FC Bayern in der Champions League:Endlich ein richtiges Fußballspiel!

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Bayern in Ekstase: Kingsley Coman (links) und Thiago (Foto: AFP)

Mitreißende Bayern, ein fantastischer Gegner - und Spieler, die Freudentänze vollführen: Auf all das möchte Klubboss Rummenigge in einem Achtelfinale am liebsten verzichten?

Kommentar von Thomas Hummel

Es ging schon fast auf ein Uhr zu, als sich der Stau noch immer wie festgeklebt an die Arena heftete. Aus einem Parkhaus wollte schlichtweg nichts vorwärts gehen. Weil, wie man erst später sah, die hoch verehrten VIP-Gäste eine von zwei Spuren belegen durften, um auf ihre Taxis zu warten. Das schien die Freunde des FC Bayern in ihren zumeist großen Limousinen aber überhaupt nicht zu stören, einige hupten fidel, andere hupten zurück. Wer will nach einem solchen Spiel schon über VIPs schimpfen oder ans Aufstehen am nächsten Morgen denken?

Da war es nämlich gewesen. Man durfte ja in München schon kaum mehr darauf hoffen. Es erwischte einen unvorbereitet, wie eine nostalgische Erinnerung aus der Vergangenheit, die plötzlich wieder real wird: Es war ein Fußballspiel! Ein richtiges Fußballspiel! Mit einem fantastischen, herausragenden Gegner. Mit Fehlern der heimischen Mannschaft, die zuletzt im vergangenen Jahrtausend gesehen wurden. Aus dem FC Perfektion wurde binnen 60 Minuten ein fehlbarer, verwundbarer, schlagbarer FC Bayern München. Umso mehr faszinierte die Kraft, der Willen, das Können, mit der die Mannschaft noch das Ausscheiden abwendete.

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Die Spieler führten Freudentänze auf

4:2 nach Verlängerung gegen Juventus Turin, nach 0:2-Rückstand. Die Spieler führten Freudentänze auf, das Stadion bebte, Thomas Müller schleppte sich im weißen T-Shirt mit letzter Energie an den Zaun zum Humba-Humba-Täterä, die Zuschauer hupten vor Freude. Und an den Mittagstischen der Stadt sprechen sie heute über diesen Arturo Vidal, der in der Nachspielzeit von irgendwoher auftauchte, um Juventus am eigenen Strafraum den Ball abzuknöpfen und so das 2:2 zu ermöglichen.

Alles super, oder Herr Rummenigge? "Wir sind einfach alle abhängig vom Schicksal. Mir reicht es jetzt mit dem Schicksal." Was der Vorstandsvorsitzende der FC Bayern AG meinte, war nicht die glückliche Fügung, in der Nachspielzeit noch den Ausgleich erzielt zu haben. Sondern er prangerte an, dass sein großer Klub bereits im Achtelfinale der Champions League gegen einen anderen großen Klub antreten musste. Und dabei haarscharf an einem Aus vorbeigerattert war. Ein schreckliches, fürchterliches Aus, wie man vermuten darf. Während er bei Ansicht einiger anderer Achtelfinalspiele "fast abgeschaltet" habe. Wolfsburg - Gent? Sankt Petersburg - Benfica Lissabon? Atletico Madrid - Eindhoven? Pfff!

"Bei der Uefa muss man darüber nachdenken, ob man dem Schicksal seinen Lauf lässt. Oder ob man Dinge wie eine Setzliste einführt. Das ist alles so in der Zukunft nicht mehr tragbar", zeterte Rummenigge. Und erklärte auch gleich den Grund: "Wir sprechen über zu viel: Image, Geld, Meriten."

Es geht ja schließlich ums Geld

Man muss Rummenigges Gefühl fürs Timing loben. Er hat genau den richtigen Zeitpunkt erwischt. An einem Abend, an dem die Menschen endlich mal wieder fühlen durften, wie mitreißend und wunderbar der Fußballsport gerade auf höchstem Niveau sein kann, kommt der Chef des größten Fußballklubs der Welt daher, und will den Wettbewerb gleich wieder abschaffen. Ein Achtelfinale wie damals gegen den FC Basel wäre doch viel schöner - 7:0. Oder jenes gegen Schachtjor Donezk - auch 7:0. Den Gegner am besten gar nicht mitspielen lassen, um nur ja keine Überraschungen mehr zuzulassen. Es geht ja schließlich ums Geld. Um die Marke. Der FC Bayern hat sich einen leichten Weg ins Halbfinale sozusagen historisch verdient.

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Es spricht hier ein Klub, der es in den vergangenen Jahren geschafft hat, wirklich ganz oben anzukommen. Mit Barcelona, Real und fünf, sechs anderen Vereinen ist der FC Bayern heute die Weltmarke des Sports. Und das soll gefälligst so bleiben. Die Münchner verteidigen diese Stellung inzwischen nicht mehr nur auf dem Platz oder auf dem Transfermarkt. Schlichtweg das System soll den Status quo erhalten. Das Financial Fairplay der Uefa schützt letztlich die aktuell besten Vereine vor neureichen Emporkömmlingen. Rummenigge sprach zuletzt über eine europäische Superliga, bestimmt ohne Auf- oder Abstieg. Nun bringt er eine Setzliste in der Champions League ins Spiel, die ein mögliches Pech bei der Auslosung minimiert.

Ob das das Publikum dauerhaft mitmacht? Das Stadion in München wird sicher immer voll sein. Doch Partien wie zuletzt zu Hause gegen Werder Bremen mit fast 83 Prozent Ballbesitz erhöhen sicher nicht die Attraktivität des Produkts. Selbst in der Champions League ist die Besetzung des Viertelfinals fast zementiert. In der Vorrunde gibt es die Setzliste längst, bleibt nur das Lospech im Achtelfinale, um aus dem Kreis der Super-super-Klubs für ein Jahr rauszufallen. Für Rummenigge ein nicht akzeptabler Vorgang: "Ich mag lieber, mich vom Schicksal unabhängig machen."

Er scheint endgültig vergessen zu haben, dass gerade die Unwägbarkeiten dieses Spiel groß gemacht haben. Er merkt offenbar nicht, dass die Langeweile an der Spitze gerade der Attraktivität und damit auch der Vermarktung der Bundesliga arg zu schaffen macht. Es ist vielleicht Zeit, dass ihm Verbände, andere Klubs und auch die Zuschauer klarmachen, dass ein Aus im Champions-League-Achtelfinale gar nicht so schlimm wäre. Weniger schlimm jedenfalls als wenn man immer schon vor dem Stadionbesuch weiß, wie es am Ende ausgeht.

© SZ.de vom 17.3.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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