FC Bayern im Saisonfinale:Nur Meister?!

FC Bayern Muenchen - FC Barcelona, Fussball, Champions League, Halbfinale, Rueckspiel,  12.05.2015,

Prominentes Flugobjekt: Barcelonas Ballkünstler Lionel Messi (links) im Duell mit Bayerns Ballkünstler Thiago Alcántara.

(Foto: Eibner)
  • Nach dem Aus in der Champions League ringt der FC Bayern um die Deutungshoheit dieser Saison.
  • Pep Guardiola verweist immer wieder auf die vielen Verletzten. Diesen Umstand muss der FC Bayern nun aufarbeiten.
  • In der kommenden Transferperiode stellt sich die Frage, ob und wie der FC Bayern einen prinzipiell funktionierenden, aber alternden Kader umbauen will.
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Von Claudio Catuogno

Der letzte Eindruck zählt. Und der letzte Eindruck, das ist jetzt zum Beispiel der Torschütze Thomas Müller, der sagt, er habe "Gänsehaut - und das kommt bei mir nicht so oft vor". Der letzte Eindruck, das ist der Trainer Pep Guardiola, der nicht etwa einfach nur stolz ist auf seine Spieler. Nein, natürlich ist Pep Guardiola "sehr, sehr, sehr stolz" auf seine "überragenden Spieler", und für den Fall, dass jemand im Verein auf die Idee kommen sollte, diese Spieler nicht ebenfalls vollumfänglich überragend zu finden - zum Beispiel, weil man ja gerade im Halbfinale der Champions League ausgeschieden ist -, schiebt Guardiola noch hinterher: "Bayern München weiß vielleicht gar nicht, wie gut diese Spieler sind."

Der letzte Eindruck, das sind Standing Ovations in der Münchner Arena und ein Kapitän Philipp Lahm, der schon alles Mögliche erlebt hat in seiner Karriere und der nun bekannt gibt: So eine Stimmung wie am Dienstagabend gegen den FC Barcelona habe er "selten erlebt". Der letzte Eindruck, das ist aber zum Beispiel auch der brasilianische Außenverteidiger Rafinha, wie er am Tag vor dem Spiel neben Thomas Müller in der Pressekonferenz saß.

Die Spieler sind in einer "Schmeckt-doch-Stimmung"

Neben Müller zu sitzen, heißt in der Regel, dass man nicht zu Wort kommt, und so war es auch diesmal. Bis zu der Frage, ob es sich bei einer Saison, in der man als FC Bayern "nur Meister" werde, nicht um ein verlorenes Jahr handele. Da legte Rafinha seinem Nebenmann die Hand auf den Arm und zischte: "Ich mache!" Dann holte er tief Luft, sagte: "So . . .", vergaß, dass er öffentlich gar nicht so gerne Deutsch spricht, und fuhr fort: "Ich habe viel gehört: Wenn wir nur Meister werden - das schmeckt nicht gut. Aber das stimmt nicht! Für mich, diese Saison ist super!"

Schmeckt nicht gut? Würde man nach einem Bild suchen, das den FC Bayern gerade treffend beschreibt, dann wären es vielleicht Guardiola, Müller, Lahm und Rafinha am kalten Buffet, drum herum rümpft das sogenannte Klub-Umfeld die Nase - schon wieder kein Champagner, schon wieder nur Sekt -, aber die Bayern lassen sich davon nicht den Appetit verderben. Sie sind nämlich gerade in vorzüglicher Schmeckt-doch-Stimmung. Sicher, es mag manches versalzen gewesen sein in der ablaufenden Saison. Und ein paar der wichtigsten Zutaten standen gar nicht erst zur Verfügung: Hundert Gramm Alaba, eine Prise Ribéry und fünf Kilo Robben (gern auch ein bisschen mehr) hätten sicher auch das Halbfinale gegen den FC Barcelona gewinnbringend abgeschmeckt. Oder, um es mit Pep Guardiola zu sagen: "Wir hatten viele, viele, viele Probleme."

