FC Bayern beim Bundesliga-Auftakt:Fulminanter Plan mit Risiko

Pep Guardiola hält die offensive Spielidee des FC Barcelona für die beste der Welt und will, dass auch der FC Bayern sie übernimmt. Die Münchner sind weiterhin stolz auf ihren neuen Trainer - aber sie sind sich auch des Risikos bewusst.

Von Christof Kneer

Ein Editorial in einem Stadionmagazin hat bestimmte formale Kriterien zu erfüllen. Es muss zum Beispiel gewissenhaft gegrüßt werden, Grüße gehen stets an die Fans, die Mitglieder, die Sponsoren, und aufgrund einer möglicherweise in den DFB-Statuten festgelegten Formulierung muss am Ende immer "ein besonderer Gruß unseren Gästen, ihrem Trainer sowie allen mitgereisten Fans" gelten.

Diese formalen Kriterien erfüllt das Stadionmagazin, das der FC Bayern zum Auftaktspiel gegen Mönchengladbach herausgebracht hat. Darüber hinaus dürfte es sich aber um eines der politischsten Grußworte handeln, die der FC Bayern in jüngster Zeit drucken ließ. Es sei "genau der richtige Weg, auch nach Erfolgen Krusten aufzubrechen", lässt Vorstandschef Rummenigge schreiben, man habe einen Trainer, der die Elf "mit vielen neuen Ideen derzeit enorm fordert". Diese Neuerungen, teilt der FC Bayern weiter amtlich mit, würden "sicherlich auch ein bisschen Zeit brauchen". Aber "am Ende", so der FC Bayern, würden "die Spieler sehen, dass Pep sie damit fördert, dass jeder Einzelne profitiert".

Man könnte nun an der Echtheit des Schreibens zweifeln, weil Karl-Heinz Rummenigge niemals "am Ende", sondern immer "am Ende des Tages" sagt. Der Text muss aber echt sein, weil er in verblüffender Authentizität die Gefühlslage der Bayern spiegelt. Unterschwellig haben sie offenbar das Gefühl, sie müssten sich für etwas rechtfertigen, was ihnen überhaupt niemand vorgeworfen hat. Sicherheitshalber schicken sie sogar ein Grußwort in die eigene Spielerkabine - um auch den Profis jene Geduld abzufordern, um die sie bei Fans, Mitgliedern und Sponsoren werben.

Es ist nicht so, dass die Bayern an Pep Guardiola zweifeln. Sie sind weiterhin stolz und überzeugt. Aber ihnen ist die Größe des Projekts ebenso bewusst wie der Risikofaktor, der darin steckt.

Nein, er sei nicht nervös, sagte Guardiola, als er am Donnerstag die letzte Pressekonferenz vor dem ersten Liga-Spiel bestritt, "noch nicht". Aber er hat längst begriffen, welch historisch einmaliger Job es ist, einem Triple-Sieger das Spiel neu beizubringen. In der Pressekonferenz hat er schon mal offenbart, mit welcher Vierfach-Strategie er dieser Aufgabe begegnen will: mit Charme, mit etwas Koketterie, mit defensiver Rhetorik, die die Erwartungshaltung ein bisschen bändigen soll - und mit viel Überzeugung. "Es ist mir wichtig zu erklären, dass ich nicht der beste Trainer der Welt bin", sagte er. Sondern: "Ich war Trainer einer der besten Mannschaften der Welt." In diesen kleinen Sätzen waren alle vier Komponenten enthalten.

Guardiola weiß, was er kann, er hält die Spielidee des FC Barcelona für die beste der Welt - aber er weiß auch, dass er mit seinem Beruf jetzt im Grunde noch einmal neu beginnt. Man könnte sagen, dass Guardiola in München zum ersten Mal in seinem Leben Trainer wird. Trainer war er bisher noch nicht - er war Barça-Trainer. Das ist ein Unterschied. Er hatte Profis um sich, die in La Masia ausgebildet wurden, der berühmten Elite-Akademie des FC Barcelona, es waren Profis, die Barças Spielidee in ihrer DNA angelegt hatten.

Schweinsteiger war nie in La Masia, ebenso wenig Robben, Ribéry, Müller, Mandzukic, Dante; selbst Lahm ist gesicherten Erkenntnissen zufolge einige Kilometer außerhalb von Barcelona geboren, in München, obwohl Guardiola ihn als gefühlten Katalanen betrachtet. Kürzlich hat er sich bei Lahm bedankt, weil er den Mitspielern gezeigt habe, wie man die Mittelfeldrolle barcelona-like spielt.

Die Bedeutung von Thiago und Herzenskatalane Lahm

"Ich brauche Thiago" - was unspektakulär klingt, war der spektakulärste Satz, den Guardiola in der Vorbereitung gesagt hat. Er braucht ihn, obwohl er im Zentrum auch Schweinsteiger und Martinez hat und Kroos und Götze und Müller - er braucht ihn deshalb, weil Thiago die Idee des Trainers kennt, weil er sie versteht und auf den Platz bringt. Thiago ist ein herausragender Spieler, er hat in der Vorbereitung aus ärgster Bedrängnis Pässe gespielt, wie man sie bei Bayern noch nie gesehen hat; dennoch bündelt sich in seiner Person jenes Risikopotenzial, das den Vorstandschef zu demonstrativen Editorials veranlasst.

Guardiolas Plan ist fulminant und faszinierend, aber es ist der Plan des FC Barcelona. In diesem Plan fühlt er sich sicher, in diesem Plan ist er detailverliebter, versierter und besser, als je ein Bayern-Trainer gewesen ist. Wie gut der Plan aber zu Bayern passt, ob er ihn im Zweifel zu variieren versteht - alle relevanten Experten (inklusive Guardiola) trauen es ihm zu, aber sicher kann niemand sein (nicht mal Guardiola).

"Es ist eine neue Erfahrung für mich", sagt er, "ich muss in der Lage sein, auch hier gut zu arbeiten, aus diesem Grund bin ich hierhergekommen. Ein guter Trainer bin ich nur, wenn die Spieler mir folgen."

An diesem Freitag wird er zum ersten Mal Spieler ernsthaft verletzen müssen, es werden jene sein, die gegen Gladbach nicht zur Stammelf gehören. Nach all der Kaffeesatzleserei wartet die Branche nun gespannt auf Guardiolas erste Bundesliga-Aufstellung, sie wird ein erstes Statement sein. Allerdings bangt der Trainer noch um den fiebrigen Thiago, aber vermutlich wird es für einen Einsatz reichen; sollte der Katalane ausfallen, könnte der Herzenskatalane Lahm ins Mittelfeld vorrücken.

Man erkenne im Bayern-Spiel "schon viel von Barcelona", sagt Gladbachs Trainer Lucien Favre. Das ist ein Kompliment und eine Drohung. Denn der Barça-Kenner Favre weiß genau, dass man gefühlte Katalanen auch auskontern kann.

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