Alles endete mit einem langen Gang in die dunkle Nacht. Als Letzter ging ihn Mats Hummels, dieser stolze, erhabene, eloquente Mann. Auf dem Kopf trug er eine Schirmmütze, deren Schirm einen Großteil seiner Gesichtszüge verdeckte. Nicht jedoch den Mund. Hummels lächelte nicht, selbst das Lächeln für das Selfie eines Fans am Ende des Ausgangs der Arena war gequält. Vor allem aber öffnete er seinen Mund nicht. Er, der sonst für alle guten und schlechten Zeiten eine charmante Erläuterung weiß, schwieg. Wortlos schritt er in die dunkle Nacht, beide Unterschenkel dick eingewickelt in Verbände.
Das letzte Bild, das vom FC Bayern an diesem Dienstagabend blieb, war also das der bandagierten Sprachlosigkeit.
Die Mannschaft hatte zuvor das Halbfinale des Sponsorenturniers in der eigenen Arena 0:3 gegen den FC Liverpool verloren, die leichte Antwort wäre nun: War ja nur ein Testspiel! War es aber nicht. Es war vielmehr eine Partie, die sich fügte in den Verlauf der Vorbereitung, eine Partie, die exemplarisch steht für all das, was dem Team im Sommer 2017 nicht gelingen will.
Wirkungstreffer: Trainer Jürgen Klopp (rechts) und der FC Liverpool ließen Franck Ribéry und den FC Bayern heftig straucheln.
(Foto: Peter Schatz)Als Bilanz dieses Tests gegen Liverpool stehen: keine Struktur im Spiel, kein Tor, drei Gegentore; hinzu kommen drei weitere angeschlagene Spieler. Thiago und David Alaba sind zunächst wohl nur für den Supercup am Samstag in Dortmund unpässlich, bei James Rodriguez, dem Leihspieler von Real Madrid, erfolgte eine langfristige Krankschreibung: Muskelverletzung im Oberschenkel, Rückkehrtermin offen. Ob all dieser bitteren Nachrichten herrschte am Ausgang der Münchner Arena daher eine Stimmung, die schwankte zwischen Ratlosigkeit und Enttäuschung und erster Verzweiflung.
Thomas Müller, der Kapitän, sagte: "Liverpool hat uns an der Nase herumgeführt." Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsboss, sagte: "Wir müssen schnell die Kurve kriegen." Sven Ulreich, der zurzeit im Tor Stammkeeper Manuel Neuer vertritt, sagte: "Da müssen jetzt die Alarmglocken angehen." Mats Hummels sagte nichts. Und Trainer Carlo Ancelotti gestand: "Wir sind noch nicht in bester Verfassung." Er hatte aber zumindest einen Lösungsvorschlag. "Das Problem ist klar: Wir brauchen mehr Balance."
FC Bayern - FC Liverpool 0:3 (0:2)
München: Ulreich - Rafinha, Martinez, Hummels, Alaba (79. Friedl) - Thiago (21. R. Sanches), Tolisso (74. Vidal) - Müller, James Rodriguez (62. Coman), Ribéry. - Trainer: Ancelotti.
Liverpool: Karius - Alexander-Arnold /79. Flanagan), Lovren, J. Matip (67. Klavan), Moreno - Henderson (67. Sturridge/86. Solanke), Can (46. Wijnaldum) - Mané (46. Lallana), Coutinho (79. Woodburn), Salah (67. Grujic) - Firmino (67. Kent). - Trainer: Klopp.
Tore: 0:1 Mané (7.), 0:2 Salah (34.), 0:3 Sturridge (83.). - Gelbe Karte: R. Sanches, Vidal / Lallana
Atlético Madrid - SSC Neapel 2:1 (0:1)
Tore: 0:1 Callejon (56.), 1:1 F. Torres (72.), 2:1 Vietto (81.). - B.V.: Milik (Neapel) scheitert mit Foulelfmeter an TW Oblak (34.). - Gelb-rote Karte: Godin (89./Atlético, wiederholtes Foul).