"Ich bin Trainer für Tage wie heute"

Aber, hey, Leute: Der letzte Eindruck, ein Sieg gegen Barça zum Dessert - das war doch eine Wucht! Das entschädigt für vieles! Guardiola jedenfalls sieht sich durch das fruchtig-herbe 3:2 (1:2) sogar in seiner Berufswahl bestätigt: "Ich bin Trainer für Tage wie heute", sagte er. Und mit diesem Geschmack auf der Zunge will sich der FC Bayern nun (mit letzten Stopps in Freiburg und gegen Mainz) in die Sommerpause verabschieden dürfen.

Man könnte jetzt noch mal ins Detail gehen eines Halbfinal-Rückspiels, in dem die Bayern mit der Hypothek eines 0:3-Rückstands ihre Arbeit aufnehmen mussten. In dem sie dann früh in Führung gingen (Benatia, 7.), was ihnen allerdings so viele Endorphine ins Blut spülte, dass sie Barças Fünf-Sterne-Sturm ein bisschen aus den Augen verloren. Zweimal bediente Messi Suárez, zweimal bediente Suárez Neymar, zweimal traf Neymar (15., 29.). Aus der Traum vom Fußballwunder.

Man könnte hinterfragen, wie es dazu kommen konnte: Hatte Guardiola nicht "Kontrolle" gepredigt? Wenn es überhaupt Kontrolle war, dann war es eine riskante Form von Kontrolle, die Verteidiger Boateng und Benatia bis an die Mittellinie vorzuziehen, um so ein spielerisches Übergewicht in der Zentrale zu generieren - wissend, dass Messi, Suárez und Neymar bei Kontern im Rücken der Abwehr kaum zu stoppen sein würden.

Ein markanter Unterschied zum 0:4 im Vorjahr gegen Madrid

Andererseits: Dass "Kontrolle" für Guardiola niemals "Sich-hinten-Reinstellen" bedeutet, hat sich ja rumgesprochen. Und sowieso wollte sich auf taktische Details später niemand mehr recht einlassen. Ob man da etwas naiv gewesen sei, wurde Thomas Müller gefragt. Gegenfrage: "Was ist die Definition von naiv?"

Naiv war man vor allem in der letzten Viertelstunde des Hinspiels, beim 0:3 (0:0) im Camp Nou. Darüber bestand Einigkeit, dabei ließ man es nun bewenden.

Peps reine Lehre hat nun mehr Pragmatismus

Der letzte Eindruck, das soll jetzt dieses Stimmungsendspiel sein, und das haben die Bayern ja sogar noch gewonnen dank der Treffer von Lewandowski (59.) und Müller (74.). Das ist schon mal ein markanter Unterschied zum Total-Zusammenbruch vor einem Jahr beim 0:4 gegen Real Madrid. Man erinnert sich noch an die Eruptionen danach: an die Selbstkasteiung des Trainers ("Meine Schuld"), der sich von einem Kreis Führungsspielern die falsche Taktik hatte einflüstern lassen. An Guardiolas harte Worte hinter den Kulissen, ausgesprochen im frischen Frust: Mit diesem sperrigen Kader könne man keinen geschmeidigen Pep-Fußball spielen.

Inzwischen hat Peps reine Lehre längst zumindest eine Prise mehr Pragmatismus, schon wegen der "vielen Schwierigkeiten, die wir zu überwinden hatten" (Guardiola). In der Saison zuvor hatten die Bayern immerhin vier Titel gewonnen (Meisterschaft, DFB-Pokal, Europa-Supercup, Klub-WM), diesmal bleibt einer. "Aber es war wichtiger, was wir in diesem Jahr geleistet haben", findet Guardiola. Es geht auch um Deutungshoheit. Das gute Gefühl, mit dem die Bayern nun die Planung für die nächste Saison aufnehmen wollen, soll ihnen bitte niemand kaputtreden.

Die Frage ist nur: Ist das jetzt eine gute oder eine schlechte Nachricht?

