Fan-Protest in der Bundesliga:Gespenster-Atmosphäre im vollen Stadion

Die Fans dürfen sich als Sieger dieses 14. Spieltags fühlen: In den Bundesliga-Stadien herrscht in den ersten zwölf Minuten und zwölf Sekunden überwiegend Ruhe. Die Fußballfans protestieren damit gegen ein neues Sicherheitskonzept gegen Gewalt im Stadion. Spieler und Trainer reagieren irritiert auf die Stille.

Von Thomas Hummel

Eintracht Frankfurt - 1. FSV Mainz 05

Stiller Protest, hier beim Derby Frankfurt gegen Mainz.

(Foto: dpa)

Das meist benutzte Wort zu den ersten zwölf Minuten und zwölf Sekunden in den Fußballstadien an diesem Dienstag und Mittwoch ist: beklemmend. Wenn Zehntausende Menschen in einer riesigen Arena sitzen und die lautesten Geräusche die Anweisungen sind, die sich unten am Rasen die Spieler geben, dann ergreift die Menschen ein gespenstisches Gefühl.

Keine Gesänge, keine Pfiffe, keine Stimmung: Mit diesem Schweigeprotest in den Stadien der ersten und zweiten Bundesliga wollen die Fans die Deutsche Fußball Liga (DFL) unter Druck setzen. Die Anhänger kritisieren beeindruckend lautlos das Konzept "Sicheres Stadionerlebnis" der DFL, das am 12. Dezember 2012 von den 36 Profi-Vereinen beschlossen werden soll. Teile des Papiers empfinden die Fans als Sicherheitswahn. Ihr Schweigen soll zeigen, wie sich Fußball in einer Welt anhören könnte, in der die Fans aus Protest lieber ganz zu Hause bleiben.

Beispiel Kaiserslautern: Etwa 20.000 Menschen besuchten am Mittwochabend das Zweitliga-Spiel gegen Jahn Regensburg. Die Fanvertretungen des Klubs warben vor der Partie vehement dafür, den Protest durchzuführen - und die Menschen hielten sich daran. Wie es auf der Fan-Seite "Der Betze brennt" heißt, hätten auch Klubmitarbeiter die Angelegenheit konstruktiv unterstützt, auch die Mannschaft sei von der Maßnahme überzeugt worden. Einzelnen Pfiffen von Besuchern gegen die Stille sei sogar mit einer erklärenden Lautsprecherdurchsage begegnet worden.

Dumm nur, dass akkurat in der Minute, als die Fans endlich loslegten mit dem üblichen Lärm und ihren Gesängen, der Gast aus Regensburg ein Tor erzielte. Immerhin durften die Pfälzer Anhänger noch einmal herzhaft jubeln, als ihrer Mannschaft kurz vor der Halbzeitpause der Ausgleich gelang (ein Video zum Protest in Kaiserslautern hier).

Schwieriger war es für die Fans etwa in Freiburg oder Mönchengladbach, den Protest über die vollen 732 Sekunden durchzuhalten. In Freiburg gab es nach elf Minuten einen Elfmeter für den FC Bayern wegen eines umstrittenen Handspiels, den Thomas Müller in der zwölften Minute verwandelte. Das Ganze war mit einigem Getöse verbunden. Und in Gladbach schoss Juan Arango mit seinem goldenen Linksfuß eine weite Flanke direkt ins lange Eck, hier folgte der (verdiente) lautstarke Jubel.

Dennoch dürfen sich die Fans als Gewinner dieser englischen Woche fühlen. Denn die Reaktionen von Spielern und Trainern fielen deutlich aus: "Ich fand es grausam und ungewohnt. Zum Fußball gehört Stimmung dazu", sagte Frankfurts Trainer Armin Veh. Kapitän Pirmin Schwegler ergänzte: "Die ersten zwölf Minuten hatten kein Bundesliga-Feeling." Düsseldorfs Coach Norbert Meier beklagte "die Totenstille". Auch der Mainzer Trainer Thomas Tuchel kritisierte: "Es steht außer Frage, dass das keinen Spaß macht. Die Unterstützung der Fans gehört einfach dazu." Dynamo Dresdens Geschäftsführer Christian Müller lobte die Fans für ihr "pfiffiges Kommunikationsmittel".

Philipp Markhardt von der Fanvereinigung "Pro Fans" sieht nun die DFL in der Pflicht: "Im Grunde genommen liegt es jetzt an der DFL zu sagen: Wir sehen, es sind alle dagegen und wir suchen noch mal den Dialog. Das Konzept würde einen tiefen Graben reißen zwischen Fans und DFL."

"Die Zeit bis dahin ist zu knapp"

Die aktiven Fußball-Anhänger kritisieren im neuen Sicherheitspapier vor allem die Intensivierung der Personenkontrollen. Demnach sei es möglich, dass Vereine und örtliche Polizei und Ordnungsdienst Kontrollzelte aufstellen, in denen sich Zuschauer einer Ganzkörperkontrolle unterziehen müssten. Das halten auch Anwälte für rechtswidrig.

Zudem steht im Raum, die Anzahl der Gäste-Tickets weiter zu reduzieren beziehungsweise den Gäste-Zuschauern nur noch Sitzplatz-Tickets anzubieten. Was laut Fans zu einer sozialen Auslese führe, weil sich nicht alle die teureren Sitzplätze leisten könnten. Außerdem schwebt weiterhin die Drohung durch die Stadien, die Stehplätze wie in England komplett abzuschaffen, was viele Fans als Kriegserklärung verstehen.

Zwar hatte es zuletzt wieder Exzesse mit Pyrotechnik in den Stadien von Düsseldorf und Gelsenkirchen gegeben, dennoch kündigen einige Vereine an, den Fans weiter entgegenkommen zu wollen. Vor allem wollen nun erste Klubvertreter, dass der Abstimmungstermin verschoben wird. "Wir sollten den Dialog weiterführen und den 12. Dezember als Entscheidungstag noch mal überdenken", sagte Martin Kind, Vorstand von Hannover 96, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

In der Hamburger Morgenpost erklärt der Vorstand des Hamburger SV, Oliver Scheel: "Wir sind der Meinung, dass die Zeit bis dahin zu knapp ist. Wir wollen Anfang des Jahres selbst noch mal in größerer Runde diskutieren." Außerdem spreche sich der HSV gegen eine Verschärfung der Einlasskontrollen am Stadion aus.

Dagegen hat die DFL zuletzt häufig argumentiert, dass der Druck der Innenminister der Länder und von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) so stark sei, dass die Gesandten des Fußballs eine Entscheidung baldmöglichst treffen müssten, weil sonst drohe, dass die Politik Entscheidungen treffe. Vielleicht ändert sich der Zeitplan, wenn am Wochenende ein paar Innenminister ein Stadion besuchen.

Denn der Protest der Fans soll an den kommenden beiden Spieltagen weitergehen. Wer die Stille nicht aushält, der kann ja wieder auf das gute alte Transistor-Radio zurückgreifen und im Radio die Berichterstattung zu den anderen Partien anhören. Ganz in Ruhe, zwölf Minuten und zwölf Sekunden lang.

Mit Material von dpa und sid

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