FC Bayern:Früher oder später

Mit dem 0:1 gegen Schalke verabschiedet sich Bayern vom Titel - und debattiert über die vorzeitige Entlassung von Trainer Klinsmann.

Andreas Burkert

Jürgen Klinsmann hat die Spitze noch im Blick, auch wenn er jetzt leicht zurückgefallen ist. Direkt vor ihm befindet sich allerdings nicht der VfL Wolfsburg, auch nicht die Hertha, vor ihm laufen Lukas Podolski und Thomas Wilhelmi, er ist einer von vier Fitnesstrainern beim FC Bayern. Sonntagvormittag an der Säbener Straße, Klinsmann ist also noch da, das ist die Nachricht, welche die Agenturen und das Sportfernsehen umgehend an die Kundschaft funken. Rund tausend Schaulustige sind zum Trainingsgelände gekommen, um kurz nach elf traten die Münchner Profis und Klinsmann ins Freie. Der Trainer joggt mit, und Klinsmann, leicht nach vorn gebeugt, federt geradezu über den Rasen. Als gebe es diese Last gar nicht.

FC Bayern: Lief am Sonntag mit seinen Spielern über den Trainingsplatz: Jürgen Klinsmann, Trainer des FC Bayern.

Lief am Sonntag mit seinen Spielern über den Trainingsplatz: Jürgen Klinsmann, Trainer des FC Bayern.

(Foto: Foto: Getty)

Als Zuschauer dieses lockeren Auslaufens nach dem 0:1 (0:1) vom Samstag gegen Schalke hat man dagegen das unangenehme Gefühl, einem Spießrutenlaufen beizuwohnen. Einige klatschten dann doch freundlich im bayerischen Circus Maximus, als die weltbekannten Fußballer und der weltbekannte Trainer nur wenige Meter hinter der Absperrung an ihnen vorbeitraben. Drüben, auf der Gegenseite, ruft einer "Klinsmann raus!", eine Frau entgegnet: "Klinsmann bleib!"

Aber Klinsmann, 44, wird nun nicht mehr lange bleiben, das ist schon seit ein paar Wochen besprochen beim FCBayern. Die Frage ist offenbar nur noch: Gelingt den Bayern ein Abschied mit Anstand zum Saisonende, wie sie es bevorzugen? Oder reagieren sie doch vorher, müssen sie jetzt nicht sogar reagieren, nun, da sie sich gegen schwache Schalker von der Meisterschaft verabschiedeten und vielmehr verstärkt um das Startrecht für die Champions League bangen müssen?

Diejenigen, die darüber befinden, haben sich grußlos aus dem Stadion verabschiedet, und als Klinsmann am Sonntag joggt, sind oben im zweiten Stock die Chefbüros verwaist. Manager Uli Hoeneß und die Kollegen um Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge versammelten sich allerdings am Sonntagmittag sehr wohl. Krisensitzung. Eigentlich sitzt der Vorstand stets Montagmittag beisammen. Doch die Lage ist zu ernst, wie auch der vom innersten Entscheidungszirkel abgeschnittene Klubchef Franz Beckenbauer mit sicherem Gespür für die Situation ahnt. "Es fehlen einfach die Ergebnisse", sagt er. "Das Heimspiel gegen Gladbach muss gewonnen werden. Sonst wird es für Jürgen eng."

Die Bayern haben nun abzuwägen, ob sie Klinsmann noch zutrauen können, die aus finanziellen Gründen notwendige Teilnahme an der Champions League zu erreichen. Oder ob sie eine angeblich kostspieligere Abfindung bei Entlassung noch vor Saisonschluss in einen vagen Notplan investieren. Es fehlen allerdings die Alternativen, der am Samstag von den Fans besungene Vorgänger Ottmar Hitzfeld, als Schweizer Nationalcoach derzeit kaum beschäftigt, lehnt ab. Und über den langjährigen Hitzfeld-Assistenten Michael Henke (zurzeit Bayern-Scout) wird, im Gespann mit Amateur-Coach Hermann Gerland oder dem früheren Nationalspieler Mehmet Scholl, wohl allenfalls rudimentär nachgedacht.

Ein Hilferuf der Mannschaft

Das Signal, das die Mannschaft gegen den FC Schalke 04 aussendete, ist andererseits kaum als Argument für den Fortbestand der Geschäftsbeziehung mit Klinsmann zu deuten. Sondern als Hilferuf. Derart plan- und hilflos wurden die Bayern jedenfalls selten dabei beobachtet, ein Spiel gegen einen defensiv sicherlich gut organisierten, in der Offensive aber geradezu überforderten Gegner zu drehen.

Im Februar verloren die Münchner in vergleichbarer Verfassung daheim mal 0:2, doch damals verblüfften sich die Kölner selbst mit der Tragweite einiger gelungener Offensivaktionen. Gegen Schalke genügte für den Verlust von drei Punkten und den noch verbliebenen Illusionen ein Ballverlust von Demichelis, aus welchem ein Eckball resultierte - bei dem schließlich die Abwehr samt Torwart beim Kopfball Halil Altintops zum 0:1 mit kollektiver Passivität aufwartete.

"Sie haben eine Ecke verwandelt und hatten eine halbe Torchance", rechnete Kapitän Mark van Bommel vor, "es war phasenweise nicht gut von uns, aber wir hätten trotzdem gewinnen müssen."

Nur, wie das hätte gehen können, ließen die Bayern bis zum Abpfiff offen. Lahm und Zé Roberto drangen je einmal in den Strafraum ein (und spielten quer), Sosas Freistoß streichelte die Latte, der Münchner Altintop, Hamit, scheiterte wie van Bommel aus der Distanz an Neuer, und ja, der Referee übersah ein elfmeterreifes Handspiel von Sanchez. Dies blieb dennoch ein ungenügender Ertrag nach einer Trainingswoche, die nicht durch Europacup oder Länderspiel gestört worden war. Über die Arbeit des Trainers bemerkte Zé Roberto, dieser habe "in der Pause gesagt: ,Wir müssen ein Tor schießen' - mehr nicht".

Die Wucht, mit der sie etwa zum Hinrunden-Kehraus Hoffenheim (2:1) in die Knie zwangen, geht den Bayern im Saisonfinale ebenso ab wie spielerische Identität. Es ist sicher nicht die vermutlich titellose Saison, die Klinsmann angreifbar macht. Sondern der Verfall eines blockierten Teams, deren Individuen er ursprünglich jeden Tag verbessern wollte. Schalkes großflächig tätowierter Mittelfeldrabauke Jermaine Jones, wie Ribéry per Ampelkarte des Feldes verwiesen, zitierte denn auch fast gelangweilt aus dem Schlachtplan: "Jeder weiß doch inzwischen, dass du die Bayern ganz schnell schwächen kannst, wenn du Ribéry aus dem Spiel nimmst."

Und so hat nicht nur der ewige Optimist Philipp Lahm nach dem 29. Spieltag einräumen müssen, man brauche "sicher nicht mehr über die Meisterschaft zu reden - wir müssen die Priorität jetzt auf Platz zwei richten". Davon redet auch Klinsmann, ebenso davon, wie frustrierend das alles sei, diese Niederlage, die Verletztenserie in dieser Spielzeit. Aber aufgeben, nein, aufgeben werde er nicht. Jürgen Klinsmann federt bis zum Schluss, er sagt: "Wir ziehen das hier durch."

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