FC Bayern: Fans vs. Vereinsführung:Protest gegen den Protest

Der Vorstand des FC Bayern nimmt Stellung zu den Tiraden der Ultras gegen Präsident Uli Hoeneß - und bezeichnet die Anfeindungen als "unverschämt". Wie viele Anhänger wirklich hinter den Protesten stehen, ist bisher unklar.

Andreas Burkert und Markus Schäflein

Ein Lügner. Uli Hoeneß. Das hat ihm noch niemand gesagt. Als er das las, muss etwas in ihm zerbrochen sein; dieses Wort, das ist sicher, hat bei ihm eine tiefe Wunde hinterlassen. Seitdem redet Uli Hoeneß, 59, nicht mehr, er richtet zwar von unterwegs Grüße aus. Aber zur Sache schweigt der Präsident des FC Bayern. Wahrscheinlich aus Selbstschutz. Und weil er leidet wie ein Hund. Als "Lügner" haben sie ihn Samstag beim Heimsieg über Mönchengladbach auf Plakaten beschimpft, die sogenannten Ultras, die den harten Kern der Süd- kurven-Fans bilden.

Organisiert hatte den Protest die Gruppierung Schickeria. Weil der FC Bayern angeblich entgegen früheren Ankündigungen dem Stadtrivalen 1860 München mit der Stundung von Mietzahlungen für die Arena bei der vorläufigen Abwendung der Insolvenz geholfen habe, so ist ihre Sicht, feinden sie jetzt den Klubpräsidenten auf das Übelste an. Und weil er die Verpflichtung von Manuel Neuer befürwortet, des derzeit besten deutschen Keepers aus Schalke.

Schizophrene Lage der Ultras

Drei Tage haben die Bayern geschwiegen zu dem Vorgang, der die Seele des Vereins trifft und damit die Stimmungslage fast mehr bedroht als die Aussicht auf die Europa League. Sportdirektor Christian Nerlinger hatte sich empört ("eine Schande!"), ebenso Ehrenpräsident Franz Beckenbauer via Bild ("So kann man nicht mit Uli Hoeneß umgehen"). Hoeneß schwieg.

Der Klub wolle die Sache aussitzen, war am Montag zu hören. Doch der Vorgang ist zu groß geworden, als dass es ohne Erklärung weitergehen könnte. Denn es geht um Hoeneß. Am Dienstag wählten die Bayern die sichere Variante, die garantierte, dass keine geröteten Häupter sichtbar waren: eine schriftliche Stellungnahme.

"Wir verurteilen die Geschehnisse (...) aufs Schärfste. Der Vorstand empfindet die Beleidigungen gegenüber Uli Hoeneß als unverschämt, untragbar und nicht akzeptabel", schreibt der Verein. Die Vorstände Karl-Heinz Rummenigge und Karl Hopfner teilten mit, sie seien "über die blamablen Vorkommnisse nach wie vor extrem irritiert".

Und sie erklärten, weshalb 1860 von der Arena-GmbH der FC Bayern AG seit Ende Januar 2,1 Millionen Euro gestundet werden: "Gemäß dem deutschen Aktiengesetz ist der Vorstand verpflichtet, zum Wohle des FC Bayern zu handeln." Da sonst "hohe Einnahmen durch die Insolvenz des Schuldners" ausblieben, "muss der Vorstand an der Verhinderung dieser Insolvenz mitwirken". Sonst mache er sich strafbar. Darüber hinaus sei aber beschlossen worden, 1860 nicht mit Darlehen oder Investitionen zu helfen: "Dies ist im Einklang mit früheren öffentlichen Aussagen des FC Bayern."

Ob diese Auflistung von Fakten ausreicht? Eine GmbH & Co. KGaA (1860) hat gegenüber einer GmbH Verbindlichkeiten - das ist eine der Kategorien, in denen Ultras eher nicht denken, wenn von ihrem eigenen Klub und dem verhassten Erzfeind die Rede ist. So wie sie sich auch nicht darum scheren, dass Neuer der beste deutsche Torwart ist, wo er doch auf seiner offiziellen Homepage unter der Rubrik "Stolz" die Liebe zu seiner "Heimat" und seine Vergangenheit als Schalker Ultra nicht verhehlt.

Arenen statt Kampfbahnen

Die Ultra-Szene, nicht nur beim FCB, versucht sich gegen die Kommerzialisierung des Fußballs zu wehren - seit er nicht mehr in Kampfbahnen, sondern in Arenen stattfindet, gehören all jene zu ihren Feindbildern, die ein fernsehtaugliches Showprogramm als Familienunterhaltung und Vip-Vergnügen inszenieren. Genau dadurch werden aber die zusammengekauften Mannschaften finanziert, die sie anfeuern.

Immer schizophrener wird so die Situation der Ultras; dass sich ihre angestaute Wut nun drastisch an den Themen Neuer und 1860 entlädt, vermag kaum zu überraschen. Ihre Proteste gegen die Mechanismen des Fußballbetriebs waren bisher nur Randnotizen, schnell abgehakt als pubertäre Sozialromantik. Aber dass kein Geringerer als Hoeneß nun persönlich beleidigt worden ist, sorgt für eine ungeahnte Dimension.

Völlig unklar ist, wie viele Menschen wirklich hinter dem Protest stehen. Der Schickeria selbst werden 600 Mitglieder und noch einmal so viele Sympathisanten zugerechnet. Mehr als 2000 Menschen trugen am Samstag Anti-Löwen-T-Shirts, fast alle Fanklubs drehten ihre Banner als Zeichen des Protests auf den Kopf. Wurde durch geschickte Organisation das Stadion vereinnahmt von ein paar hundert Ultras? "Viele Fanklubs wussten gar nicht genau, worum es bei dieser Aktion geht", berichtete Manfred Straßer, Vorstand des Fanklubs "De Rodn Waginga" mit 2000 Mitgliedern. Zum Teil sei von Ultras Gewalt angedroht worden, wenn man die Aktion nicht mitgemacht hätte.

Gegengerade organisiert sich

Das Präsidium und der Verwaltungsbeirat des FC Bayern riefen am Dienstag "all diejenigen auf, die die Verdienste von Uli Hoeneß um unseren FC Bayern anerkennen, sich zu zeigen und das richtige Bild des FC Bayern in der Öffentlichkeit zu zeigen." Und es formiert sich nun offenbar Protest gegen den Protest. "Es ist notwendig, der Schickeria sehr deutlich zu machen, wer die echten Bayern-Fans sind", sagt Gil Bachrach. Der TV-Produzent sitzt stets auf der Gegen- geraden und ist ein Pionier des Protests: Er initiierte 1992 in München die erste Lichterkette mit 500.000 Menschen gegen ausländerfeindliche Ausschreitungen mit.

Auf Facebook wurde die Seite "Gegengerade für Uli Hoeneß" eingerichtet, beim nächsten Heimspiel gegen Leverkusen wollen die dortigen Zuschauer den Präsidenten besingen und Spruchbänder zeigen. Bachrach sagt zu diesem Aufstand des Bürgertums: "Dass erst Neuer und jetzt Hoeneß dermaßen gebrandmarkt werden, das geht nicht."

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