Ehrenhaft verschwieg Ancelotti, dass ihm zurzeit die Führungs- und Balancespieler Neuer, Arjen Robben und Jérôme Boateng verletzt fehlen. Er verschwieg allerdings auch, dass er, der Trainer, ja der Balanciermeister sein muss. Zur Sicherheit sagte er daher: "Unser Ziel ist es, am 18. August in bester Verfassung zu sein."
Bis dahin, bis zum Bundesligastart gegen Leverkusen, bleiben ihm noch knapp zwei Wochen, "aber", warnte Rummenigge, "auch die können schnell vorbei sein". Zumal am Samstag das erste Pflichtspiel ansteht, der Supercup in Dortmund.
Dass die Verantwortlichen nicht versuchten, diese Niederlage gegen Liverpool schönzureden, lag auch daran, dass bei diesem 0:3 zu offensichtlich wurde, was gerade alles nicht funktioniert: "Wir haben es nicht geschafft, als Einheit kompakt aufzutreten", sagte Müller, zwei der drei Gegentore fielen nach Kontern; vor dem dritten konnte Liverpool sich in Ruhe am Münchner Strafraum sortieren. Auch sonst stand da keine Mannschaft auf dem Platz, zu sehen waren einzelne Mannschaftsteile, damit beschäftigt, sich aus der größten Not zu befreien. Auf den Außenbahnen rannten die Bayern-Profis ständig den Kontern der Gäste hinterher.
FSV Erlangen-Bruck (5. Liga) - FCB 1:9
Telekom-Cup in Mönchengladbach
FCB - TSG Hoffenheim 1:0
FCB - Werder Bremen 2:0
Asien-Reise
FCB - FC Arsenal i.E. 2:3
FCB - AC Mailand 0:4
FCB - FC Chelsea 3:2
FCB - Inter Mailand 0:2
Audi-Cup in München
FCB - FC Liverpool 0:3
FCB - SSC Neapel
Samstag, 5. August (20.30 Uhr): Supercup
Borussia Dortmund - FC Bayern
Im Mittelfeld fehlte einer, der die Mannschaft dirigierte; Zugang Corentin Tolisso war mit dieser Aufgabe noch überfordert, das 0:1 leitete er mit einem Ballverlust ein. Und Renato Sanches, der früh für den angeschlagenen Thiago kam, konnte sich nicht im Sinne der Vereinsbosse für einen anderen Klub empfehlen, zumindest für keinen in der europäischen Spitze. James und Müller rotierten zwischen der rechten Seite und der Mitte, was zur Folge hatte, dass derjenige, der gerade rechts spielte (meist James), oft nur teilnahmslos herumlief.
Und so bleibt als Eindruck dieses Sommerabends, dass in dieser Mannschaft zurzeit schwer eine Balance herrschen kann, weil da nur wenig ist, was sich von selbst zusammenfügt. "Der Stachel sitzt tief", sagte Müller, und er wusste, dass der Test einen Tag später im Spiel um Platz drei gegen den SSC Neapel nur wenig von diesem Schmerz würde lindern können. Diese Vorbereitungskrise nehmen sie im Verein auch deshalb ernst, weil sie ahnen, dass in dieser Saison die Stimmung von vielen Fragen abhängen wird. Zum Beispiel: Wer spielt, sobald alle mal wieder gesund sein werden, aus dem Trio Robben, James, Müller? Muss dann Thiago runter von seiner offensiven Position? Und wenn er nach hinten rückt, wer muss auf die Bank: Arturo Vidal?
Tanzstunde: Gegen Liverpools Flügelstürmer Sadio Mané, der auch das 1:0 erzielte, machten die Bayern-Verteidiger (rechts: Rafinha) keine gute Figur.
(Foto: Markus Fischer/imago/GEPA pictures)Tolisso? Und so weiter und so weiter. Ancelotti, der die Antworten auf diese Fragen ausbalancieren muss, reagierte auf diese Ungewissheit erst einmal trotzig zuversichtlich: "Am Samstag wird es sicher besser sein."
Auch der Trainer ging irgendwann den langen Weg zum Ausgang, neben James, dem Mann, mit dem er noch viel vor hat. Irgendwann hängte Ancelotti seinen angeschlagenen Hoffnungsträger ab, am Ausgang verschluckte ihn die dunkle Nacht.