FC Bayern: Grundsatzkritik von Lahm:Der einsame Hoeneß

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Medien, Führungsspieler, Fans: Viele Beobachter stellen sich auf die Seite von Philipp Lahm. Vielleicht auch aus Sympathie mit einer im Fußballbetrieb seltenen Tat?

Johannes Aumüller

Für einen Bayern-Spieler ist das Gelände an der Säbener Straße 51 natürlich der Mittelpunkt der Welt, und von diesem Mittelpunkt der Welt aus hat Philipp Lahm in den vergangenen zwei Tagen wenig zustimmende Worte gehört. Die Granden des Klubs reagieren erbost über seine Grundsatzkritik in der Süddeutschen Zeitung, die Mitspieler schweigen oder gehen entsprechenden Nachfragen aus dem Weg.

Uli Hoeneß hat im Streit mit Philipp Lahm nicht viele Unterstützer. (Foto: Foto: ddp)

Doch sobald sich der Blick nur ein kleines bisschen von der Säbener Straße 51 wegbewegt, darf sich Philipp Lahm fühlen wie ein Martin Luther des zeitgenössischen Fußballsports. Endlich traut sich mal einer, Klartext zu sprechen und all die richtigen und unangenehmen Wahrheiten zu formulieren - diesen Eindruck vermitteln die Reaktionen der meisten Fans. Die Bayern-Oberen hingegen müssen sich so einsam vorkommen wie ein Linken-Wähler in Niederbayern. Außer dem getreuen Udo Lattek ("Philipp Lahm ist zu weit gegangen") schlägt sich niemand auf ihre Seite.

"Um's klar zu sagen: Philipp Lahm spricht uns in den letzten Jahren leidgeprüften Anhängern des FCB aus der Seele", erklärt zum Beispiel sueddeutsche.de-User jokaba3. Der Leser bluelog schlägt in dieselbe Kerbe: "Das Triumvirat hört wohl nicht zu, also hat der Philipp Lahm mal eben der Presse die Wahrheit gesagt, wie im Märchen von des Königs neuen Kleidern. Die lächerlichen, halb unterdrückten Wutanfälle von Rummenigge und Hoeneß ändern nichts daran, dass es eine messerscharfe Analyse ist, auf die jeder Kommentator stolz sein könnte." In einer Umfrage von sueddeutsche.de finden mehr als 90 Prozent der Teilnehmer, dass Lahm ein solches Interview geben durfte.

Im Video: Oliver Kahn, Felix Magath und Lothar Matthäus äußern sich zur offenen Kritik von Phillip Lahm am FC Bayern

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Altgediente Fußballer, die sich über den Zusatz Führungsspieler freuen, wie Oliver Kahn oder Michael Ballack haben Verständnis für den Münchner Ersatz-Kapitän, und auch die meisten Medienvertreter stellen sich auf die Seite des Nationalspielers. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ebenso wie Zeit Online oder Spiegel Online. In der Blogosphäre entstand auf Lahms Äußerungen und Hoeneß' Reaktion hin das "Pro Lahm! Blog". Treffender Untertitel: "Ein Blog über Spiel- & Redekultur beim FCB."

In der Tat geht es nämlich rund um Lahms Grundsatzkritik um zwei parallele Diskussionen. Zum einen: Was hat er inhaltlich gesagt? Zum anderen: Darf er das, was er inhaltlich vorbringen wollte, in der Öffentlichkeit vorbringen?

Bezüglich der ersten Frage ist bisher nicht einmal aus der Säbener Straße 51 öffentlicher Widerspruch bekannt, bezüglich der zweiten muss sich Hoeneß dann nicht mehr wie ein Linken-Wähler in Niederbayern, aber immer noch wie ein SPD-Wähler in Niederbayern vorkommen. "Der Weg über die Presse war falsch. Auch wenn ich die Kritik in manchen Punkten nachvollziehen kann", sagte zum Beispiel Stefan Effenberg.

Anderen wiederum scheint es absurd, dass diese Frage überhaupt diskutiert wird. Schließlich lebt auch Philipp Lahm in dem Land, in dem Artikel 5 des Grundgesetzes und das Recht auf Meinungsfreiheit gelten. Der komplette Berliner Politikbetrieb würde laut auflachen, wenn die künftige SPD-Generalsekretärin Andreas Nahles von nun an nicht mehr ihre Meinung sagen würde, nur weil der designierte SPD-Chef Sigmar Gabriel vielleicht eine andere hat. Erst recht, wenn diese Meinung zunächst sogar noch intern geäußert, aber nicht gehört wurde. Andererseits geht es auch um arbeitsrechtliche Fragen: Ein Arbeiter von Opel darf sich sicherlich nicht vor die Presse stellen und die Produktpalette der vergangenen 20 Jahre kritisieren, weil das vermutlich als geschäftsschädigendes Verhalten seinen Arbeitsplatz gefährden würde.

Nun ist die Frage: Wo steht der Fußball zwischen diesen beiden Polen? Die eigene Meinung und der stets geforderte mündige Spieler sind zwar rhetorisch stets gefordert, aber tatsächlich nicht gewünscht - heutzutage noch weniger als jemals zuvor. Nationalmannschaftskapitän Michael Ballack musste das erfahren, als er im vergangenen Jahr DFB-Trainer Joachim Löw und dessen Umgang mit verdienten Spielern in einem Interview kritisierte.

Die offene Grundsatzdebatte, der offene Austausch von Argumenten steht fast immer hinter den üblichen Phrasen zurück. Die Akteure des Fußballbetriebs, die ein - echtes und nicht nur so genanntes - klares Wort pflegen, lassen sich an einer Hand abzählen. Und der FC Bayern diktiert beispielsweise in den Vertrag, dass jedes Interview eines Spielers zum Autorisieren vorgelegt werden muss.

Zwar berufen sich die meisten der applaudierenden Fans nun auf den Inhalt von Lahms Kritik. Aber vielleicht hätte er ein ähnlich stürmisches und geschlossenes Lob auch erfahren, wenn er einige Probleme anders bewertet oder akzentuiert hätte. Vielleicht freuten sich viele Beobachter auch einfach nur darüber, dass in diesem verschlossenen Fußballbetrieb mal jemand so offen und zugleich konstruktiv auftrat.

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