FC Bayern:Der Münchner Flow ist dahin

TSG 1899 Hoffenheim v Bayern Muenchen - Bundesliga

Stimmungslage beim FC Bayern: War schon mal besser

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Von Claudio Catuogno

Eines konnte man Julian Nagelsmann, 29, gewiss nicht vorwerfen: Heimtücke. An einer Strategie, um den FC Bayern zu besiegen, hat im stillen Kämmerlein schon so mancher junge Trainer gebastelt, hin und wieder ist so ein Matchplan sogar erfolgreich gewesen. Aber derart offenherzig wie nun Nagelsmann hatte noch kaum ein Coach seine Strategie vorher verraten. Klar, es sei "ein komplizierter Schlüssel" notwendig, um den Bayern-Code zu knacken - aber ein paar Ideen hatte Nagelsmann durchaus: "dass wir mutig auftreten", "über 90 Minuten aktiv", "dass wir sie aus ihrem Pressing rausbringen" - denn "wenn sie Druck bekommen, bekommen sie vielleicht Probleme". Sprach der Trainer der TSG Hoffenheim vor dem Liga-Spiel gegen den Tabellenführer. Leichter gesagt als getan?

Die Bayern hätten jedenfalls gewarnt sein müssen. Aber das sind ja oft die schmerzhaftesten Niederlagen: jene, bei denen es keinen Hinterhalt gab, kein Überrumpeln, bloß einen Wettstreit mit offenem Visier - und am Ende ist man trotzdem unterlegen.

0:1 (0:1) haben die Bayern ihr Auswärtsspiel am Dienstagabend gegen Hoffenheim verloren. Wenn man nur die Tabelle betrachtet, tut ihnen diese Niederlage nicht weh - mindestens zehn Punkte Vorsprung bleiben erhalten; das können sie verschmerzen. Nagelsmann und die Hoffenheimer haben einen großen Schritt Richtung Champions League gemacht. Es wäre ihr Debüt in dem Wettbewerb.

Das Problem aus Münchner Sicht ist nur, dass ihr schöner Flow jetzt dahin ist. Weiter und weiter die Welle reiten, wie zuletzt beim 6:0 gegen Augsburg, wie zuvor zweimal gegen den FC Arsenal - das war ihr Plan gewesen. Atmosphärisch war das Spiel im Kraichgau durchaus eine wichtige Zwischenprüfung, ehe am Samstag die Liga-Partie gegen Borussia Dortmund ansteht und dann die beiden Begegnungen mit Real Madrid im Champions-League-Viertelfinale. Den Grundstein für große Siege legt man mit kleinen Siegen. Eigentlich. "Das darf uns nicht passieren", klagte Arjen Robben entsprechend verärgert: "Wir sind überhaupt nicht gut gestanden, waren immer einen Schritt zu spät. In der zweiten Halbzeit waren wir überlegen, aber der Ball ging einfach nicht rein heute."

Was man wiederum dem Bayern-Trainer Carlo Ancelotti kaum vorwerfen konnte: Arroganz. Tatsächlich geschont hatte er nur einen Spieler: Thiago war nicht im Kader. Thomas Müller (Blessur am Sprunggelenk) und der Torwart Manuel Neuer (Fuß-OP) fehlten verletzungsbedingt. Von den festen Größen saßen nur Philipp Lahm und Franck Ribéry bei Spielbeginn auf der Bank. Doch diese paar Rochaden genügten, um der Elf die Selbstsicherheit der vergangenen Wochen zu nehmen - und die Hoffenheimer taten das ihre.

Sie waren tatsächlich mutig und aktiv, zum Teil liefen sie ihre Gegenspieler schon im Münchner Strafraum an mit dem Ziel, jedes Aufbauspiel zu unterbinden, sie zu langen Bällen zu zwingen. Robbens Laufwege stellten die Hoffenheimer mit bis zu vier Mann gleichzeitig zu. Das war anstrengend - und nicht ohne Risiko in der eigenen Rückwärtsbewegung. Aber "Mut wird belohnt", sagte Nagelsmann, "nur Übermut wird bestraft - oder Angst". Und in der ersten Halbzeit funktionierte es.

Schon in der zweiten Minute setzte Kemir Demirbay den Kollegen Andrej Kramaric in Szene - Rafinha gelang im Strafraum noch eine Grätsche, der Ball flog ins Aus. Das war schon mal ein spektakulärer Auftakt. Recht schnell fiel dann auch auf, dass beim FC Bayern Renato Sanches mal wieder von Beginn an mitwirken durfte: Dessen Fußgelenk saß arg locker, zwei Fehlpässe binnen sechs Minuten verschaffte den Hoffenheimern die nächsten beiden guten Gelegenheiten. Und in der 9. Minute stand dann Nadiem Amiri völlig frei vor Sven Ulreich; doch der Neuer-Ersatz parierte herausragend im Eins-gegen-Eins.

Lewandowski trifft die Latte

Hoffenheim war die bessere Mannschaft - und der Führungstreffer die logische Folge (21.). Mats Hummels hatte den Ball per Kopf aus dem Strafraum befördert, genau zu Kramaric, der schickte einen Weitschuss auf die Reise - und es war dann nicht zu verstehen, warum Ulreich den Ball mit der linken Hand wegboxen wollte, obwohl er rechts von ihm einschlug. 1:0 für Hoffenheim. Während der Aushilfs-Torhüter den Rückstand mit zu verantworten hatte, hielt er sein Team in der 41. Minute im Spiel: mit einem sensationellen Reflex gegen Demirbay.

Die Bayern? Eine Chance von Robert Lewandowski aus dem Getümmel heraus war kurz vor der Pause deren beste Gelegenheit - der Ball prallte an die Latte.

In der zweiten Halbzeit gewannen die Bayern bald die Oberhand, der TSG-Torwart Oliver Baumann entschärfte einen starken Schuss von Lewandowski (55.). Nun sah es für eine Weile so aus, als sei der Ausgleich nur eine Frage der Zeit - und der viel gelobten individuellen Qualität. Tatsächlich war das Arbeitspensum aus Nagelsmanns Plan nicht über 90 Minuten durchzuhalten. Allein in den vier Minuten Nachspielzeit hatten die Bayern beste Gelegenheiten. Die Führung hielt trotzdem. "Bayern zu besiegen, das klingt sehr gut", sagte Nagelsmann: "Wir hätten das Spiel sogar früher entscheiden können."

In bisher 17 Aufeinandertreffen in der Liga hatte Hoffenheim nie gegen die Bayern gewonnen - bis zu diesem Dienstagabend. Für die Münchner war es die zweite Saisonniederlage nach einem 0:1 in Dortmund. Und die Frage ist nun, ob sie bloß gewarnt sind vor den großen Spielen. Oder doch verwundbarer, als sie es zuletzt für möglich gehalten hatten.

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