Fanvertreter Philipp Markhardt im Gespräch:"Die Ultras fühlen sich auf den Arm genommen"

Mit seiner Initiative "Pro Fans" veranstaltet Philipp Markhardt an diesem Wochenende in Berlin einen Kongress zur aktuellen Lage der Fankultur in der Bundesliga. Im Interview spricht er über die verhärteten Fronten zwischen Ultras und Polizei, die Legalisierung von Pyrotechnik im Stadion und die Randale beim Hamburger Hallenturnier.

Jonas Beckenkamp

In deutschen Fußballstadien war das vergangene Jahr geprägt von Auseinandersetzungen zwischen Ultra-Gruppierungen und der Polizei. Seit dem letzten großen Treffen zwischen Fans und Deutschem Fußball-Bund (DFB), als vor allem der Umgang mit Stadionverboten diskutiert wurde, sind vier Jahre vergangen. Am Wochenende erfährt der Kongress in Berlin seine Neuauflage: Auf Einladung der Fans - mit prominenten Vertretern von Liga, DFB und Klubs. Philipp Markhardt, 31, ist Sprecher der Vereinigung "Pro Fans" und stammt selbst aus dem Umfeld der Ultras des Hamburger SV. Im Interview spricht er über die verhärteten Fronten zwischen Ultras und Polizei, die Legalisierung von Pyrotechnik im Stadion und die Randale beim Hamburger Hallenturnier.

Fan-Gewalt in deutschen Stadien

"Deutscher Randalemeister 2011": Fans von Eintracht Frankfurt und ihre Version des Dialogs.

(Foto: dpa)

Süddeutsche.de: An diesem Wochenende lädt die Initiative Pro Fans DFB-Leute, Forscher, Fanvertreter und Klubverantwortliche zu einem Kongress über Fankultur ein. Mit welchem Ziel?

Philipp Markhardt: Es geht um unsere Anliegen, die seit dem letzten DFB-Fankongress 2007 nicht mehr beachtet werden. Damals hatten sich alle lieb - doch wirklich verbessert hat sich seither lediglich die Situation bei den Stadionverboten. Bei sämtlichen anderen Themen ist nichts passiert. Deshalb ist dieser Kongress jetzt ein logischer Schritt. Wenn die Leute nicht auf uns zukommen, laden wir sie eben ein.

Süddeutsche.de: Oft bleiben die Fans bei "runden Tischen" zwischen Vereinen, Politik und DFB außen vor - warum?

Markhardt: Offenbar glaubt man, dass Fans nicht an einen "runden Tisch" gehören. Das sehen wir anders - und auch die Verantwortlichen der Fanprojekte, die als Alibi bei solchen Events teilnehmen dürfen und dann als "Fanvertreter" bezeichnet werden. Dabei sind Fanprojekte oder Fanbeauftragte keine Fanvertreter, sondern eher "Fanversteher", die den Politikern und Verbänden dann erklären können, was falsch läuft.

Süddeutsche.de: Nach den Problemen in der Hinrunde, vor allem wegen des Abbrennens von Pyrotechnik in Stadien, scheinen die Fronten zwischen Fans, Verbänden und der Polizei verhärtet - wie ist Ihr Eindruck?

Markhardt: Uns ist die Sachlichkeit abhanden gekommen, das lief alles sehr emotional ab. Wir sollten alle einen Gang zurückschalten. Das gilt für die Fanszene, aber auch für die Polizei, die Medien und die Vereine. Ein Klub wie Dynamo Dresden darf nicht einfach seinen Fans die Auswärtsfahrt verbieten. Ein Verbandspräsident sollte nicht einfach öffentlich härtere Strafen fordern - ebensowenig wie der Bundesinnenminister. Weiter als er kann man von Fußball nicht entfernt sein. Aber klar: Die Fans können nicht immer behaupten, die Polizei sei Schuld.

Süddeutsche.de: Zwischen vielen Ultragruppierungen und der Polizei besteht seit Jahren überhaupt keine Kommunikation. Ist da eine Annäherung in Sicht?

Markhardt: Mit Sicherheit nicht sofort. Das wird Jahre dauern, denn wir sind über lange Zeit enttäuscht worden und haben eine gewisse Skepsis entwickelt: Kann man Polizisten vertrauen? Oder wird man doch gegängelt? Diese Zweifel muss die Staatsmacht ausräumen und zeigen, dass sie nur vor Ort ist, um Ärger zu vermeiden. Die restriktive Behandlung muss aufhören.

Süddeutsche.de: Ist das angespannte Verhältnis zwischen der Protestkultur der Ultras und der Polizei überhaupt zu befrieden?

Markhardt: Das ist keine Protestkultur. Es ist eine Jugendkultur und es geht nicht vordergründig darum, dagegen zu sein. Diese Leute wollen einfach ihre Vorstellungen durchsetzen. Man kann nicht von Jugendlichen erwarten, dass sie in hitzigen Situationen immer cool bleiben. Von Polizeibeamten erwarte ich das schon ...

Süddeutsche.de: Trotzdem sollten sich auch junge Leute an die Gesetze halten.

