Die Lewandowski-Show gegen Wolfsburg:Der Giftzahn der Viper

Fünf Treffer in weniger als neun Minuten - der Stürmer profitiert davon, dass der FC Bayern sein Angriffsrepertoire erweitert hat. Er schreibt beim 5:1-Sieg Bundesliga-Geschichte.

Von Benedikt Warmbrunn

Als sich all die Kuriositäten des Abends wie in einem Kaleidoskop langsam zu einem stimmigen Muster fügten, das fassungslose Mickey-Mouse-Lächeln von Pep Guardiola, das Nudelnkauen von Thomas Müller beim Interview, der seltene Scherz von Philipp Lahm, kam der Mann, der all das verursacht hatte. Toll, unglaublich, Wahnsinn, das waren die Worte der anderen über den Auftritt dieses Mannes, keiner von ihnen hatte versucht, etwas von der Denkwürdigkeit dieser Nacht zu nehmen. Nun also kam Robert Lewandowski aus der Kabine, mit dem linken Unterarm klemmte er einen Ball gegen seine Hüfte, es war der Ball, mit dem er in die Bundesliga-Geschichte eingegangen war. Toll? Unglaublich? Wahnsinn? Lewandowski sagte: "Ich bin sehr zufrieden."

Bei vielen Fußballstürmern gehört die Koketterie nach Toren genauso zu ihrer Art wie der Drang, Tore zu schießen - aber gemessen an dem, was Lewandowski gelungen war, hat sich selten ein Fußballstürmer demütiger über seine Tore gefreut.

Die fünf Treffer, die Lewandowski am Dienstagabend beim 5:1 (0:1) gegen den VfL Wolfsburg erzielt hat, hatten jedoch schon längst eine Eigendynamik entwickelt, bevor Lewandowski mit dem Ball aus der Kabine herauskommen konnte; diese hochgejazzte Stimmung konnte Lewandowski auch mit seiner Bescheidenheit nicht mehr einfangen. Schnellster Hattrick der Bundesliga-Geschichte, schnellster Viererpack, schnellster Fünferpack. "So habe ich das noch nie erlebt", sagte Mario Götze. "Ich denke, Lewy hat heute Fußball-Geschichte geschrieben", sagte Manuel Neuer. "Ich verstehe das nicht. Ich habe noch nie so eine Situation erlebt, weder als Trainer noch als Spieler", sagte Trainer Pep Guardiola. "Das gab es noch nicht. Und das wird es auch so schnell nicht mehr geben", sagte Thomas Müller, im Mund ein paar Nudeln, in der Hand einen vollen Teller. Das waren die Aussagen der anderen, die Lewandowski vorausgeeilt waren. Er sagte: "Ich habe noch nie fünf Tore in 45 Minuten geschossen."

Eine Grätsche mit dem linken Fuß (51.), ein platzierter Distanzschuss (52.), ein Schuss aus dem Fünfmeterraum (55.), ein gesprungener Schuss nach einer Flanke von links (57.), ein Seitfallzieher nach einer Flanke von rechts (60.), fünf Tore innerhalb von acht Minuten und 59 Sekunden, danach stand selbst der meistens gefasste Guardiola mit offenem Mund, aufgerissenen Augen und über dem Kopf zusammengeschlagenen Händen am Spielfeldrand. "Manchmal, wenn es im Fußball läuft, musst du einfach weiter versuchen, ein Tor zu schießen", sagte Lewandowski. Und: "Egal, wie ich den Ball getroffen habe, er war drin."

Den Ball, den er sich nun gegen die Hüfte drückte, nahm Lewandowski übrigens nicht mit nach Hause, um sich für immer an seine eigene Großartigkeit zu erinnern. Er nahm ihn mit, um ihn sich von jedem Mitspieler unterschreiben zu lassen.

Siebenmal hatte Lewandowski in den acht Minuten und 59 Sekunden aufs Tor geschossen, die anderen zwei Versuche waren ein Pfostentreffer und ein erster Nachschuss vor seinem dritten Treffer. Doch sein Torjägerinstinkt war für diese nicht einmal neun Minuten nur einer von drei Erkläransätzen. "Sicher hat bei ihm in dieser Viertelstunde so ziemlich alles reingepasst", sagte VfL-Torwart Diego Benaglio, die zweite Erklärung lieferte er auch gleich mit: "Wir haben in dem Moment keine Lösung gefunden." Vor dem zweiten Tor zum Beispiel verspielte Wolfsburg den Ball fahrlässig, auch in den anderen Situationen waren die Verteidiger viel zu weit weg. Es war aber der dritte Erkläransatz, wegen dem Lewandowski auf dem Ball die Unterschriften seiner Mitspieler sammelte.

In der ersten Halbzeit, in der Lewandowski nach einer Sprunggelenksverletzung auf der Bank saß, hatten die Offensivbemühungen des FC Bayern träge gewirkt, sie endeten meist am Strafraum. Dass Daniel Caligiuri nach einem Konter die Führung für Wolfsburg erzielte (26.), war nicht unverdient. Mit Lewandowskis Einwechslung veränderte Guardiola auch das System, Douglas Costa und Götze wechselten die Seiten, Müller schlängelte sich wieder auf unergründlichen Pfaden durch den Raum hinter Lewandowski. Es war eine Umstellung, von der gerade der Mann an vorderster Stelle profitierte.

Die ersten Wochen dieser Spielzeit waren zwar auf den ersten Blick die Wochen von Müller und seinen Toren oder nun der Abend von Lewandowski - vor allem aber haben diese ersten Wochen gezeigt, wie sich die spielerische Anlage des FC Bayern verändert hat. Nachdem Douglas Costa gegen Wolfsburg auf die linke Seite gewechselt war, fügte er das Flankenspiel dem zuvor bisweilen monotonen Angriffsmuster hinzu. Götze wiederum machte auf dem rechten Flügel eines seiner stärksten Spiele in den vergangenen Monaten im Trikot des FC Bayern, mehrere Torchancen leitete er ein, darunter auch den Seitfallzieher zum Endstand durch eine kurze Flanke. Lewandowski war dabei das Ende einer einstudierten Handlungskette, ähnlich dem Giftzahn einer Viper, der nur noch das Gift verteilen muss. "Wir haben viel investiert in der zweiten Halbzeit", sagte Müller, "in der ersten auch schon, aber da haben wir von unserer Spielanlage her nicht zu den Torchancen gefunden."

Acht Minuten und 59 Sekunden. Dann war es vorbei. Irgendwie aber auch nicht, wie Philipp Lahm in seinem Scherz festhielt: "Trotzdem muss man immer kritisch bleiben und sagen, dass er danach nachgelassen hat. Er hatte noch zwei Riesenchancen, und dass er heute nicht mit sieben Toren heimgeht, ist wirklich enttäuschend."

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