Fanbetreuer Jürgen Bergmann im Gespräch:"Außerhalb der Stadien stoßen wir an unsere Grenzen"

In Dortmund hat es gekracht, die Politik fordert jetzt drastische Eingriffe in die Freiheiten der Fans - doch was können die Vereine tun? Im Interview spricht Jürgen Bergmann, Fanbeauftragter des 1. FC Nürnberg, über den Umgang mit den eigenen Anhängern, das neue Sicherheitskonzept der DFL - und eine Attacke von FCN-Fans in Fürth.

Jonas Beckenkamp

1. FC Nuernberg v Hamburger SV - Bundesliga

Bedingungslose Unterstützung - und manchmal etwas mehr: Auch der 1. FC Nürnberg hatte schon mit Randalen von Fans zu tun. 

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Die Bilder vom vergangenen Wochenende haben mal wieder daran erinnert, dass der deutsche Fußball ein Problem hat. Zwischen Fans von Borussia Dortmund und Schalke 04 kam es zu Straßenschlachten, die Polizei wurde von den geplanten Krawallen überrascht - und plötzlich gab es Verletzte. Schon in diesem Sommer haben Ligaverband und Politiker einen neuen Sicherheitsbeschluss gefasst. Darin sind unter anderem mehr Videoüberwachung, stärkere Kontrollen und härtere Strafen vorgesehen. Fanvertreter durften sich bei dem Konzept nicht einbringen, weshalb Vereine wie St. Pauli oder Union Berlin bereits Bedenken gegen das Maßnahmenpapaier anmeldeten. Was können Klubs tun, um die Situation zu verbessern? Ein Gespräch mit dem Nürnberger Fanbeauftragten Jürgen Bergmann (Jahrgang 1963), früher selbst Fanklub-Gründer, über seine Erfahrungen.

SZ.de: Nach den Ereignissen in Dortmund fühlt man sich an Warnungen von Fanvertretern und Forschern erinnert, die den Vereinen vorwerfen, das Gewaltproblem zu unterschätzen. Stimmt das?

Jürgen Bergmann: Nein. Mir ist kein Klub bekannt, der damit nicht gewissenhaft umgeht. Meines Wissens investieren die Teilnehmer der 1. und 2. Bundesliga jährlich einen dreistelligen Millionenbetrag in die Sicherheit der Stadien. Wir als Vereinsvertreter wollen schlichtweg mehr Sachlichkeit. Bei keiner öffentlichen Veranstaltung dieser Größe engagieren sich die Verantwortlichen so intensiv für einen reibungslosen Ablauf. Die DFL schreibt den Vereinen Fan- und Sicherheitsbeauftragte vor, zahllose Menschen arbeiten bei Spielen und unter der Woche daran, dass nichts passiert. Aber es gibt eben keine Garantie.

Viele befürchten jetzt eine Verschlimmerung der Krawalle in der Bundesliga - wie steht es um die Sicherheit in unseren Stadien?

Ich habe die Ereignisse in Dortmund nur aus den Medien mitbekommen, daher kann ich dazu schwer etwas sagen. Prinzipiell bekommt das Thema Gewalt im Fußball sehr viel Aufmerksamkeit - teilweise neigt die Presse zur Skandalisierung. Ich kann aber sagen, dass ein Stadionbesuch bei uns sicher ist.

Stimmt es überhaupt, dass die Gewalt zunimmt?

Alle Zahlen und seriösen Untersuchungen sprechen dagegen, gerade wenn man längere Zeiträume beobachtet. In den 80ern war es viel dramatischer. Die Zahlen der Gewalttaten in Relation zu den steigenden Zuschauerzahlen offenbaren, dass es hundertmal gefährlicher ist, bei einem Verkehrsunfall verletzt zu werden als beim Besuch eines Ligaspiels.

Ist das nicht verharmlosend angesichts acht verletzter Beamter und 200 Festnahmen an diesem Wochenende?

Ich finde es nicht fair, dass bei jeder Bitte um Sachlichkeit zu diesem Thema der Vorwurf der Verharmlosung aufkommt. Bei Volksfesten ist die Gefahr noch viel höher - wieso berichtet darüber niemand? Wieso nimmt der Fußball medial so viel Platz ein? Klar kommt es zu extremen Zwischenfällen, aber die gibt es nicht nur in der Bundesliga. Erinnern Sie sich an die beschämenden Vorfälle in U-Bahnen, wo Rentner von Jugendlichen attackiert wurden.