Markhardt: Klar. Aber Jugendliche befinden sich eben in einer Sturm-und-Drang-Phase und wollen Grenzen austesten. Gesetze sind in Ordnung, doch einen Großeinsatz für jedes Pille-Palle-Delikt finde ich übertrieben.

Süddeutsche.de: Beim Thema Pyrotechnik signalisierte der DFB zunächst Gesprächsbereitschaft, zog dann aber sein Angebot zurück - wie kam das in der Szene an?

Markhardt: Die Anhänger präsentierten dem DFB ein von Anwälten abgesegnetes Konzept. Der damalige Sicherheitsbeauftragte Helmut Spahn zeigte sich in Gesprächen zunächst aufgeschlossen und sagte, dass man über Sondergenehmigungen nachdenkt. Die Fans hielten sich an den ersten drei Spieltagen der Bundesliga an ein Moratorium, wonach sie zeigen sollten, dass sie die Kurven regulieren können. Das hat super geklappt. Doch plötzlich war Herr Spahn nicht mehr im Amt und die Verbände wollten nichts mehr von den Absprachen wissen. Da fühlten sich die Ultras natürlich auf den Arm genommen. Viele Hardliner zündeln deswegen jetzt wieder.

"Die Fanszene ist nicht verroht"

Süddeutsche.de: Stimmt der Eindruck, dass im Zuge dieser Debatte im Herbst viele erst recht zündelten?

Markhardt: Es hat niemand dazu aufgerufen. Aber natürlich hat die Szene den Vertrauensbruch von DFB-Seite genau verfolgt - und die Konsequenz war absehbar. Die Verbände wissen jetzt, dass sie Bengalische Feuer nicht einfach verbieten können und wären gut beraten, die Gespräche wieder aufzunehmen. Sie dürfen einer Legalisierung nicht weiter im Weg stehen.

Süddeutsche.de: Aber muss denn Pyrotechnik unbedingt sein?

Markhardt: Ja, auf legale Weise, denn dann würden nicht mehr im Schutze der Masse Bengalische Feuer oder Rauchtöpfe gezündet. Es geht nicht darum, wild in den Blöcken zu zündeln, sondern in gekennzeichneten Zonen, wo sich ausgebildete Leute verantwortungsbewusst darum kümmern. Der Wille ist da, auf den Nervenkitzel der Illegalität zu verzichten - das zeigt auch die Tatsache, dass viele aus der Szene Pyrotechnik-Scheine machen.

Süddeutsche.de: Zuletzt krachte es bei einem Hallenturnier in Hamburg zwischen Lübecker und St.-Pauli-Anhängern - bringen sich die Fans so nicht selbst in Verruf?

Markhardt: Ich kann nicht behaupten, dass uns sowas in die Karten spielt. Kurz vor dem Fankongress ist das sehr kontraproduktiv.

Süddeutsche.de: Mehr Polizei in den Stadien führte zuletzt zu einer steigenden Zahl an Festnahmen. Verrohen die Fans oder bedeuten größere Polizeieinsätze einfach eine höhere Zugriffsrate?

Markhardt: Die Fanszene ist nicht verroht. Vielmehr sind die Zahlen der Verfahren im vergangenen Jahr sogar rückläufig. Gestiegen ist dagegen die Zahl der Verletzten. Allerdings wird nicht unterschieden, weshalb Leute sich beim Stadionbesuch verletzen. Ich kann mir vorstellen, dass der ausufernde Einsatz von Pfefferspray da eine Rolle spielt. Das war auch bei dem angesprochenen Hallenturnier der Fall. Die Gewaltbereitschaft ist nicht gestiegen, nur die Wahrnehmung hat sich geändert. Die Berichterstattung ist mittlerweile viel intensiver. Dabei rappelte es noch in den 90ern an jedem Spieltag.

Süddeutsche.de: Ein Lösungsansatz gegen Fangewalt ist die Selbstregulierung. Warum tun sich Ultras so schwer, in ihren eigenen Reihen einen friedvollen Kodex zu etablieren?

Markhardt: Sie möchten sich nicht festnageln lassen. Gäbe es einen solchen Kodex, müssten sich auch alle dran halten. Ultras wollen in gewissen Situationen selbst entscheiden. Genauso wenig wie Gewalt das Leitmotiv in der Ultraszene ist, ist sie vollkommen zu unterbinden. Hinzu kommt, dass bei vielen jungen Ultras Mackertum und Revierverhalten eine große Rolle spielen. Abgesehen von einigen Härtefällen gibt es aber ein friedliches Selbstverständnis - entscheidend ist oft die Führung einer Gruppe.

Süddeutsche.de: Wie sehen Sie die Chancen, dass die Fanszene selbst Strategien und Vorgehensweisen gegen Gewalt entwickelt?

Markhardt: Schwer zu sagen. Auf unserem Kongress gibt es eine nicht-öffentliche Veranstaltung zum Thema Gewalt, wohin die Ultragruppierungen Mitglieder entsenden können - wie das wird, kann ich noch nicht einschätzen.

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