FC Bayern:Abschied vom Anspruch

"Wir sollten die Plätze drei und zwei anvisieren": Nach dem 1:1 in Leverkusen mag Bayern-Sportdirektor Christian Nerlinger nicht mehr von der Meisterschaft sprechen.

Philipp Kreutzer, Leverkusen

Als die Bayern schon ungeduldig zum Aufbruch mahnten, saß Philipp Lahm noch immer fest. Vom Kapitän der Münchner ist ja bekannt, dass er die ihm gestellten Aufgaben selbst unter größtem Druck umgehend und präzise ausführt.

Bayer Leverkusen v FC Bayern Muenchen - Bundesliga

Ratlose Gesichter bei Bayern-Trainer Louis van Gaal (li.) und Sportdirektor Christian Nerliner. München kam nicht über ein 1:1 hinaus.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Doch diesmal lief es bei Lahm einfach nicht. Und so hat er nach dem Spiel in Leverkusen die Abfahrt des Mannschaftsbusses Richtung Flughafen wegen einer Verzögerung bei der Dopingprobe verpasst.

Es war dies nur eine von vielen Unplanmäßigkeiten, mit denen die Bayern am Samstag umgehen mussten. Zunächst hatte am Nachmittag Tabellenführer Borussia Dortmund in Freiburg in der Schlussphase einen 0:1-Rückstand noch in einen 2:1-Sieg verwandelt, dann kamen die Münchener am Abend in Leverkusen nicht über ein 1:1 hinaus.

14 Punkte beträgt nun ihr Rückstand auf den Spitzenreiter, so viel wie noch nie zu diesem Zeitpunkt einer Saison. Damit wird es immer wahrscheinlicher, dass der Meisterschaftszug ebenso ohne die Bayern abfährt wie der Mannschaftsbus ohne Philipp Lahm.

Dabei hatten die Bayern während der 90 Minuten in Leverkusen lange dominant gewirkt. Sie waren häufiger im Ballbesitz als der Gegner, zudem waren sie ja eigentlich perfekt gestartet. Doch Schiedsrichter Florian Meyer verweigerte einem Kopfballtreffer Bastian Schweinsteigers in der zweiten Minute wegen einer angeblichen Abseitsstellung die Anerkennung - eine Fehlentscheidung.

Ihren Rhythmus verloren die Bayern aber wie schon kürzlich beim 3:3 in Mönchengladbach durch ein nicht einkalkuliertes Ereignis kurz vor der Pause: War es zwei Wochen zuvor Schweinsteigers verschossener Strafstoß gewesen, so folgten nun Daniel van Buytens überflüssiger Ballverlust und Danijel Pranjics noch viel überflüssigeres Foul an Sidney Sam.

Den daraus entstandenen Elfmeter nutzte der beste Mann auf dem Platz zum Ausgleich: Arturo Vidal traf in der Nachspielzeit des ersten Durchgangs zum 1:1. Damit war die ideale Ausgangslage dahin, die sich die Bayern durch das Führungstor von Mario Gomez (34. Minute) geschaffen hatten. "Ich bin enttäuscht, dass wir es wieder so einfach hergegeben haben", sagte Louis van Gaal.

Zugleich aber stellte der Bayern-Trainer erstaunt fest, noch keine andere Mannschaft erlebt zu haben, "die so viele Chancen kreiert hat gegen uns". In der zweiten Hälfte dieser rasanten, intensiven Partie waren die flinken und ansehnlich kombinierenden Leverkusener dem Sieg näher als die Bayern. Bayer hatte jedoch zum Leidwesen seines Trainers Jupp Heynckes nicht "den kühlen Kopf, die Spielzüge effizient durchzuspielen".

"Es tut weh"

Für Leverkusen war die Gelegenheit günstig, die schwarze Serie von nun zwölf sieglosen Bundesliga-Partien gegen den Rekordmeister zu beenden. Denn obwohl er kein schlechtes Spiel machte, läuft dieser Rekordmeister seiner Form der grandiosen Vorsaison weiter hinterher. Das verdeutlicht beispielsweise der Blick auf die Innenverteidigung, in der in Abwesenheit von Holger Badstuber weder van Buyten noch der erstmals von Beginn an eingesetzte Breno den Ansprüchen genügten, weil sie in der Eröffnung zu viele Bälle verloren und so ihrem Keeper Jörg Butt unfreiwillig einige Möglichkeiten verschafften, sich auszuzeichnen.

Das Problem setzt sich unmittelbar vor der Abwehr fort. Zwar unterbanden Anatoli Timoschtschuk und Andreas Ottl durch ihre Laufarbeit und Zweikampfhärte manche Leverkusener Offensivbemühung frühzeitig. An Ideen und spielerischem Vermögen aber mangelt es auf dieser Position, seit Schweinsteiger wegen der Verletzungen von Arjen Robben und Franck Ribéry hinter die Spitze versetzt worden ist.

Auch dort zeigt Schweinsteiger seine Klasse, er ist zurzeit das einzige für den Gegner unberechenbare Moment im Bayern-Spiel. Thomas Müller hielt in Leverkusen stur den rechten Flügel besetzt statt wie der WM-Müller überall herumzulaufen, und Ribéry unterlief nach seiner Einwechslung für die letzten 30 Minuten seine schwächste Vorstellung, seit er für die Bayern kickt. Das empfand wohl auch van Gaal so: "Wir haben gesehen, dass es sehr schwer ist, nach einer Verletzung zurückzukommen."

All diese Aspekte sowie das enttäuschende Ergebnis hatte auch Christian Nerlinger registriert, und so verabschiedete sich der Bayern-Sportdirektor vom traditionell auf das Maximum ausgerichteten Anspruch seines Clubs. "Es ist jetzt nicht die richtige Herangehensweise, von der Meisterschaft zu reden", stellte er klar und formulierte sogleich ein neues Ziel: "Wir sollten die Plätze drei und zwei anvisieren."

Das Hauptaugenmerk auf die Qualifikation für die Champions League zu legen, entspricht allerdings nicht der offiziellen Bayern-Sprachregelung. Die besagt weiterhin: Allen Ärgernissen zum Trotz kann es noch immer klappen mit dem 23. Titel. Schweinsteiger etwa verwies auf die 21 noch verbleibenden Partien, in denen der Rückstand durchaus aufzuholen sei. Seine Miene nach dem Spiel verriet allerdings etwas anderes als unerschütterlichen Optimismus, er gestand: "Es tut weh, wenn man wieder zwei Punkte verliert."

Man hätte gern auch Philipp Lahm nach einer Einschätzung gefragt. Doch weil er beschäftigt war, sagte der Kapitän diesmal nichts zum Spiel.

Wenigstens hat er es noch rechtzeitig zum Flughafen geschafft.

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