FC Bayern in der Champions League:Zwei Spiele in einem

Die Champions-League-Partie gegen Lyon wird für Klinsmanns Bayern zum Stimmungsfinale - und wird vorerst über den Tonfall entscheiden, in dem der neue Trainer extern und intern bewertet wird.

Christof Kneer

Es zählt zu Jürgen Klinsmanns Hobbys, immer gerade das zu tun, was keiner von ihm erwartet. So haben sich am Montag alle den Kopf darüber zerbrochen, wen Klinsmanns Rotation als Nächstes erwischt. Wird er Rensing aus dem Tor nehmen, wird er van Bommel die Kapitänsbinde entwenden und sie an Ottl weiterreichen? "Nein, Mark bleibt Kapitän, weil er ein super Spieler und sehr kommunikativ ist", sagte Klinsmann dann, aber eine kleine Überraschung hatte er sich doch einfallen lassen: Er lässt jetzt Betten rotieren. Vor der Champions-League-Partie gegen Olympique Lyon hat er seine Spieler zum ersten Mal in seiner Amtszeit als Bayern-Coach zur Übernachtung ins Hotel bestellt - wenn man weiß, dass Klinsmann als radikaler Sympathisant des Heimschläfertums gilt, dann darf man den Entzug des heimischen Bettes als das nehmen, was er ist: als Ermahnung an die Spieler - und als Zeichen, dass es jetzt ernst wird. "Es ist doch klar, dass nach einem Spiel wie in Hannover deutliche und auch lautere Worte fallen", sagte Klinsmann über jene knackige Kabinenansprache, die sich seine Spieler am Sonntag anhören durften.

FC Bayern in der Champions League: Jürgen Klinsmann (rechts) mit Franck Ribéry, der hofft, gegen seine Landsleute von Olympique Lyon von Anfang an spielen zu dürfen.

Jürgen Klinsmann (rechts) mit Franck Ribéry, der hofft, gegen seine Landsleute von Olympique Lyon von Anfang an spielen zu dürfen.

(Foto: Foto: Reuters)

Niemand weiß ja besser als Klinsmann, dass Fußball schrecklich banal sein kann. Was richtig und falsch war, entscheidet hinterher das Ergebnis, was bei radikalen Denkern wie Klinsmann immer besonders radikale Ausschläge ergibt: Verliert seine Nationalelf 1:4 in Italien, dann ist dieser Trainer ein Berufsanfänger, über den die gegnerischen Spieler lachen. Wird seine Nationalelf Dritter bei der Heim-WM, dann ist dieser Trainer der Erfinder des modernen Fußballs, um den sich die halbe Welt reißt. Niemand weiß besser als Klinsmann, dass er wieder mal so ein Ausschlagsspiel vor sich hat: Gewinnt er gegen Lyon und am Samstag gegen Bochum, ist ihm eine ruhige Länderspielpause gewiss, und Klinsmann wird behaupten können, dass die Rotation der Elf zu zwei Siegen verholfen habe. Verliert er gegen Lyon (und, nicht auszudenken, gegen Bochum), wird die Länderspielpause so unruhig, wie sie nur sein kann.

Gegrummel und Geraune

So dürfte das Spiel gegen Lyon für die Klinsmannbayern ein erstes Stimmungsendspiel werden. Es wird vorerst über den Tonfall entscheiden, in dem der neue Trainer extern und intern bewertet wird. Zuletzt sind hinter der offiziellen Alles-kein-Problem-Propaganda ein paar kleine Grummeleien zu vernehmen gewesen, die im Ernstfall das Potential hätten, sich zur ernsthaften Krisendebatte auszuwachsen. Die Spieler würden manchmal konkrete Handlungsanweisungen vermissen, so wurde kolportiert, und sie seien mitunter etwas verwundert über die sprunghaften Taktik- und Personalwechsel.

All das befindet sich noch im Zustand des branchenüblichen Geraunes, umso bedeutsamer wird nun das Lyon-Spiel, das von Klinsmann selbst noch wichtiger gemacht wurde, als es ohnehin schon ist. Er hat sich ja entschieden, die Spiele in Hannover und gegen Lyon im Paket zu begreifen, er hat sozusagen zwei Spiele in einem gecoacht. Er hat einen Teil des Personals, das er für Lyon braucht, in Hannover geschont, und weil der erste Teil der Paketlösung scheiterte, braucht er den zweiten nun umso dringender. "Es darf und wird nicht schief gehen gegen Lyon", verfügt Manager Uli Hoeneß kraft Amtes. "Gegen Lyon können wir uns international bewähren, um den Rhythmus zu finden, den wir auch in der Liga brauchen. Ich hoffe aber nicht, dass wir in diesem Jahr zwei Gesichter zeigen werden - ein gutes in der Champions League und ein nicht so gutes in der Bundesliga."

Es hat ja eine ironische Komponente, dass Klinsmann nun in der Hitzfeld-Falle steckt. Sein Vorgänger hat sich ja von der Totalrotation im November 2007 nie mehr erholt; gegen die Bolton Wanderers hatte er damals Ribéry und Podolski vom Platz befohlen, um sie fürs anstehende Spiel in Stuttgart zu schonen, was ihm Rummenigges spitze Fußball-ist-keine-Mathematik-Formulierung eintrug.

Keine Garantie für Ribéry

Wer sich im Umfeld des Trainers umhört, der erfährt, dass Klinsmann offenbar keineswegs überrascht ist von der aktuellen Situation. Bayern und Klinsmann, das sind ja zwei völlig unterschiedliche Ansätze, und im Moment stecken beide Parteien in der Kennenlernphase. Sie versuchen, die unterschiedlichen Ansätze passend zu machen. Klinsmann, so hört man, gefällt es nicht sonderlich, dass manche Spieler das Wohlfühlklima im Klub gelegentlich mit Bequemlichkeit verwechseln. Schon in seiner Zeit beim DFB hat Klinsmann flammende Appelle an die Eigenverantwortung der Spieler gerichtet, er hat sie aufgefordert, mehr und noch mehr zu trainieren; aus Bayern-Spielerkreisen sind nun erste sanfte Klagen über die Intensität des Trainings am Tag vor dem Spiel nach außen gedrungen.

So sind beide Seiten gerade erst dabei, einander zu verstehen. Die von Hitzfeld auf Berechenbarkeit und verlässliches Positionsspiel gepolten Bayern müssen damit umzugehen lernen, dass hier ein Trainer kommt und radikal die Ressourcen des Kaders testet; dass er nicht nur rotieren, sondern auch auf dem Spielfeld rochieren lässt; dass er seine Reizpunkte anders setzt als Hitzfeld, der sich gelegentlich den Führungspieler Kahn herausgriff und eine symbolische Strafe verhängte.

Klinsmann dagegen setzt seine Reizpunkte, indem er niemandem außer Philipp Lahm die Gewissheit gibt, zur Stammelf zu gehören. "Da müssen sich alle bis zum Anpfiff gedulden", antwortete Klinsmann auf die Frage, ob er Ribéry gegen Lyon von Beginn an einzusetzen gedenke. Zu "alle" gehört auch Ribéry selbst, der tags zuvor noch forsch darauf hingewiesen hatte, dass er sich in der Anfangself sieht. Klinsmann lässt auch ihn zappeln, es ist sein erklärter Wille, den Kader unter Spannung zu halten. "Die Mannschaft befindet sich in einer Neudefinierung", sagt er. Aber in einer, die sich besser vorantreiben lässt, wenn man gegen Lyon gewinnt.

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