FC Bayern:Am Rand der Weltklasse

Ein Münchner in München: Der Fall Christian Lell zeigt, dass sich auch für Eigengewächse ein Platz in der edlen Bayern-Elf finden lässt.

Christof Kneer

Es soll jetzt keiner mehr behaupten, die jungen Leute von heute könnten sich nicht mehr quälen. Der Fußballprofi Christian Lell zum Beispiel hat die Nacht zum Mittwoch im Mehrbettzimmer einer Bundeswehrkaserne verbracht, und er ist morgens um sechs aufgestanden. Am Abend zuvor hat er noch Sport getrieben, 0:4 hat sein Team verloren, und trotz der deprimierenden Niederlage und der kurzen Nacht hat er am nächsten Tag tapfer trainiert. Solche Männer braucht das Land, weshalb das Land auf diesen Mann auch längst aufmerksam geworden ist. Am Dienstagabend hat Lell das Land auch gleich ein bisschen verteidigt, als Abwehrspieler der Bundeswehr-Nationalelf im Testspiel bei Alemannia Aachen. Vor ihm im Mittelfeld diente der Sportsoldat Ottl. Drei Spiele, drei Torvorlagen

Christian Lell, 23, kann jetzt also mit einigem Recht behaupten, er habe bereits für sein Land gespielt. Zwar wird er erst ab Oktober als Soldat der Sportfördergruppe Neubiberg geführt, ,,aber ich hab' als Gastspieler mitgemacht'', sagt er. Lell war quasi Gastsoldat in dieser Woche, und wenn man es sich recht überlegt, scheint es sich hier um eine spezielle Begabung dieses jungen Mannes zu handeln. Zu Gast sein kann er gut, und am besten kann er Überraschungsgast. Er erscheint gern da, wo sie ihn am wenigsten erwarten - im Bundeswehr-Team oder in der Startelf des FC Bayern, in der er zuletzt dreimal nacheinander auftauchte.

Im Grunde wird Christian Lell auch in der Münchner Künstlerkolonie als Soldat besetzt. Diszipliniert und aufrecht marschiert er seine rechte Außenbahn auf und ab, und es stört ihn nicht, dass sein Name für manche immer noch wirkt wie ein Druckfehler in einem Hochglanzprospekt. Der FC Bayern, das ist Ribéry, Toni oder Klose, und wer sich gut auskennt, dem fällt vielleicht noch der Name van Bommel ein. Aber Lell? ,,Was die Öffentlichkeit denkt, ist mir nicht so wichtig'', sagt er, ,,wichtig ist mir, dass ich intern geschätzt werde.''

Das Spiel gegen Schalke darf nun auch als Test dafür gelten, wie weit die Wertschätzung wirklich trägt. Objektiv betrachtet gibt es keinen Grund, Christian Lell aus der Mannschaft zu nehmen, aber objektiv ist diese very important mannschaft nicht immer zu fassen. Objektiv betrachtet kann es sich ja auch niemand nicht leisten, Luca Toni draußen zu lassen, wenn der Arzt ihn gesund geschrieben hat. Sollten sich doch noch Gründe auftreiben lassen, wonach Toni vom Sport befreit werden könnte (Muskel tut noch weh; Schonung für Uefa-Cup; kein Streit mit den Italienern), gäbe es auch Gründe, Lukas Podolski mal wieder Fußball spielen zu lassen - wie man mit Klose zusammen spielt, weiß er ja noch aus einer Zeit, die als Sommermärchen in die Menschheitsgeschichte eingehen wird. Bayern könnte also auch mit zwei Stürmern stürmen, was objektiv gesehen ein Problem für Hamit Altintop ergeben könnte, dessen Stellenprofil fünfter Mittelfeldspieler lautet. Andererseits hat Altintop zuletzt so anständig gespielt, dass ihn kein Mensch mit der Ersatzbank strafen kann, zumal gegen Schalke, nachdem er absolut objektiv in Gelsenkirchen geboren wurde. Wie man weiß, ist Altintop aber auch ein brauchbarer Rechtsverteidiger - und das ist der Punkt, an dem es für Lell objektiv und subjektiv gefährlich werden könnte.

,,Ich gehe davon aus, dass ich spiele'', sagt Lell. In der Tat darf es als eher unwahrscheinlich gelten, dass Trainer Hitzfeld ohne Not das Erfolgsmodell der letzten Wochen opfert. Lells Vorteil ist ja, dass er in seinen drei Spielen nicht nur subjektiv ,,Super-Leistungen gezeigt'' hat; er hat auch objektiv drei Tore vorbereitet, Ottls Tor in Bremen, van Bommels Tor gegen Hannover und das einzige Tor beim HSV, als Klose seinen Oberschenkel in Lells Flanke hielt. Sein Nachteil aber könnte sein, dass er noch nie Weltmeister mit Italien war, dass er nie im Sommermärchen vorkam - und dass er nicht in der Stadt des nächsten Gegners geboren wurde. Sondern in München.

Romantik ist kein Faktor für eine Mannschaftsaufstellung

Die Geschichte der Münchner in München ist eine alte Geschichte, aber im Schatten der Ribérys und Tonis wird sie im Moment wieder neu erzählt. Christian Lell hat das Fußballspielen bei Alemannia München begonnen, im Stadtteil Harlaching, und als kleiner Junge ist er auf den Hügel neben dem Vereinsgelände geklettert, von wo aus er das Trainingsgelände des großen FC Bayern sehen konnte. ,,Ich kann gar nicht beschreiben, was es für mich bedeutet, für Bayern in der Bundesliga zu spielen'', sagt er. Romantik ist allerdings kein Faktor für eine Mannschaftsaufstellung, was die eingeborenen Münchner Christian Nerlinger, Dietmar Hamann und Markus Babbel einst aus der Stadt trieb. Sie haben sich im eigenen Betrieb immer unterbewertet gefühlt, subjektiv zumindest, und natürlich ist es im heutigen Weltunternehmen für die Münchner Kindl nicht gerade leichter geworden. Der Sportsoldat Andreas Ottl etwa ist im wahren Leben Reservist, was ihm nicht sehr taugt, wie man als Münchner wahrscheinlich sagt.

Es ist noch nicht so lange her, dass Manager Uli Hoeneß auch die jungen Spieler ausdrücklich in Mithaftung nahm für das finstere Frühjahr, als widerstandslose Bayern vermutlich auch gegen die Bundeswehr-Nationalelf verloren hätten. Einstweilen hat Lells kleiner Karrieresprung aber bewiesen, dass sich auch für Spieler aus eigener Züchtung noch ein warmes Plätzchen in der edlen Elf finden lässt. Anders als Andreas Görlitz (Karlsruhe) hat sich Lell nicht ausleihen lassen, ,,ich wollte nicht einfach aufgeben''. Die Verletzungen der Außenverteidiger Sagnol, Jansen und Lahm haben ihm einen Platz in der Weltelf verschafft, den er seither mit seriösen Auftritten verteidigt. Seit sich Bayerns Gegner weniger auf die Bekämpfung des Gesamtgefüges, sondern auf die Rastellis in der Mitte konzentrieren, klaffen am Rand einladende Räume für Spieler, die Lust haben, hineinzustoßen. Christian Lell spielt im Wortsinn am Rande der Weltklasse, und schon jetzt lässt sich sagen, dass er ein selbstbewussterer, besserer Spieler geworden ist.

Im Oktober wird in Indien übrigens die Militär-WM ausgetragen, aber der Sportsoldat Lell hat keine Zeit. Er wird anderweitig gebraucht, als Gaststammspieler beim FC Bayern.

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