Auf ähnlich perfide Art überfielen FCN-Fans vergangene Woche ein Vereinsheim von Fürther-Anhängern. Was tut ein Klub, wenn die eigenen Fans randalieren?

Klar ist dieser Angriff schlimm - und offenbar besuchen die betreffenden Leute auch Spiele des 1. FC Nürnberg. Selbstverständlich distanzieren wir uns als Klub klar von solchen Aktionen. Gewalt, Fremdenfeindlichkeit oder Extremismus haben bei uns keinen Platz. Unsere Fanklubs, die Vergünstigungen bei Tickets bekommen, müssen eine Vereinbarung unterschreiben, in der wir auf unsere Spielregeln hinweisen. Wer das nicht beachtet, muss mit Konsequenzen rechnen.

"Natürlich macht Videoüberwachung Sinn"

Inwiefern fühlen sich die Vereine überhaupt in der Verantwortung für die Gewalt Einzelner?

Eine schwierige Frage. Der 1. FC Nürnberg kann keinen Einfluss darauf nehmen, wenn Einzelne abseits eines Fußballspiels Auseinandersetzungen provozieren. Daher wäre es einseitig, einzig den Verein für solche Vorkommnisse in die Pflicht zu nehmen.

In den Stadien forderte die Politik zuletzt mit einem "Maßnahmen-Katalog" mehr Initiative der Klubs - wie gehen Vereine mit diesem Druck um?

Genauso wie in der Vergangenheit, vieles davon ist ja nicht neu. Diesen Auftrag nehmen wir sehr ernst. Aber wenn es außerhalb der Stadien kracht, stoßen wir an unsere Grenzen.

Es geht um Stadionverbote, Videoüberwachung - sogar Stehplatzverbote sind angedacht. Was davon hilft wirklich?

Natürlich macht Videoüberwachung Sinn. Viele Vereine haben bei der technischen Ausrüstung eine Vorreiterrolle übernommen. In diesem Maßnahmen-Katalog will man die Vorgaben nur noch einmal manifestieren. Es zählt jedes Mittel, das gegen Straftäter hilft. Aber: Außer der Überwachung halte ich jeden Eingriff, der pauschal gegen alle Zuschauer oder gegen ganze Fanblöcke gerichtet ist, für nicht zielgerichtet.

Stehplatzverbote würden manche Fanszenen hart treffen. Sollten die Vereine das zulassen?

Nein. Aber davon ist in dem Papier der Innenminister auch nicht die Rede - zumindest was Heimspiele betrifft. Kein Verein wird von sich aus die Stehplätze abschaffen. Unabhängig davon glaube ich nicht, dass durch ein Verbot der Stehkultur die Gewalt-Problematik in den Griff zu kriegen ist.

Gerade die friedlichen Ultras auf den Stehplätzen fühlen sich oft missverstanden. Wie sieht es mit besserem Dialog aus?

Wir beim "Club" stellen uns Gesprächen aller Art. Wir gehen auch aktiv auf bestimmte Fangruppen zu. Sicher, kann man nie genug für das gegenseitige Verständnis tun - aber ich glaube, wir sind da schon gut vorangekommen. Ich bin überzeugt, dass wir Probleme mit unserer Anhängerschaft nur dann lösen können, wenn wir mit ihnen kommunizieren.

Warum investieren Klubs wegen der vielen jungen Stadionbesucher und Ultragruppierungen nicht mehr in Jugendarbeit und Betreuung?

Der 1. FC Nürnberg investiert jährlich eine Million Euro in den Bereich der Prävention und Sicherheit. Fast alle Klubs unterstützen die Fanprojekte der Kommunen, die über eine Drittelfinanzierung durch Vereine, DFL und Länder bzw. Kommunen getragen werden. Die Lizenzierung für die Bundesligen erfordert eine Menge Investition in die Betreuung. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob es nicht noch mehr sein sollte.

Wie ist Ihr Gefühl für den restlichen Saisonverlauf?

Sorgen bereitet mir eine Tendenz zur Radikalisierung von Minderheiten unter den Ultras. Ich wünsche mir, dass die Hardliner in der Kurve kein Oberwasser gewinnen. Aber wir sollten nicht die gemäßigten Ultras vergessen, die durchaus an friedlichen Fußballspielen interessiert sind.

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