Wenn man diesem Spieler von der Tribüne zusieht, meint man immer, er habe seine Brille vergessen. Oder trägt Edgar Davids inzwischen Kontaktlinsen?
Edgar Davids ist 43 Jahre alt, und er wird schon deshalb nicht zum FC Bayern wechseln, weil er seine große Karriere inzwischen in Ehren beendet hat. Allerdings muss sich Davids im Vergleich zu anderen ehemaligen Größen nicht die Frage stellen, ob von ihm etwas bleibt. Davids hat den unschätzbaren Vorteil, dass seine Karriere fortgesetzt wird, wenn auch nicht von ihm selbst. An seiner Stelle spielt jetzt Renato Sanches, allerdings ohne Schutzbrille.
Benfica kassiert einen Nachschlag, wenn Sanches Weltfußballer wird
Edgar Davids hat im Moment guten Grund, ein bisschen stolz zu sein, denn sein Wiedergänger wechselt nun von Benfica Lissabon zu einem Klub, der zuletzt dreimal in Serie im Halbfinale der Champions League stand. Der FC Bayern hat am Dienstag durchaus stolz die Verpflichtung dieses sehr jungen Mannes bekannt gegeben, der es schafft, als 18-Jähriger bereits 35 Millionen Euro zu kosten - zuzüglich weiterer kurioser Nebengeräusche, die den Wert dieses Mittelfeldspielers ahnen lassen.
So hat sich Benfica einen Nachschlag in gut zweistelliger Millionenhöhe zusichern lassen für den Fall, dass Renato Sanches während seiner Vertragslaufzeit in München (bis 2021) den ballon d'or als bester Fußballer der Welt gewinnt; auch für Nominierungen in Fifa-Weltauswahlen würden Bonuszahlungen fällig. Das börsennotierte Benfica hat der Börse Lissabon am Dienstag jedenfalls eine Transfersumme von 35 Millionen Euro und weitere - natürlich nur theoretische - Zusatzsummen von bis zu 45 Millionen gemeldet.
Dass sich der Transfer am Ende tatsächlich auf 80 Millionen summiert, darf aber als unwahrscheinlich gelten: Weltfußballer wird man, wenn man wie Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo Fußball spielt und nicht zwingend, wenn man die Juroren an Edgar Davids erinnert.
Immerhin illustrieren solche Nebenabreden, warum Renato Sanches als einer der fünf besten 18-Jährigen Europas gilt. Der Mittelfeldspieler mit den kapverdischen Wurzeln ist für sein Alter spektakulär weit entwickelt, und er kann in seinem Spiel schon gut kaschieren, dass er eigentlich erst seit vorigem Herbst regelmäßig in einer Männer-Mannschaft Fußball spielt.
Bayern ist stolz auf diesen Transfer
Die Bayern sind aber auch deswegen stolz auf diesen Transfer, weil er sie in ihrer Selbsteinschätzung bestätigt. Der FC Bayern is' halt scho a Hund - möglicherweise würde José Mourinho das etwas anders formulieren, aber es ist kein Geheimnis, dass der mutmaßliche neue Trainer von Manchester United diesen Spieler auch sehr dringend haben wollte.
Sanches wird sogar von Mourinhos Agenten Jorge Mendes beraten, der seinen Klienten aber dennoch nicht nach Manchester dirigiert hat. In München heißt es, der Spieler habe unbedingt zum FC Bayern gewollt - und eben gerade nicht in ein Land, das zuletzt keinerlei Serien-Halbfinalisten anzubieten hatte. Und der sagenumwobene Strippenzieher Mendes, der zuletzt häufig auf FC-Bayern-Banketten anzutreffen war, dürfte vermutlich auch nichts dagegen haben, dass er jetzt auch in München im Geschäft ist.
Kevin De Bruyne * 75 Mio. Euro
2015 VfL Wolfsburg -> Manchester City
Roberto Firmino 41 Mio. Euro
2015 TSG Hoffenheim -> FC Liverpool
Javier Martínez 40 Mio. Euro
2012 Athletic Bilbao -> FC Bayern
Mats Hummels 38 Mio. Euro
2016 Borussia Dortmund -> FC Bayern
Mario Götze 37 Mio. Euro
2013 Borussia Dortmund -> FC Bayern
Arturo Vidal 37 Mio. Euro
2015 Juventus Turin -> FC Bayern
Renato Sanches 35 Mio. Euro
2016 Benfica Lissabon -> FC Bayern
* Ablösesummen teilweise geschätzt
"Renato Sanches ist einer der besten jungen Spieler in Europa. Er hat viel Persönlichkeit und eine große Zukunft vor sich" - das sagte Pep Guardiola vor ein paar Wochen, vor Bayerns Viertelfinal-Duell mit Benfica Lissabon. In München warten sie nun mit gespanntem Amüsement auf Guardiolas offizielle Reaktion, sie gehen davon aus, dass der Trainer den Bayern in gut eingeübter Säuselei zu diesem Transfer gratulieren wird. Aber sie sind sehr sicher, dass er diesen Wechsel in Wahrheit hundsgemein findet. Er hätte diesen Kerl nächste Saison doch gerne bei Manchester City gehabt! Und nun bekommt ihn Carlo Ancelotti, sein Nachfolger in München, der sich Sanches ausdrücklich gewünscht hat.
Zweikampfstarker Zehner oder Sechser
Renato Sanches ist ein Teil jener neuen Transferstrategie, die sie in München seit geraumer Zeit pflegen. Die Bayern leisten sich weiterhin prominente Personalien wie Mats Hummels, aber sie wagen zunehmend auch ein paar Risikoanlagen. Der 18-jährige Sanches ist nun die Zuspitzung dieses Trends, den die Münchner mit Kingsley Coman, 19, und Joshua Kimmich, 21, eingeleitet haben. Die Bayern suchen Spieler, deren Potenzial sich auf eine möglichst große Zukunft hochrechnen lässt, und weil sie's ja haben, sind sie bereit, dafür auch einiges springen zu lassen. Renato Sanches, 35 Millionen plus ein großes X, ist Bayerns bisher teuerste Fantasie.
Seit längerer Zeit schon verfolgen Bayerns Kundschafter den Weg dieses jungen Mannes, und natürlich ist den Kundschaftern nicht entgangen, dass der 18-Jährige noch nicht verlässlich auf Spitzenniveau spielt. Aber sie haben beschlossen, ihn an seinen Höhen zu messen, und die sind ja tatsächlich recht verheißungsvoll: Wenn man es Edgar Davids nicht weitersagt, darf man behaupten, dass Sanches noch variabler ist, als Davids es je war. Sanches ist, je nach Bedarf, ein wahnsinnig zweikampfstarker Zehner oder ein wahnsinnig spielstarker Sechser. Bei Bayern sagen sie, Sanches vereine Thiago- und Vidal-haftes zu etwa gleichen Teilen in sich, er ist ein aggressiver Balleroberer, der mit dem eroberten Ball dann auch feine Sachen machen kann. In München erwarten sie nicht, dass der Neue sich in seiner ersten Saison gleich unverzichtbar macht im Bayern-Spiel, aber sie rechnen schon damit, dass er von Anfang an zu jenen 14, 15 Profis zählen wird, die sich um die Startelf bewerben.
Seine neue und seine alte Heimat trauen Sanches eine Menge zu. Die Aktie von Benfica Lissabon hat am Dienstag mehr als zehn Prozent zugelegt.
