden. Wir müssen auf dem Platz reden." Carlo Ancelotti verfolgte alles schweigend an der Seitenlinie, die Hände in der Hosentasche. Und das Gesicht ein starres Pokerface.

© SZ vom 13.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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