FC Bayern gegen Dortmund:Nur Viertelfinale - und doch so viel mehr

Nach dem 6:1 gegen Bremen fühlt sich der FC Bayern bereit für das nationale Spiel des Jahres: das Gipfeltreffen im DFB-Pokal mit Borussia Dortmund. Man muss kein promovierter Psychologe sein, um zu ahnen, wie sehr es die Münchner juckt, sich für Demütigungen der Vergangenheit zu revanchieren.

Von Klaus Hoeltzenbein

Achtung, Quiz! Was haben die Bundesliga-Profis Martin Harnik, Adam Szalai, Stefan Kießling, Sidney Sam, Markus Feulner, Mario Götze, Torben Marx und Kevin De Bruyne gemeinsam?

Die Rolle der ersten sieben ist über die Winterpause fast in Vergessenheit geraten, aber der Name De Bruyne sollte den entscheidenden Hinweis geben. Der junge Mann ist nämlich derjenige, der die Dreistigkeit besaß, Jupp Heynckes an dessen Jubiläumstag auf den Nerv zu gehen.

De Bruyne hat am Samstag ein Tor geschossen. Ein Tor! Gegen den FC Bayern, gegen den das zwar nicht verboten, aber nahezu unmöglich geworden ist. Dass die Bayern selbst sechs Treffer gegen Werder Bremen verbuchen konnten, war fast schon eine Randnotiz, denn es hätte ja durchaus mal wieder zweistellig werden können in der Bundesliga; letztmals war das vor drei Jahrzehnten Borussia Mönchengladbach gelungen, beim 10:0 gegen Eintracht Braunschweig.

Es mag zudem kaum verwundern, dass Jupp Heynckes an jenem 11. November 1984 auch dabei war - als Trainer einer entfesselten Borussia. Es war eines seiner inzwischen 1000 Spiele in der Bundesliga, als Stürmer und als Coach, für die Heynckes, 67, vor dem Anpfiff mit Blumen und einer Uhr von seinem aller Voraussicht nach letzten Arbeitgeber, vom FC Bayern, geehrt wurde. Wie gesagt, es hätte so schön sein können, wenn nicht dieser verfluchte De Bruyne . . .

"Über das Gegentor sind wir etwas verärgert", zog Heynckes sein Fazit, "aber wenn man einen solch opulenten Sieg einfährt, kann man das verschmerzen."

"Verschmerzen" - das hat er wirklich gesagt, auch wenn niemand laut geschrien hat, als De Bruyne auf 1:4 verkürzte. Dies gelang sogar in Unterzahl, da die Bremer ihren Verteidiger Sebastian Prödl wegen einer Notbremse kurz vor der Halbzeit verloren hatten. Was die Szene aber ins fast Skandalöse abdriften ließ, war der Umstand, wem der entscheidende Fehler unterlaufen war: Dante! Ausgerechnet Dante! Dem nahezu Unfehlbaren, der bei Heynckes als unauswechselbar gilt, und der sich seit seiner Ankunft in München zum Abwehrchef samt Anspruch auf einen Stammplatz in Brasiliens WM-Elf für 2014 entwickelt hat. Dante patzt! Es war ein Fehler, für den Heynckes insgeheim aber dankbar sein wird, denn so hatte er etwas zu bekritteln. Wenigstens diese eine Szene, die als Warnung dienen kann vor dem Stimmungs-Gipfel am Mittwoch, vor jenem Duell, das gute Chancen hat, national das Spiel der Spiele des Jahres 2013 zu werden.

Das ist das Perfide an diesem Pokal-Termin mit der Dortmunder Borussia: Es ist nur ein Viertelfinale, aber es ist doch so viel mehr. Der Meister von 2011 und 2012 gastiert beim Fast-schon-Meister der laufenden Saison. Will die Borussia aktuell in der Hierarchie wieder etwas korrigieren, so ist dieses K.o.-Duell der passende Termin - nur einer kommt weiter. Allerdings muss man kein promovierter Psychologe sein, um zu ahnen, wie sehr es die Münchner juckt, sich für erlittene Demütigungen zu revanchieren, auch für das 2:5 im letzten Pokalfinale in Berlin.

