FC Bayern im ukrainischen Lwiw:Wenn es um mehr als nur Fußball geht

Der FC Bayern reist für ein Champions-League-Spiel zu Schachtjor Donezk in die Ukraine - und plötzlich fällt die Trennung zwischen Politik und Sport nicht mehr so leicht. Die Münchner nutzen die Partie, um ihr angekratztes Image aufzupolieren. Für die Ukrainer geht es um viel mehr.

Von Jonas Beckenkamp, Lwiw

Vielleicht wäre sogar noch Zeit für eine gemeinsame Cola im Air-Bräu gewesen. Javi Martínez schlenderte am Montagvormittag im schwarzen Kapuzenpulli über den Münchner Flughafen. Während der Baske des FC Bayern von einem Heimatbesuch zurückkehrte, machten sich seine Teamkameraden gerade bereit für den Abflug in die Ukraine. Martínez kann der Mannschaft nach einem Kreuzbandriss derzeit nicht helfen, er blieb der Reise fern. Alle übrigen Bayern fanden sich zum Boarding für Flug LH 2570 ein. Nur wenige Stunden später landeten sie in Lwiw (Lemberg). In einem Land, in dem Krieg herrscht.

Es ist eine ungewöhnliche, eine unangenehme Champions-League-Reise für den FC Bayern. Doch sie begann dann ganz normal: Am Flughafen in Lwiw erwartete die Spieler eine mächtige Menschentraube.

Hohen Besuch wie die Berühmtheiten aus München haben sie in Lwiw selten. Zur Champions League ist die Stadt im Westen des Landes aufgrund der widrigen Zustände im Osten gekommen. Es herrscht Krieg. Das Stadion des Bayern-Gegners Schachtjor Donezk ist zerstört, der Verein muss seine Heimspiele im 1236 Kilometer weiter westlich gelegenen Lwiw austragen. Trotz der gerade beschlossenen Waffenruhe ist an Fußball in Donezk bis auf Weiteres nicht zu denken.

Lwiw ist eine hübsch bröckelnde K.-u.-K.-Stadt, die eher nach Wiener Kaffeehauskultur anmutet als nach Krieg. In der Altstadt ist eine Schlittschuhbahn aufgebaut, grinsende Polizisten flanieren mit Sowjetmützen aus Plüsch durch die Gassen und über allem strahlt die glitzernde Wintersonne. An einem Stand werden Klopapierrollen mit dem Konterfei von Wladimir Putin feilgeboten, ein paar Meter weiter steht eine Spendenbox für die ukrainische Armee - sie sieht aus wie ein Miniatur-Panzer. Wem es zu kalt wird, der findet unzählige Bars mit wärmenden Plätzchen und gemütlichen Namen wie zum Beispiel das "Kredenz Cafe". Dort hält die Karte gleich mehrere Variationen von "Strudel" bereit.

"Hier ist alles in Ordnung, die Probleme sind weit weg", sagt ein Taxifahrer, "aber in Donezk haben sie gerade andere Sorgen als Fußball." Er freue sich trotzdem, dass "Bavaria Munchen" da sei. "Big game", natürlich. Bei Ligaspielen wird nicht einmal ein Euro Eintritt verlangt, Champions League ist dagegen teurer. Zehn Euro für einen Stadionbesuch kann sich der Taxifahrer nicht leisten. Er wäre gerne hingegangen.

Dass die Menschen in Lwiw auf ein Spiel von Schachtjor Donezk hinfiebern, ist in der zutiefst gespaltenen Ukraine die Ausnahme. Der vom Oligarchen Rinat Achmetow hochgezüchtete Serienmeister aus dem Osten gilt im europafixierten Lwiw als russlandnaher Eindringling aus der Ferne.

Aber bei so großen Namen wie Guardiola, Robben oder Ribéry geben selbst Kritiker kurz Ruhe. Das Stadion im Süden der Stadt, das für die EM 2012 errichtet wurde, soll mehr Andrang erleben als im tristen Alltag. Auch die seit vergangenem Sommer hörbaren Pfiffe des Publikums aus Lwiw bei Meisterschaftsspielen von Schachtjor dürften dem Spektakel weichen. Der Fußball kreiert eben Kompromisse. Aber er schafft auch seltsame Gefühle, wie sie nach allgemeinem Bekunden beim FC Bayern zu Tage treten. Das Achtelfinal-Hinspiel in einem Land, das sich im Krieg befindet, hat die Münchner zum Denken angeregt.

"Da kann man nicht einfach den Kopf ausschalten"

Sensibilisiert durch die Debatte um den umstrittenen Testkick in Saudi-Arabien geben sich viele Bayern betont einfühlsam. "Diese Situation ist irgendwie surreal", berichtet Thomas Müller, "man weiß, dass dort dieser schreckliche Krieg ist, realisiert es aber nicht so, weil man so eine schlimme Situation nicht kennt - Gott sei Dank nicht kennt." Auch Trainer Guardiola, in Saudi-Arabien noch "stolz", dass er in dem mit Menschenrechtsverletzungen nicht zimperlichen Land sein durfte, ließ diesmal wissen, er sei "sehr besorgt." Die Realitätsflucht in die oft vorgeschobene Trennung von Politik und Sport fällt dann doch nicht so leicht.

"Wir sind zwar 
Fußballspieler, aber wir sind erst Menschen. Da kann man nicht einfach den Kopf ausschalten", sagte Arjen Robben. Wegen seiner überragenden Form waren bei ihm ja zuletzt Zweifel aufgekommen - jetzt dürfte klar sein: Auch der Niederländer ist kein Außerirdischer. Anders als beim Trainingslager in Katar scheint es beim bayerischen Reisetrupp nun eine vorauseilende Kommunikationsstrategie zu geben. Der FC Bayern macht sich durchaus Gedanken über den Krieg in der Ukraine.

Um das zu untermauern, will der Verein in Lwiw humanitäre Hilfe leisten. Der FC Bayern Hilfe e.V. übernimmt mit einer Spende die Kosten für Behandlung und Medikamente, um 60 Kindern Operationen zu ermöglichen, kündigte Präsident Karl Hopfner an. Den Scheck bringt er persönlich in einem Krankenhaus vorbei.

Während die reichen Gäste ihr Image als sozialer Klub aufpolieren wollen, geht es für viele Ukrainer derweil darum, Normalität in ihr Land zu kriegen. Auch Claudia, eine junge Frau, die mittlerweile in London lebt und nur für einen Besuch zurückgekehrt ist, sieht dies so. "Hier im Westen ist alles anders als im Donbass", sagt sie. "Die Menschen arrangieren sich damit. Doch sie hoffen, dass es bald vorbei ist." Die Partie zwischen Donezk und Bayern in Lwiw ist mehr als nur ein Fußballspiel.

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