Bate Borissow in der Champions League:Traktor-Oligarch mit Visionen

Fußball und Politik gehören in Weißrussland zusammen - auch beim FC-Bayern-Gegner Bate Borissow, einem kuriosen Außenseiter der Champions League. Dennoch ist Bate nicht mit den Oligarchen-Projekten aus den Nachbarländern Russland und Ukraine zu vergleichen. Im Sturm spielt ein alter Bekannter aus der Bundesliga.

Johannes Aumüller, Minsk

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Überraschungsteam: Dank des 3:1 in Lille führt der Klub von Aliaksandr Hleb (rechts, im Zweikampf mit Lilles Rio Mavuba) die Gruppe F an.

(Foto: AFP)

In Borissow kramen sie gerade vergnügt die Statistiken hervor. München, heißt es, das ist ein Gegner, der uns liegt. Dazu verweisen sie auf jenen Wettbewerb namens UI-Cup, in dem es 2002/03 zu einem Duell ihres örtlichen Klubs Bate mit 1860 München kam, das die Elf aus Weißrussland für sich entschied. Sowohl der Wettbewerb als auch 1860 sind allerdings inzwischen aus Europas Fußball verschwunden, Borissow hingegen bestreitet nun schon zum dritten Mal eine Champions-League-Vorrunde, diesen Dienstag ist der FC Bayern im Spielort Minsk zu Gast.

Seit einer Änderung im Qualifikationsmodus tauchen in der Gruppenphase vermehrt Klubs auf, die noch nach UI-Cup klingen: CFR Cluj, FC Nordsjælland. Doch würde jemand einen Preis für den kuriosesten Königsklassen-Starter der vergangenen Jahre ausloben - Bate Borissow besäße vorzügliche Chancen. Weil der Klub aus der industriell geprägten 150.000-Einwohner-Stadt (weißrussisch: Baryssau) erst seit Mitte der Neunziger professionelle Ambitionen hat.

Weil seine reguläre Heimspielstätte gerade mal 5402 Zuschauern Platz bietet (für Champions-League-Partien wird ins 70 Kilometer entfernte Minsk ausgewichen). Weil er die Bilanz von sechs nationalen Titel in sechs Jahren aufweist und nun auch einen Auftaktsieg gegen Lille. Weil das Budget offiziell lediglich acht Millionen Dollar beträgt - und weil die Mannschaft eben aus Weißrussland stammt: Europas letzter Diktatur.

Fußball und Politik lassen sich in Weißrussland nicht voneinander trennen, auch wenn der autoritär regierende Präsident Alexander Lukaschenko eigentlich Eishockey-Fan ist und von Bate Borissow, wie es heißt, noch kein einziges Spiel gesehen hat. Fußball-Verbandschef Sergej Rumas arbeitete zuvor als stellvertretender Premierminister. Dessen Vorgänger Gennadij Newyglas schob die Station im Verband zwischen seine Aufgaben als Sicherheitschef Lukaschenkos und als stellvertretender Generalsekretär der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), einem Militärbündnis osteuropäischer Staaten.

Der Präsident von Dynamo Minsk, dem traditionsreichsten Klub des Landes, ist der Oligarch Jurij Tschysch, ein enger Vertrauter des Staatschefs und von der Europäischen Union kürzlich mit Sanktionen bedacht. Bate Borissows Chef Anatolij Kapskij gehört nicht zum allerengsten Zirkel, er bezeichnet sich gerne als apolitisch; gleichwohl ließ er sich vor einer Wahl schon mal von Lukaschenko einspannen.

Im Angriff spielt ein alter Bekannter

Kapskij, 46, ist ein vielbeschäftigter Mann: "Ich bin halt nicht nur Klub-Präsident, sondern habe auch einige Unternehmen." Über die Frage, ob auch Klubchefs außerhalb von Borissow Unternehmen führen, etwa eine Wurstfabrik, kann er ja bei den obligatorischen Offiziellentreffen rund um das Spiel gegen Bayern geeignete Gesprächspartner finden.

Kapskij selbst hat in den neunziger Jahren unter anderem mit dem Handel von Auto-Ersatzteilen seine Millionen verdient, seit 2005 ist er Generaldirektor beim Namensgeber des Klubs, bei der Borissow Automobil- und Traktor-Elektronik, kurz Bate. Im vorigen Jahr landete er auf der Liste der einflussreichsten weißrussischen Geschäftsleute auf Platz 34. Er zählt zu den zwei Hauptverantwortlichen hinter dem eindrucksvollen Aufschwung des Vereins.

Mitte der Neunziger hatte eine Gruppe von Geschäftsleuten befunden, dass die Stadt nun auch mal einer schlagkräftigen Fußball-Mannschaft bedürfe. Das Präsidentenamt übernahm Kapskij, damals gerade 30 Jahre alt. Die Geschäftsleute investierten ordentlich. Und dennoch ist Bate mit den Oligarchen-Projekten aus den Nachbarländern Russland und Ukraine nicht zu vergleichen. Der teuerste Transfer der Vereinsgeschichte betrug bisher 600.000 Dollar.

Das ist etwas mickrig, um einen international halbwegs gestandenen Spieler zu verpflichten. Allerdings reicht es locker, um die Etatliste der nationalen Liga anzuführen, weswegen mittlerweile rund die Hälfte der Nationalelf unter Vertrag steht. Allen voran der frühere Stuttgarter Aliaksandr Hleb und der einstige Freiburger Witalij Rodionow, die das Offensiv-Duo bilden. "Wir haben stets versucht, uns behutsam und Schritt für Schritt weiterzuentwickeln", sagt Kapskij. Dazu zählt auch das neue Stadion, das Bate gerade für eine Kapazität von 15.000 Zuschauern errichtet - wo dann zumindest Gruppenspiele der Champions League möglich sein sollen.

Neben dem Millionär ist der wichtigste Mann in Borissow Trainer Viktor Gontscharenko. Der war gerade 31 Jahre alt, als er 2007 das Team übernahm. Seitdem hat er ihm einen für weißrussische Verhältnisse attraktiven Stil verpasst. Er gilt als wissbegierig und fußballverrückt, in der spielfreien Zeit reist er oft zu westeuropäischen Teams, um dort zu hospitieren. Doch er gehört zu den Borissowern, die an München nicht in erster Linie gute Erinnerungen haben. Wenige Tage vor dem Spiel gegen 1860 musste er seine Karriere beenden. Kreuzbandriss.

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