FC Bayern deklassiert Lille:Besser als zehn Tore

Nach dem begeisternden 6:1 in der Champions League gegen den OSC Lille bemüht sich der FC Bayern weiterhin um Bodenhaftung. Doch es fällt den Münchnern zunehmend schwer, ihre Stärke zu verheimlichen - und schon beginnt die Debatte, ob Trainer Jupp Heynckes bald seinen Vertrag verlängert.

Thomas Hummel

Ein Bayern-Spieler nach dem anderen war lockeren Schrittes und mit einem Lächeln im Gesicht Richtung Parkplatz entschwunden, da deutete sich noch ein handfester Konflikt an. Kapitän Philipp Lahm sollte Stellung nehmen zum Jubel-Tanz der Südamerika-Fraktion nach dem 2:0. "Keine Ahnung", sagte der gebürtige Münchner, "hat aber nicht so überragend ausgeschaut."

Der Peruaner Claudio Pizarro war da anderer Meinung: "Das ist eine bekannter Tanz in Brasilien, es war gut, war okay."

Nach seinem ersten von drei Toren an diesem launigen Abend in der Arena war er zusammen mit dem Brasilianer Dante zum Brasilianer Rafinha Richtung Ersatzbank gelaufen, alle drei hatten ein wenig mit dem Gesäß, mit dem Kopf und den Armen gewackelt sowie Dante dazu sein Zahnpasta-Werbungs-Lächeln gezeigt.

Befreit vom Druck des unbedingt Gewinnenmüssens

Beim FC Bayern München gibt es Anfang November 2012 einen mannschaftsinternen Disput um die Ästhetik des Jubels. Das ist im Grunde die Hauptaussage des Champions-League-Abends. 6:1 gegen den OSC Lille. Nach 33 Minuten schon 5:0 - das hat es in der Fußball-Königsklasse noch nie gegeben. Da darf man sich eine kleine Kulturdebatte zwischen München und Südamerika leisten, dabei lachten Lahm und Pizarro gelöst wie selten nach ihren kleinen Sticheleien vor den Mikrofonen.

Es war eigentlich rein tabellarisch um einiges gegangen in der Champions-League-Gruppe F. Die Münchner waren nur Dritter gewesen vor dem Spiel, auch nach dem Erfolg sind sie lediglich auf Platz zwei hinter dem FC Valencia vorgerückt, noch immer ist sogar ein Ausscheiden in der Vorrunde möglich. Doch von einem Druck des unbedingt Gewinnenmüssens, der die Beine schon mal lähmen kann, war beim FC Bayern überhaupt nichts zu spüren. Eher von einem fast rauschhaften Überlegenheitsgefühl. Vor allem, nachdem wieder einmal ein frühes Führungstor gelungen war.

Nach Bastian Schweinsteigers Freistoß zum 1:0 lösten sich auch die letzten Blockaden, beim zweiten Tor kombinierten sich Thomas Müller, Franck Ribéry und Pizarro mitten durch das französische Abwehrzentrum (18.). Arjen Robben per Freistoß (23.) und zweimal Pizarro nach Flanken von Lahm (28./33.) ließen selbst den Stadionsprecher verblüfft aufseufzen. Vor allem Schweinsteiger führte die bemitleidenswerten Franzosen bisweilen vor. Gleich zweimal schob er einem Gegenspieler provokant den Ball durch die Beine.

"Da sind zwei Welten zwischen Lille und Bayern. Sie waren zehn Mal stärker als wir", berichtete Lilles Torwart Mickael Landreau. Und Mittelfeldspieler Salomon Kalou, Schütze des 1:5 und im vergangenen Jahr Teilnehmer am Champions-League-Finale in München mit dem siegreichen FC Chelsea, warnte Europas Fußball: "Bayern ist noch stärker als vergangene Saison."

Die vergangene Saison als Warnung

Die Bayern selbst geben sich nun alle Mühe, nicht in allzu weit entfernte Fußball-Galaxien zu entschwinden. Die vergangene Saison dient ihnen weiterhin als Warnung, als ihnen in der Bundesliga acht Punkte Vorsprung auf Dortmund abhanden kamen und am Ende kein Titel heraussprang.

Doch die Münchner tun sich zunehmend schwer, ihre Stärke vor sich selbst und der Öffentlichkeit zu verheimlichen. Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge erklärte lächelnd, er sei froh, dass die Mannschaft in der zweiten Halbzeit nur die Chance von Toni Kroos zum 6:1 (66.) genutzt habe und die vielen weiteren Möglichkeiten liegen gelassen habe. "Ich bin mit dem 6:1 total zufrieden. Wenn wir heute zehn Stück geschossen hätten, was möglich gewesen wäre bei unseren Chancen, dann wären jetzt die Euphoriekorken nach oben geflogen und das brauchen wir nicht."

Bekennender Feind von zu viel Euphorie ist Matthias Sammer. Sieben Punkte Vorsprung in der Bundesliga? Der Gala am Samstag gegen Hamburg folgte die Gala am Mittwoch gegen Lille? Der Sportvorstand blickte auf dem Weg aus dem Stadion derart kritisch drein, als würde er jedem Beifallspender Handschellen anlegen wollen. Der Auftritt gegen Lille sei eine gute Reaktion gewesen auf die "Lobhudelei nach dem Hamburg-Spiel". Aber: "Ich stehe hier, es ist Herbst, es ist kalt draußen, die Blätter fliegen vom Baum und es gibt keine Pokale." Ob ihm denn gar nichts imponiert habe an dem Spiel seiner Mannschaft? "Die erste Halbzeit war nicht so schlecht."

Für Sammersche Verhältnisse war das fast Lobhudelei und so kommt in München bereits die Trainerfrage auf die Themenliste. Der Vertrag des 67-jährigen Jupp Heynckes läuft am Ende der Saison aus und schon will das Umfeld gehört haben, dass sich eine Verlängerung der Zusammenarbeit andeutet. Weil doch alles so schön läuft. So schön wie seit Jahren nicht. Arjen Robben schwärmte jedenfalls: "Die Chemie zwischen Trainer und Spieler ist da. Wenn er fit bleibt, kann er weitermachen."

Selbst Sammer will von einem Disput mit dem Trainer nichts mehr wissen: "Wir sind sehr glücklich mit ihm, speziell ich. Das haben wir immer gesagt." Gespräche über den Übungsleiter der Saison 2013/14 wird es allerdings nicht geben, solange die Blätter von den Bäumen fliegen. Die Parteien haben entschieden, sich erst nach dem Jahreswechsel zusammenzusetzen. "Der Jupp und wir haben keine Eile", erklärte Vorstand Rummenigge und stellte schon mal Bedingungen: "Wir müssen weiterhin daran arbeiten, dass wir so spielen wie heute Abend in der ersten Halbzeit."

Das nächste Opfer der Münchner soll am Samstag Eintracht Frankfurt sein. In der aktuellen Tabelle der Fußball-Bundesliga ist vermerkt, dass es sich hier um das brisante Duell Eins gegen Drei handeln wird. Interessanter könnte die Frage sein, welchen Tanz Philipp Lahm mit seinen Münchner Mannschaftkameraden aufführt, wenn er selbst mal ein Tor erzielt. Und was Claudio Pizarro dazu sagt.

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