Weiterentwicklungen gab es nach Kränkungen

Den entscheidenden Weiterentwicklungen des Vereins sind ja häufig Kränkungen und Zusammenbrüche vorausgegangen. 2007, man beendete die Liga als Vierter, kamen Luca Toni und Franck Ribéry. 2012, Bastian Schweinsteiger hatte im Finale dahoam den entscheidenden Elfmeter ans Aluminium gesetzt, folgte das sog. "Pfostenshopping", eine Untergattung des Frustshoppings: Javier Martínez ist mit 40 Millionen Euro Ablöse bis heute der teuerste Transfer der Bundesliga. Der Manager Christian Nerlinger wurde vom Pfostensturm weggeweht, ihm folgte Matthias Sammer. Der Schmerz der Generation Lahm/Schweinsteiger war ein Jahr später der Antrieb, der die Münchner zum Triple führte. Hinzu kam, dass der Trainer Jupp Heynckes härter trainieren ließ als zuvor, manchmal dreimal statt zweimal am Tag.

Und nun? Nun bilanzieren die Münchner die zweite Saison, in der sie gegen Ende körperlich schwächeln. Wenn Guardiola über Spieler spricht, die "fit" oder "nicht fit" sind, ist das bisher vor allem eine medizinische Frage: Wer fit ist, entscheidet der Arzt, und je schneller einer wieder "fit" ist, umso besser. Kondition bolzen ist in der katalanischen Trainerschule kein gar so zentrales Element - das wundert auch manchen Spieler, der mit der Mahnung groß geworden ist, dass man sich Spritzigkeit hart verdienen muss, am besten mit Steigerungsläufen auf den Mount Magath.

Wie baut man unter den Umständen einen Kader um?

Auch darüber wird nun gesprochen werden - nach dem Abgang des Klubarztes Müller-Wohlfahrt muss der Klub ja den gesamten medizinischen Bereich neu ordnen. Was das kickende Personal angeht, herrscht hingegen die Auffassung vor, dass man mit dem bestehenden Kader theoretisch auch weiter jeden Titel der Welt gewinnen kann, wenn erst mal alle wieder beieinander sind, die in diesem Jahr fehlten oder noch fehlen: Thiago, Martínez, Alaba, Robben, Ribéry, Badstuber.

Punktuell müsse man den Kader aber sicher verjüngen, ergänzen und verstärken, heißt es - leicht wird auch das nicht. Die Bayern gehen jetzt ja ins dritte und womöglich letzte Jahr unter Guardiola, dessen Vertrag 2016 ausläuft, und der sich seine Zukunft ausdrücklich offenhält. Wie werkelt man da am Kader? Welche Hochkaräter gewinnt man für einen Klub, der ein Jahr später vielleicht seinen weltbekannten Trainer verliert? Und: Wer baut so einen Kader konkret?

Wie geht es weiter mit dem tief frustrierten Mario Götze?

Sportvorstand Sammer sagte am Dienstag, der Trainer müsse gehört werden, am Ende entscheide aber "der FC Bayern - das Wappen ist größer als jeder Einzelne". Aber was heißt das genau? Wer spricht mit Xabi Alonso, 33, über seine Perspektive? Wer moderiert den Übergang vom Nationalelf-Kapitän Schweinsteiger, 30, zur Klub- Ikone im Teilzeiteinsatz? Die beiden Oldies zusammen dürften kommende Saison im Mittelfeld nicht gesetzt sein. Aber wer ist das schon? Es beginnt ein neues Spiel.

Und wie geht es weiter mit dem tief frustrierten Mario Götze? Er bekommt jetzt Rückendeckung von allen Seiten, Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff findet es "unsäglich", wie auf Götze "rumgehackt wird", und Sammer sagt: "Wir sind an seiner Seite, wir helfen ihm, er hat unsere ganze Unterstützung, und wir brauchen ihn natürlich auch." Das ist nun aber gerade nicht die Art von Rückhalt, die sich ein Götze erwartet, solange er sogar in Partien ohne Ribéry, Robben, Alaba und Martínez erst in der 87. Minute aufs Feld darf wie gegen Barcelona. 19 Minuten nach Sebastian Rode.

Müsste Götze ein Buch über seine ersten beiden Münchner Jahre schreiben, es würde wohl "Mario, ihm schmeckt's nicht" heißen.

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