Zentrale Rolle für Mario Götze

Eine zentrale Rolle im Duell kommt Mario Götze zu, dessen Status schon dadurch dokumentiert ist, dass er in obigem Quiz zur Lösung beiträgt: Götze ist wie De Bruyne einer jener nur acht Profis, denen es in dieser Saison gelang, gegen Dante und dessen Abwehr in der Liga ein Tor zu schießen. Nur einem Klub glückten zwei: Leverkusen mit den Torschützen Kießling und Sam. Im fernen Oktober war's.

Seitdem sind die Bayern noch kompakter, aggressiver, zielstrebiger und variabler, es ist also alles stimmiger geworden. Dokumentiert in der Tatsache, dass Heynckes nach dem 3:1-Sieg vom Mittwoch in London beim FC Arsenal eine kühne Sechs-Mann-Rotation betrieb. Bastian Schweinsteiger und Daniel Van Buyten hatten gegen Werder Bremen ganz dienstfrei, Thomas Müller, Toni Kroos, Mario Mandzukic und David Alaba sahen vergraben in Wolldecken von der Bank aus zu, wie die Kombinations-Maschine ohne zu knirschen (Ausnahme: das Gegentor!) weiterlief.

Brav standen die Bremer im Abwehrzentrum Spalier, während die Bayern die ersten drei Tore durch scharfe Flanken und die folgenden drei Tore durch schöne Lupfer einleiteten. Mario Gomez (2), Arjen Robben, Franck Ribéry und Javier Martínez waren die Profiteure, Bremens Theodor Gebre Selassie wurde zu einem Eigentor genötigt. So rund läuft das von Animateur Heynckes durch stete Wechselei gut geschmierte Räderwerk, dass im Luxus-Kader kein atmosphärisches Grummeln zu hören ist. Sogar Robben, stets Kandidat für demonstrativ getrübte Laune, scheint emotional klar auf Kurs zu dribbeln. Froh sei er, mal wieder durchgespielt zu haben, er fordere jetzt erst einmal gar nix, aber: "Der Trainer kennt meine Qualität. Ich bin bereit!"

Robben weiß, dass er im Showdown gegen Dortmund von Anfang an dabei sein dürfte, denn Frank Ribéry ist frühestens im Endspiel wieder spielberechtigt, nachdem er im Achtelfinale beim FC Augsburg (2:0) unter dem Vorwurf der Tätlichkeit zwei Spiele gesperrt wurde. Hoch ist die Wettquote deshalb gewiss nicht mehr für jene, die gegen Dortmund auf folgende Startreihe spekulieren: Neuer - Lahm, van Buyten, Dante, Alaba; Martinez, Schweinsteiger; Robben, Kroos, Müller; Mandzukic. Ins Rennen geschickt mit einer Botschaft des Münchner Vorstandschefs Karl-Heinz Rummenigge: "Wir sind sehr gut vorbereitet, das hat man gesehen. Das wird ein schweres Spiel, aber nicht nur für uns, sondern auch für Borussia Dortmund!"

Und wohl auch für Jupp Heynckes. Selten zuvor ließ er so klar erkennen, dass diese Saison die letzte und eine Krönung seiner Laufbahn werden soll. Gefragt, ob er nun den Otto-Rehhagel-Rekord in Angriff nehme, der bei 1032 Bundesliga-Spielen steht, sagte er: "So wie es im Moment aussieht, eher nicht", und ließ nur noch ein klitzekleines Hintertürchen offen: "Aber man soll niemals nie sagen."

Er wird grübeln, was da noch kommen könnte. Pep Guardiola löst ihn im Sommer an der Isar ab, und Trainerkollege Felix Magath schwärmte schon am Samstag "vom besten Fußball, den der FC Bayern je gespielt hat". Die Sache mit Dortmund, gut, die sollte zurechtgerückt werden, aber das mit dem Rekord, das ist aus seiner Sicht ohnehin unstrittig: "Ich habe ja noch 320 Spiele mehr, in Spanien: Teneriffa, Bilbao, Real Madrid", zählte Heynckes auf.

Also, Leute, wenn es bald um die Lebensleistung geht, dann wird sauber addiert.

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